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Wie der DFB früher Bundestrainer vom Hof jagte

Hansi Flick war die erste Trainer-Entlassung beim DFB. Zumindest offiziell. Bei Jupp Derwall wurde die Art der Trennung lieber verschleiert

Foto: Imago / Sven Simon

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Nun also ist das Dutzend bald voll, Deutschland bekommt schon wieder einen Bundestrainer. Hatte im 20. Jahrhundert jede Spielergeneration nur einen bis zwei, müssen sich die Kimmich & Co schon mit dem dritten Übungsleiter auseinandersetzen. Wer auch immer der nächste sein wird, es kam ja so plötzlich. Die Entlassung von Hansi Flick wird medial als Novum dargestellt in der fast 100jährigen Geschichte unserer Auswahltrainer (Otto Nerz war 1926 der erste), aber da ist viel Haarspalterei dabei.

Fakt ist, dass es bereits drei Trennungen aus sportlichen Gründen gab, die der Öffentlichkeit als Rücktritte verkauft wurden.

Berti Vogts warf vor fast genau 25 Jahren zermürbt hin, nachdem auch seine zweite WM im Viertelfinale geendet hatte und sich alle Wut auf ihn konzentriert hatte. Nach damaligen Ansprüchen war das Abschneiden beschämend. Es ging sogar soweit, dass offenbar aus dem Hause DFB eine Kopie seines Lohnzettels (40.000 DM im Monat) an die Sport Bild geschickt wurde. Um seinen „letzten Rest an Menschenwürde zu bewahren“, warf Vogts nach einer verkorksten Länderspielreise hin.

Rudi Völler wollte nach dem EM-Aus 2004 nicht mehr, ihn hätte der DFB gerne behalten. Die Verträge von Erich Ribbeck (nach der fürchterlichen EM 2000) und Jürgen Klinsmann (nach dem phantastischen Sommermärchen 2006) waren mit Turnier-Ende ausgelaufen, im Falle Ribbeck wollten beide Seiten, im Falle Klinsmann nur der Sunnyboy-Trainer nicht mehr.

Jogi Löw verkündete nach einem 0:6 in Spanien Monate später, dass er nach der EM 2021 seinen Vertrag aufzulösen gedenke, und keiner hielt ihn mehr davon ab. Planmäßig schieden Sepp Herberger und Helmut Schön, die Bundestrainer Nummer 2 und 3, aus Altersgründen aus, und Kaiser Franz Beckenbauer hatte auf dem Höhepunkt 1990 seinen angekündigten Abgang perfektioniert.

Es gab aber auch zwei undurchsichtige Fälle vor der Demission von Hansi Flick. Otto Nerz verwirrt Historiker und Statistiker noch 80 Jahre nach seinem Tod, und der Fall Jupp Derwall verdient ebenfalls auserzählt zu werden. Nerz, das nur in aller Kürze, hatte Olympia 1936, an dem damals die Nationalelf noch teilnehmen durfte, in den Sand gesetzt und war in der 2. Runde ausgeschieden. Er wurde beurlaubt, was ein anderes Wort für entlassen ist, doch in seinem Fall war es wirklich nur eine Atempause.

Machtkämpfe im DFB führten dazu, dass man sich nicht von ihm trennen konnte, aber mit Sepp Herberger einen Nachfolger schon installiert hatte. Der war zwei Jahre lang nur der Übungsleiter und musste sich die Aufstellungen von Nerz, der eine Art Sportdirektor wurde, genehmigen lassen. Erst 1938 zog sich Nerz, der Mediziner war, an die Akademie zurück und überließ dem späteren Weltmeister Herberger das Feld.

Nun zum Fall Derwall. Der leutselige Rheinländer hatte 1978 Helmut Schön abgelöst und dann mit einer Rekordserie von 23 Spielen ohne Niederlage begonnen, die EM 1980 gewonnen und das WM-Finale 1982 erreicht. Damit hing die Latte der Erwartungen sehr hoch, als er die da schon schwächelnde Nationalelf zur EM 1984 nach Frankreich führte.

Bis zur letzten Minute des dritten Gruppenspiels gegen Spanien lief alles nach Plan, das Weiterkommen schien sicher – dann köpfte der Libero Andoni Maceda (keiner, der den Schock miterlebte, vergisst je seinen Namen) unbedrängt zum 0:1 ein und Deutschland erstmals nach der Vorrunde aus einem Turnier. Die Nation schrie auf und wollte einen Sündenbock.

Jupp Derwall stand schon nach der mühsamen Qualifikation durch ein 2:1 gegen zehn Albaner im letzten Spiel und konstant schrecklicher Spiele ab 1983 in der Kritik. Aber auch noch unter Vertrag bis zur WM 1986 in Mexiko. Der DFB stützte ihn, so gut es ging, und warf in der Rückrunde sogar den Bundesligaspielplan über den Haufen. Um die Mannschaft besser einzuspielen, wurde Derwall im Februar 1984 ein Spiel in Bulgarien (3:2) quasi geschenkt. Maßnahmen, die man sonst nur aus asiatischen oder osteuropäischen Ländern kannte, waren dem DFB nun nicht zu teuer.

Als die Mannschaft dann ausgeschieden war, blieb im ersten Moment alles beim Alten. Präsident Hermann Neuberger sagte, ohne rot zu werden, am nächsten Tag: "Wir gehen mit Derwall in die WM-Qualifikation." Und der dermaßen Gestützte sekundierte: "Ich trete nicht zurück."

Es waren Worte der Entschlossenheit, aber nicht die, die das Volk hören wollte. Immer ganz nah mit dem Ohr an Volkes Stimme war die Bild-Zeitung. Das Boulevardblatt folgte einer anderen Agenda. Ein Volkstribun musste her, einem, dem die Menschen alles glauben und zutrauen. Glücklicherweise hatte sie so einen in den eigenen Reihen: Weltstar Franz Beckenbauer war nach seinem Karriereende ihr Kolumnist geworden. Das war Derwalls Schicksal.

Es nahm seinen Lauf in einem Luxushotel zu Paris. Im „Henri IV“ in Saint Germain en Laye bei Paris begann am 20. Juni 1984 die Kaiser-Zeit des deutschen Fußballs. Beckenbauer saß nach dem Spanien-Spiel mit seinen Kollegen zusammen. Die Journalisten Alfred Draxler und Jörg F. Hüls und der Wiener Zyniker Max Merkel, ein ehemaliger Meister-Trainer mit Vorliebe für bissige Kommentare, bewältigten die deutsche Fußballkatastrophe beim Bier.

Als der Kellner die vierte Runde gebracht hatte, sprach Redakteur Hüls große Worte gelassen aus: "Franz, mach Du es!" Des Kaisers Antwort: "Seids ihr narrisch worn?" Er war fast 40. Noch immer galt sein Credo: "Wenn ich eines weiß, dann dass ich nie ein guter Trainer sein würde." Er war nicht mal ein schlechter, er war gar keiner. Einer ohne Lizenz, ohne Erfahrung.

Dafür war er längst ein gemachter Mann und führte ein Leben zwischen Golfplatz, Stadion und Studio, ein Werbetermin hier, ein TV-Auftritt da. Schaun mer mal, was der Tag so bringt. Fatalerweise brachte er sich beim Absacker an der Hotel-Bar selbst um dieses geruhsame Dasein, als er quasi als Friedensangebot in die Runde warf, er könne ja als eine Art Technischer Direktor fungieren – aber nur, wenn Not am Mann sei und nur für ein Jahr. Das reichte den gewieften Kollegen, um eine legendäre Schlagzeile zu machen, die zwei Tage nach dem EM-Aus aufschlug: "Derwall vorbei – Franz: Bin bereit!"

Bloß dass es mit Derwall noch gar nicht vorbei war, wenn ihm auch nichts Gutes schwante nach der Landung am 21. Juni in Frankfurt. 200 enttäuschte Fans hatten sich eingefunden, ließen die Spieler um Kalle Rummenigge und Lothar Matthäus unbehelligt vorbeiziehen, ihre Zielscheibe war Derwall.

"Derwall raus, Derwall wann gehst Du?", höhnten sie. "Der Weg zur Tiefgarage wurde für Jupp Derwall an diesem Fronleichnamstag zu einem Passionsgang", schrieb der Kicker. "Was seid ihr doch so primitiv", konterte er und befand: "Das sind genau die Leute, die Deutschlands Ruf draußen im Ausland kaputt machen."

Der DFB war mehr um den Ruf seines Fußballs besorgt und suchte nach einem Ausweg. Am Tag, als die Bild-Schlagzeile erschien, sagte Derwall noch: "Ich erfülle meinen Vertrag mit dem DFB bis 1986, klammere mich aber nicht an meinen Posten. Das Klima ist vergiftet und da es auf der Hand liegt, dass ich den Druck der Medien nicht mindern kann, müssen wir uns mit Blick auf die WM-Qualifikation anders helfen."

Das war noch kein Rücktritt, aber ein Hilferuf um Erlösung. Der DFB fand sogar eine Lösung, die letztlich aber nie umgesetzt wurde: Offiziell sollte Derwall künftige Gegner beobachten und die Arbeit der DFB-Trainer "koordinieren". Dazu verspürte er wenig Lust, ging alsbald in die Türkei und feierte auf seine letzten Trainertage große Erfolge. Bei Galatasaray Istanbul, das er zu zwei Meistertiteln führte, ist ein Trainingsplatz nach ihm benannt. Versöhnliches Ende einer Karriere.

Auf den letzten Abschnitt als Bundestrainer blickte er aber unversöhnlich zurück – oder besser gesagt gar nicht. In seiner Biographie ging Derwall auf die EM in Frankreich und sein Ende als Bundestrainer mit keinem Wort ein.

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