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Wie Franz Beckenbauer Meister wider Willen wurde

Zweimal war Franz Beckenbauer Bayern-Trainer. Hier erzählt Udo Muras, wie der Kaiser 1994 Meister wider Willen wurde.

|11. Januar 2024|
Wie Franz Beckenbauer Meister wider Willen wurde
Wie Franz Beckenbauer Meister wider Willen wurde

Franz Beckenbauer mit Lothar Matthäus 1994. Im Hintergrund: Präsident Fritz Scherer. Foto: Imago / Werek

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Auf den Tag genau 30 Jahre vor seinem Tod am 7. Januar hat Franz Beckenbauer die Fußballwelt schon mal bewegt. Der Anlass war kein trauriger, höchstens für einen seiner guten Freunde: Er wurde Trainer bei seinen Bayern, um eine reichlich verkorkste Saison noch zu retten.

Dabei war er eigentlich Vize-Präsident des Vereins und konnte dem Trainerberuf nie viel abgewinnen. Aber er konnte eben auch schlecht „Nein“ sagen. Für die gerade vom Privatfernsehen entdeckte Bundesliga war diese Eigenschaft im Januar 1994 eine Vitaminspritze.

Rückblick vor dem Rückblick: Mit sechs Bayern-Spielern war Deutschland 1990 Weltmeister geworden, unter Trainer Franz Beckenbauer als Teamchef. In der Liga hatten sie 1989 und 1990 den Titel gewonnen, nichts sprach gegen ein goldenes Bayern-Jahrzehnt. Doch es kam zunächst anders. Meister 1991 Kaiserslautern, Meister 1992 Stuttgart, Meister 1993 Bremen.

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Am Sonntag starb Franz Beckenbauer und mit ihm ein Stück Fußballgeschichte. Ein sehr persönlicher Nachruf.

Und die Bayern? Zweimal Zweiter und dazwischen fast abgestiegen, am Ende Zehnter. In jener Chaos-Saison 1991/92 stiegen Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge bei Bayern zu Vize-Präsidenten auf – zur Unterstützung von Manager Uli Hoeneß. Beckenbauer war es, der im März 1992 Erich Ribbeck als Trainer an die Isar lockte. Der verhinderte zwar den Abstieg, aber Titel gewann er nicht, und im Winter 1993, nach dem Aus aus beiden Pokalwettbewerben und einem dritten Platz nach der ersten Saisonhälfte, hatten sie genug von Sir Erich und schauten sich im eigenen Hause um. Der erste Gedanke ist oft der beste.

Und so kamen sie auf den Kaiser. Der sträubte sich, wie so oft.

Als sie ihn endlich so weit hatten, bestellten sie vor lauter Freude Champagner. Am Montag, 13. Dezember 1993, wurde am Ende einer turnusmäßigen Präsidiums-sitzung die zweite Kaiser-Zeit beim FC Bayern eingeläutet. Die erste endete bekanntlich 1977 nach einer grandiosen Spielerkarriere, nun brauchten sie ihn im Tagesgeschäft Bundesliga als Trainer.

Was sie an diesem Tag unter Führung von Präsident Fritz Scherer („Im Grunde war ich der Drahtzieher der ganzen Sache“) beschlossen, musste noch ein Weilchen unter der Decke bleiben; denn sie hatten ja noch einen Trainer. Und diesen Erich Ribbeck zählte Beckenbauer zu seinen Freunden.

Zusammen waren sie im renommierten Männerbund „Die Schneeforscher“, zu dem auch Uwe Seeler gehörte – man fuhr ein-, zweimal im Jahr gemeinsam Ski im Salzburger Land und verlebte heitere Stunden beim „Après-Ski“. Nun sollte der eine den anderen ablösen? Das behagte dem Kaiser zunächst nicht: „Ich komme aber nur, wenn Erich keine Lust mehr hat“, ließ er Scherer wissen.

Erich Ribbeck aber hatte immer noch Lust, flog nach der Vorrunde nach Gran Canaria und versprach: „Am 7. Januar stehe ich wieder auf dem Trainingsplatz.“

Der Vorstand hatte jedoch keine Lust mehr, mit Sir Erich weiter zu arbeiten. Wenn der FC Bayern München auf dem 3. Platz steht und aus allen Wettbewerben ausgeschieden ist, dann herrscht an der Säbener Straße Krisenstimmung. Zwar betrug der Rückstand auf Spitzenreiter Bayer Leverkusen und Verfolger Eintracht Frankfurt nur ein Punkt, aber der Kredit von Ribbeck war aufgebraucht. Die Mannschaft war gegen ihn; die Presse wurde mit Interna gefüttert.

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Etwa dass der junge Mehmet Scholl ihn im Training nicht ganz unabsichtlich einen Ball gegen den Kopf geschossen hat. Oder dass Jan Wouters getobt hat: „Mit diesem Trainer werden wir niemals Meister.“ Manager Uli Hoeneß entwarf frühzeitig einen Notfallplan, schon im Herbst hatte er den Vize-Präsidenten bekniet: „Franz, mach es!“ Da hatte er noch Skrupel. Doch mit jeder Enttäuschung auf dem Rasen wurden sie geringer.

Er war noch nicht Bayern-Trainer, als er schon anfing, wie ein solcher zu denken. Seine zweite Ehefrau Sybille beobachtete im Dezember 1993 Eigentümliches im trauten Heim in Kitzbühel: „Ständig kramte der Franz in irgendwelchen Notizen, fing an, mit Gott und der Welt zu telefonieren, fragte nach der Form von Spielern, starrte nachdenklich minutenlang vor sich hin. Da ahnte ich: Der macht’s!“

Franz Beckenbauer war noch immer nicht im Amt, da legte er bereits mit Uli Hoeneß fest, wo sie ihr Winter-Trainingslager bestreiten würden: In Mandelieu bei Nizza wollte der Kaiser den Bayern den Feinschliff für das Unternehmen 13. Meisterschaft geben. Auch vom Verkauf von Jan Wouters erfuhr er vor Ribbeck.

Bis der dann nach einigem Zureden endlich am ersten Tag nach Weihnachten zum Rücktritt bewegt wurde, mussten die Bayern noch einige schwerwiegende  Argumente auftischen. Scherer widersprach nicht, dass sie ihn mit einer halben Million Mark und der Aussicht auf die volle Meisterprämie (eine Viertelmillion) überredeten, den Weg für den Kaiser frei zu machen.

Der verspürte wieder Lust, auf dem Platz zu stehen. „Das Repräsentieren für Firmen weltweit – das ist ganz nett, aber eine Hauptaufgabe für mich???“, fragte er sich selbst. Er war erst 48 und noch voller Energie. Und wozu eigentlich hatte er seit Februar 1989 eine Trainer-Lizenz (Nummer 891 1111) vom DFB erhalten?

Seine „rein emotionale Entscheidung“ hinterfragte er in den ersten Wochen fast jeden Tag allerdings laut, und wäre er nicht der Kaiser gewesen, hätte mancher Reporter nach Sätzen wie „Es ist mir selbst ein vollkommenes Rätsel, warum ich mir diesen Job antue!“ schon die Trainerfrage gestellt.

Aber auch die Medien waren ja heilfroh, dass er da war. Die Rückkehr des Mannes, der als Spieler und Trainer Weltmeister geworden war, elektrisierte die Fußballwelt. Es gab jedenfalls schon langweiligere Winterpausen als 1993/94.

Kaum stand fest, dass er am 7. Januar sein erstes Training leiten würde, ging der Rummel los. Rund hundert Foto- und Print-Journalisten, zwölf Kamerateams und über 3000 Fans fanden sich an jenem kalten Freitag an der Säbener Straße ein.

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Auf der Pressestelle trafen sogar Akkreditierungswünsche aus Asien ein, als wäre es ein Spiel von internationaler Bedeutung. Und Fan-Klubs charterten Busse, um beim Auftakttraining dabei zu sein, für das sieben Platzordner angefordert wurden. Alles Kaiser oder was? Beckenbauer nährte selbst die Hoffnungen, die sein bloßes Erscheinen auslöste, und gab die Parole aus: „Alles andere als die Meisterschaft wäre unterm Strich zu wenig!“

Dafür mussten die Stars nun früher aufstehen, das Morgen-Training wurde von zehn auf neun Uhr vorverlegt. Und es war deutlich härter. „Akkordarbeit statt Dienst nach Vorschrift“, registrierte der Kicker, dem der Kaiser im Interview lapidar entgegnete: „Was heißt hart? Keiner fiel um, keiner ist gestorben.“ Einer aber war beleidigt, denn Beckenbauer setzte den im Mai ohnehin scheidenden Torwart Raimond Aumann als Kapitän ab und gab die Binde Lothar Matthäus.

Das erinnerte an den italienischen Sommer 1990, als Deutschland mit einem Teamchef Beckenbauer und einem Kapitän Matthäus Weltmeister geworden war.

Das Modell bewährte sich auch in der Bundesliga. Am 7. Mai konnte der Kaiser mit Abpfiff des letzten Spiels als Meister wieder abtreten. Weil er eben ein Liebling der Fußballgötter war. Aber Beckenbauer verdiente sich den Erfolg mit harter und akribischer Arbeit. Torwart-Trainer Toni Schumacher berichtete später: „Der Franz ist ein Wahnsinniger. Von wegen der macht alles mit links, weil er ein Genie ist. Dauernd sehe ich den mit Dutzenden von Spielvideos in dunklen Räumen hocken. Er ist bienenfleißig.“ Die Spieler verehrten ihn. „Wirklich schade, dass er nicht schon vor zwei, drei Jahren unser Trainer war“, meinte Michael Sternkopf.

Mit dem Klima verbesserten sich die Leistungen. In den verbleibenden drei Monaten fanden die Bayern den Schlüssel zum Erfolg, gewannen neun von 13 Spielen, verloren nur noch zwei, und so erfüllte der Kaiser seinen Auftrag. Bayern München war wieder mal Meister geworden – und ein weiteres Kapitel wurde geschrieben über den Mann, der alles kann.

Auch vom Weizenbierglas die ZDF-Torwand treffen, womit Beckenbauer sein erstes Trainer-Intermezzo am Abend des Titelgewinns krönte. Dass er 1996 erneut ran musste, ahnte niemand. Er auch nicht, er wollte sich Wichtigerem widmen: „Mein Handicap im Golf ist schlecht geworden. Aber danach fragt ja keiner.“