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Ü60 Fußball: So weit die Füße tragen

Alle sind über 60 Jahre alt, aber hoch motiviert: Ein Spielbericht von den Alten Herren, die im April ihren Deutschen Meister ermitteln

Foto: Imago / U. Gernhoefer

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Wo ist nur die verdammte Pferdesalbe? Ü60 Landesliga Berlin, FC Internationale II gegen Berliner VB, seines Zeichens Spitzenreiter. 63:61. Nein, das ist nicht das Ergebnis, es ist der Altersdurchschnitt der Startformationen. Bei der Ü60 (alle Spieler sind über 60 Jahre alt) sind zwei Jahre Unterschied fast wie zwei Jahre im Jugendbereich.

Wastl, unser österreichisches Bollwerk kann, wegen Fieber nicht auflaufen. Auch Kapitän Matthias muss passen. Holger, Ioni, Mohsen sind zur ersten Mannschaft abkommandiert, die am nächsten Tag ein schweres Spiel hat – und verlieren wird. Iwo, der heute noch vom bulgarischen 2:1-Viertelfinalsieg 1994 (Letschkow und Stoichkow gegen die DFB-Elf mit Matthäus, Völler, Klinsmann und anderen Größen) schwärmt, versucht kurzfristig noch einen Spieler zu akquirieren. Der ist aber gerade in Köln. Jörn steht im Stau. Es hilft nichts, wir müssen ohne Auswechselspieler starten. Immerhin kommt Jörn zwölf Minuten nach Anpfiff, aber da muss unser reaktivierter marokkanischer Dauerläufer Dalamine wegen Hüftproblemen raus. Das kann ja lustig werden.

Die Außenbedingungen sind alles andere als einladend. Helgoländer Wetter, fünf Grad und Windböen. Der unerfahrene Schiedsrichter, um die 60 Jahre alt, hat die Farben seiner Wahlmünze einfach mal für beide Teams festgelegt. Ich kriege gegen meine Gewohnheit schwarz. Die Münze fällt auf rot, womit ich die Platzwahl verliere. Lichtenberg darf in der ersten Halbzeit mit der Flut spielen und drängt uns gleich hinten rein. Schuss um Schuss geht in Richtung unser Tor. Aber bis auf einen, bei dem wir Glück haben, gehen alle weit vorbei. Ein starker Alleingang bringt nach einem noch stärkeren Abspiel doch noch den Führungstreffer für die Gäste. Kurz danach muss unser Keeper Mazin heldenhaft retten. Ärgerlich, aber mit 0:1 in die Pause gehen, das hätten wir vor dem Spiel unterschrieben. Erstmal in die Kabine und durchatmen.

Pünktlich zur zweiten Hälfte kommt neben Böen auch noch Starkregen dazu. Warum tun sich Männer mit mehr als 60 Jahren das an? Freiwillig!!! Wir lachen leicht irre und zeigen uns selbst einen Vogel. Die Lichtenberger lassen sich Zeit und uns frieren. Anfängerfehler, zuerst rauszugehen, man lernt eben nie aus.

Iwo schlägt vor, jetzt draufzugehen. Ohne Auswechselspieler gegen den Tabellenführer!!! Ich schlage vor, weiter tief zu stehen und vorne auf den Fußballgott zu hoffen. Der schlägt dann tatsächlich zu, in Person von Iwo. Von der Mittellinie zieht er mit der Pieke ab, der Keeper ist eingefroren, der Ball bekommt eine eigenwillige Flugkurve, setzt auf und landet zum Ausgleich im Netz. Ein Schuss, ein Tor, keine schlechte Quote.

Der Spielmacher der Lichtenberger ruft seinen Mitspielern zu: „Jungs, jetzt müssen wir uns strecken!“ Und sie strecken sich. Ein langer Pass in die Tiefe, der Stürmer ist schneller als unser Keeper und netzt sehenswert ein. Mist! Zwei Minuten später das 1:3. Wieder ein starker Pass des überragenden Achters in den Rücken der Abwehr, Abschluss, Tor.

Der Käse ist gegessen. Denken zumindest alle! Jörn entschließt sich, mit nach vorne zu gehen. „Zieh ab!“ Und Jörn zieht ab. Der Keeper ist immer noch nicht aufgetaut, lenkt den strammen Schuss gegen die Unterkante der Latte, nur noch 2:3 und drei Minuten Nachspielzeit. Daraus werden fünf. Begründung des Schiris: „Die haben so lange gejubelt.“ Noch ein Versuch eines Angriffs, aber die Erschöpfung siegt, damit Lichtenberg auch. Gut gekämpft, aber eine Niederlage mit einem Tor ist einfach unbefriedigend.

Immerhin: Die Duschen sind nach sieben Wochen Kaltwasser wieder heiß. Der Bezirk bekam keine Handwerker, also haben wir uns kurzerhand selbst geholfen. Der Trainer der 2. Frauen ist Fachmann. Die Pferdesalbe ist immer noch nicht auffindbar. Noch ein Radler zum Abschluss, kurze Analyse, Klamotten auswringen. Was für ein gebrauchter Abend.

Was tun sich Männer jenseits der 60 an? Abends um 21 Uhr - mitten in Deutschland! Hätte mein Vater mir vor 33 Jahren gesagt: „Ich gehe zum Spiel!“, ich hätte ihn ausgelacht. Mein Sohn trainiert mit den Männern auf dem Großfeld und zeigt zumindest ein wenig Mitgefühl.

Die Zeiten ändern sich, inzwischen gibt es schon Ü70-Teams. Gut so. Unsere wollen nicht Walking Football spielen, zu langsam. Aber sie haben Mühe, regelmäßig ein Team zusammenzukriegen. Verletzungen dauern im Alter eben immer länger. Als ich ins Auto einsteigen will, liegt vor dessen Tür eine grüne Tube mit rotem Deckel, darauf ein gezeichneter Gaul. Doch noch ein Erfolgserlebnis.

Das müsst ihr über Walking Football wissen
Gesundheit und Gemeinschaft – darum geht es beim Walking Football. FUSSBALL.DE beantwortet die wichtigsten Fragen rund um den “Geh-Sport”.
  • Fun Fact: Allein in Berlin spielen 65 Mannschaften im Bereich der Ü60 und über 100 Teams bei der Ü50. Am 20. April wird in Düsseldorf die Deutsche Meisterschaft der Ü60 ausgetragen. Der FC Internationale tritt als Sieger des Nordostdeutschen Verbands an und trifft unter anderem auf den FC Bayern.

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