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Wenn Vereine sterben - was ist mit den Kindern?

Sportvereine sind ein Zuhause für Kinder und Jugendliche, die es nicht so gut haben. Die öffentliche Hand sollte hier eingreifen - aber richtig

Foto: Imago / Hanno Bode

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Was passiert eigentlich, wenn ein Verein plötzlich von der Bildfläche verschwindet? Dieses Szenario ist in Berlin gerade akut. Der skandalumwitterte Oberligist Hertha 06 wurde laut Auszug aus dem Vereinsregister des Amtsgerichts Charlottenburg aufgelöst.

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Viele in der Stadt atmen auf, denn in der Vergangenheit hatten allzu viele Vereine unliebsame Begegnungen oder Vorkommnisse mit dem Charlottenburger Club. Die Spitze war dann ein antisemitisches Interview des Vereinspräsidenten in der Sportschau. Nur wenige weinen dem Verein eine Träne nach.

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Es gibt sogar Stimmen, die werten das Treiben der letzten Jahre als systematische Wettbewerbsverzerrung. Wobei sich der Argwohn vor allem gegen die so genannten Leistungsteams von Männern, A- und B-Jugend richtet.

Trotz der Schieflage wurde vor dem Jahreswechsel munter um Spieler bei anderen Vereinen geworben, nicht selten gab es großspurige Versprechen: Auf die dann nicht zuletzt überehrgeizige Väter von vermeintlichen 16-jährigen Superstars gern hereinfielen. Mitleid muss man mit den Kleinsten haben, denn es spielen auch eine Reihe von Kinderteams in den Berliner Ligen. Was passiert nun mit ihnen?

Es gibt vor allem drei Optionen:

  • Entweder findet sich ein Verein, in dem diese unterschlüpfen und weiterhin trainieren bzw. spielen können. Bei der momentanen Situation eher unwahrscheinlich, denn Jugendtrainer wachsen nicht gerade auf den Bäumen. Und ob die Chemie zwischen bestehenden Verantwortlichen und einem neuen Verein passt, ist zumindest fraglich.
  • Oder der Bezirk überlegt sich, wie er diese nicht unbeträchtliche Anzahl von Kindern rettet. Dafür müsste vermutlich Geld in die Hand genommen werden, denn ein Bezirksamt hat in der Regel kein Knowhow, um eine Fußball-Jugendabteilung führen zu können.
  • Oder Option drei: Die Kinder stehen von heute auf morgen ohne sportliche Betätigung da.

Mag sein, dass sich noch weitere Möglichkeiten auftun. Was dieser Fall aber verdeutlicht: Viele Vereine sind ihren Aufgaben nicht gewachsen oder nehmen sie einfach nicht wahr. Es gibt immer wieder Vorstände, die ihre Prioritäten vor allem bei der ersten Herrenmannschaft sehen, koste es, was es wolle.

Solange Geld aus welchen Kanälen auch immer fließt. Die Gemeinnützigkeit nimmt man gern mit, schließlich hat sie viele Vorteile. Ob auch vollumfänglich gemeinnützig gehandelt wird, soll hier nicht erörtert werden.

Zurück zu den Kindern. Ein so drastischer Fall zeigt neben allen finanziellen und moralischen Abgründen auch, wie wichtig die Rolle von Sportvereinen ist. Charlottenburg wirkt auf den ersten Blick als ein gut betuchter Stadtteil. Doch nicht alles ist Kurfürstendamm, Deutsche Oper oder Schlosspark. Es gibt auch jede Menge Ecken, in denen Kinder wohnen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Lehrkräfte können ein Lied über die vielen Probleme anstimmen.

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Der Sport fängt viele davon zumindest ansatzweise auf. Kinder bewegen sich in den Vereinen dreimal die Woche, sind in gemischten sozialen Umfeldern, erleben Anerkennung und Erfolge, die ihnen im restlichen Leben oft verwehrt bleiben.

Was ist das den Kommunen wert? Es herrscht immer noch die Meinung vor, man würde schließlich Sportanlagen an Vereine überlassen, die sich ja zum Zweck einer sportlichen Vereinigung gegründet haben, sozusagen als gleich denkende Interessengemeinschaft. Im vorliegenden Fall war die Gründung im Jahr 1906!

Die Bedeutung und auch die Aufgaben der Vereine haben sich in den letzten fast 120 Jahren aber deutlich verändert. Gute Sportvereine sind manchmal der sozialen Arbeit näher als der Vermittlung von Torschusstechnik oder Viererkette. Sie sind wesentlicher Bestandteil einer funktionierenden Stadtentwicklung.

Das wird aber höchstens in Sonntagsreden postuliert, wenn überhaupt. Gehandelt wird danach nicht. Während in manchen Jugendzentren drei Sozialarbeiter fünf Jugendlichen gegenübersitzen, pfeifen die Sportvereine auf dem letzten Loch und reißen sich ein Bein aus, um die Betreuung der Kinder und Jugendlichen zu bewerkstelligen. Natürlich wird erwartet, dass dieses ehrenamtlich geschieht.

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Sportvereine müssen als wertvoller Teil der Stadtgesellschaft bewertet werden. Sie sind so unverzichtbar wie Unternehmen, Kultur- und Bildungsinstitutionen. Nun steht es in Berlin um Letztere auch schlecht, aber das darf keine Ausrede sein, schon gar kein Trost.

Der DFB hat vor einigen Jahren die soziale Wertschöpfung von Fußballvereinen hochgerechnet. Ob die gigantischen Zahlen realistisch sind, sei dahingestellt. Sicher ist aber, dass die Kommunen ohne Sportvereine zumindest in den Jugend- und Ordungsämtern, wahrscheinlich auch die Polizei, deutlich mehr zu tun hätten.

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Da die Verwaltungen schon heute eklatant unterbesetzt sind, wäre das ein grausiges Szenario. Man wird auf die leeren Säckel der Kommune verweisen. Ähnlich wie das dickköpfige Festhalten an der Schuldenbremse, war es noch nie eine gute Idee, zu wenig in den Breitensport zu investieren. Die Zahlen über Bewegungsmangel bis hin zu -Unfähigkeit sind gruselig. Übergewicht und chronische Krankheiten haben während der Pandemie weiter zugenommen.

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Wobei es auch anders geht. In Kaiserslautern wurden die roten Teufel einst mit Landes- und kommunalen Mitteln gerettet, der Ministerpräsident machte es zur Chefsache. Andere Beispiele gibt es zuhauf. In Potsdam wurde gerade ein Volleyballteam mit städtischen Mitteln gerettet. Es spielt in der 1. Liga!

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