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Teamgeist kann man sich nicht erkaufen

Gerd Thomas ist Vorstand beim FC Internationale Berlin und schreibt in seiner Kolumne, wie es an der Basis zugeht

|21. August 2023|
Teamgeist kann man sich nicht erkaufen
Teamgeist kann man sich nicht erkaufen

Foto: Adobe / Natali

Inhaltsverzeichnis

Von Gerd Thomas

Seit Sonntag stehen die Spanierinnen als neue Weltmeisterinnen fest. Und zwar völlig verdient, denn sie spielten den besseren Fußball als die Engländerinnen. Wer nach ihrem Auftritt immer noch meint, Frauen würden schlechter performen, empfehle ich zur Überprüfung dieser Annahme die iberische Ballstafette in der 13. Minute. Dennoch hätte auch dieses Spiel trotz gefühlt 80 % Ballbesitz und fast 500 Pässen kippen können. Es ist Fußball. Aber Latte und Pfosten gehören zwar zum, zählen aber nicht als Tor. So blieb es beim wunderbar kreierten 1:0 durch die Spielführerin Olga, die mich immer an den großartigen Roberto Carlos erinnert, welcher ähnlich präzise traf wie seine Nachfolgerin bei den Real-Frauen.

Die WM war trotz des frühen Ausscheidens der Deutschen eine Werbung für den Fußball, hoffentlich auch hierzulande. Wobei das kein Selbstläufer wird. Das Thema Frauen/Mädchen steht auf der Tagesordnung beim DFB-Amateurkongress vom 22. bis 24. September, wo wir hoffentlich offen und ehrlich darüber diskutieren können, was die Situation verbessern könnte. Mir fällt da einiges ein.
 
Mit Abpfiff des Finales in Sidney begann für meinen FC Internationale die diesjährige Landesligasaison in Berlin. Das war es dann schon mit den Gemeinsamkeiten. Unsere Männer (die Berliner Frauenligen beginnen erst in zwei Wochen) kicken in diesem Jahr tatsächlich mit zwei Teams in der Landesliga.

Die 1. Herren hatten in Staffel 2 ein Stadtteil-Derby beim Friedenauer TSC nur einen Kilometer Luftlinie von unserem Platz. Inter II musste in der Staffel 1 zum einst ruhmreichen Türkiyemspor, das in Kreuzberg eigentlich direkt an der Grenze zu Schöneberg spielt. Dieses Mal war das geschichtsträchtige Willi-Kressmann-Stadion an der Katzbachstraße aber für ein internationales Frauenturnier vorgesehen. Die Männer mussten vor rund 30 Zuschauern auf dem unfassbar schlechten Kunstrasen in der Blücherstraße ran.

Den fiesen Platz hatten sie mit ihren Kollegen der 1. Mannschaft gemeinsam, denn auch die spielten auf einem Kunstrasen minderer Qualität. Beide sind eigentlich für Hockey konzipiert, sind aber vor allem preisgünstig, warum die meisten Berliner Bezirke sie der deutlich gesundheitsfreundlicheren Variante mit Infill vorziehen. Wir empfehlen übrigens Kork als nachwachsenden Rohstoff, wofür wir vom Tagesspiegel dankenswerterweise gerade als Vorbild erwähnt wurden.

Würde man die Billigvariante wenigstens bewässern können, wäre es noch halbwegs erträglich. Kann man aber nicht. Zur Begrüßung kam uns schon ein Spieler von Türkiyem II mit aufgerissenem Oberschenkel entgegen, immerhin nur ein Loch in der Haut und keiner der zahlreichen Bänderrisse, die durch den Belag schnell entstehen.
 
Aprospos Wasser: Es war heiß, sehr heiß. Ja, es gab auch früher schon Spiele bei 30 Grad, aber jetzt kommt das jedes zweite Wochenende vor. Ich prognostiziere, dass uns die Klimakrise auch im Fußball vor große Herausforderungen stellen wird. Immerhin hielten die Spieler durch, keiner kollabierte. Das Spiel endete 2:0 für Türkiyemspor, auch weil bei unserem Team mehr als 10 Spieler wegen Urlaub, Familienfesten oder Arbeit fehlten. So ist das im Amateurfußball.

Finanzielle Argumente greifen bei der Null-Euro-Politik unseres Vereins nicht, dennoch haben alle Spaß miteinander. Teamgeist kann man sich nicht erkaufen, auch wenn Geld natürlich hin und wieder Tore schießt, auch in der Landesliga. Unsere Jungs wissen, sie werden kein Profi mehr, also geht es bei allem sportlichen Ehrgeiz vor allem um den Spaß und den Zusammenhalt.
 
In unser sehr großen Jugendabteilung mit mehr als 30 Teams gibt es jedoch viele Kinder und Jugendliche, die sich an Berufs-Fußballern und -Fußballerinnen orientieren. Deutsche Idole sind seit einigen Jahren knapp. Bis vor ein paar Jahren eiferten die Torhüter zumindest noch Manuel Neuer nach, doch Kimmich, Rüdiger oder Brandt sieht man eher selten auf den Trikots der Kids. Neben Messi dominieren die Stars der mit arabischen Staatsgeldern aufgepimpten Clubs PSG und ManCity. Die Trikots von Haaland und Mbappé werden auch in Berlin gut verkauft. Die Mädchen tragen meistens Shirts ihres eigenen Vereins, was uns natürlich freut. Ich werde beim großen Feriencamp der 5 bis 12-jährigen in dieser Woche mal eine Analyse machen. Merle Frohms hätte es allemal verdient, dass die Nachwuchs-Keeperinnen ihr nacheifern.
 
Am nächsten Montag geht die Schule wieder los und damit auch das Training für die Jugend. Wir hatten schon im Mai alle Coaches für die mehr als 30 Teams zusammen, ein großes Glück und eine große Leistung unserer sportlichen Verantwortlichen. Ich predige seit vielen Jahren: Eine gute Organisation gewinnt Spiele, Unordnung sorgt für Niederlagen. Beim FC Internationale wird Nachhaltigkeit großgeschrieben, daher versuchen wir auch, eine nachhaltige Jugendarbeit umzusetzen. Am besten so, dass alle respektvoll miteinander umgehen, Menschen aller Milieus mitspielen können, wir gleichzeitig sportlich gute Arbeit leisten und die Persönlichkeit der Kids stärken, vor allem aber Spaß vermitteln. Zu nachhaltiger Jugendarbeit darf ich in Kürze auf einem großen Sportkongress referieren. Anschließend mehr dazu.
 
Wobei es neuerdings ja nicht mehr ums Gewinnen geht. Zumindest erzählen das die Koryphäen des Jugendfußballs Didi Hamann oder Thomas Helmer, auch wenn es ausgemachter Quatsch ist. Es geht vor allem darum, über neue Spielformen (Minifußball/Funino) mehr Spielzeiten und Ballkontakte für alle zu erzielen und bei den Jugendlichen bzw. den Trainern im gehobenen Fußball etwas Druck rauszunehmen. Der hochgeschätzte Kollege Dietrich Schulze-Marmeling schlug jüngst vor, die Jugend-Bundesliga umzubenennen. Ein guter Gedanke, denn diese hat nichts mit der Eliteliga der Erwachsenen zu tun. Der nicht minder geschätzte Kollege Jan-Christian Müller bringt es in einem Kommentar in der Frankfurter Rundschau auf den Punkt.
 
Ich habe beim Aufräumen gerade viele Fotos meiner damaligen E-Jugend gefunden. Die beiden Top-Spieler, die viele schon mit 10 Jahren als Profi gesehen haben (Wenn nicht der, wer dann?), spielen heute mit Mitte 20 nicht mehr. Einer machte immerhin eine veritable Jugendkarriere, wurde sogar als zweitbester Jugendspieler der U17 mit der Fritz-Walter-Medaille gewürdigt (Joshua Kimmich wurde in dem Jahr bei der U19 nur Dritter), ist nach drei Mittelfußbrüchen aber Sportinvalide und hat nicht eine Minute Profifußball gespielt. Der andere will jetzt in der Kreisliga noch zum Spaß kicken.

In einem anderen Jahrgang wurde einer Bundesligaspieler, er kam damals in der jüngeren E-Jugend aber mit seinem Trainer überhaupt nicht klar, wechselt den Verein. Auch ich habe mich oft getäuscht, auf Spieler gesetzt, die heute nicht mehr aktiv sind, gleichzeitig andere vernachlässigt, die heute im Herrenbereich eine sehr gute Rolle spielen. Wir wissen meist selbst in der C- oder B-Jugend nicht, welche Position zu welchem Spieler passt, wer sich wie entwickelt, was dazwischenkommen kann.

Oft wird die Geschichte von Lionel Messi bemüht, auch dass Manuel Neuer in der B-Jugend aussortiert werden sollte. Ich habe David Alaba mit 18 Jahren bei Bayern München II in der Regionalliga im großartigen Karl-Liebknecht-Stadion von Babelsberg 03 gesehen. Er war erst wenige Tage zuvor volljährig geworden. So einen begnadeten Mittelfeldspieler in dem Alter habe ich nicht wieder gesehen. Er wurde völlig zurecht ein Weltstar. Er löste die Probleme der Bayern-Profis auf der linken Abwehrseite. Luis van Gaal sagte: „Er ist ein linker Außenverteidiger, auch wenn er selbst das nicht denkt!“

Heute ist er immer noch Weltklasse, als Innenverteidiger bei Real Madrid. Beim gestrigen Sieg in Almeria spielte neben ihm ein Berliner Junge namens Antonio Rüdiger, der mit 15 zum BVB ging. Da sah er keine Perspektive, gab schließlich beim VfB Stuttgart sein Profidebut. Das erste Spiel seiner Weltkarriere bestritt er mit 18 Jahren. Als rechter Verteidiger.

Gerd Thomas ist Vorstand beim FC Internationale Berlin und schreibt in seiner Kolumne auf Fever Pit’ch, wie es an das Basis zugeht