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Tradition ist kein Erfolgsgarant

Im Fußball galten schon immer andere Gesetze, war Wettbewerbsverzerrung zugunsten von Tradition stets ein geduldetes Kavaliersdelikt

|10. Dezember 2024|
Oberliga

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Kürzlich spielten unsere 2. Herren gegen die 1. Mannschaft von Blau-Weiß 90. Der ehemalige Bundesligist („Wir sind heiß auf Blau-Weiß“) und ungeschlagene Spitzenreiter kam mit einem blauen Auge davon. Die sündhaft teure Truppe besteht ausschließlich aus Spielern mit Erfahrung aus höheren Ligen, der Kapitän durfte sogar mal ein paar Minuten in der Bundesliga gegen die großen Bayern ran. Ganz klar, nach zwei Abstiegen in Folge sieht Blau-Weiß das Dasein in den Niederungen der Landesliga nur als einen Betriebsunfall, der schnellstens wieder schnellstens wieder behoben werden muss.

Man darf gespannt sein, wohin der Weg in den nächsten Jahren führt. Eigentlich wollte der Präsident längst in der 3. Liga sein, aber das wollten schon einige. „Tradition schießt keine Tore“ lautet nicht nur der Titel eines viel beachteten Buches über die Herausforderungen von Werder Bremen im modernen Fußball. Der Spruch gilt auch jeden Sonntag wieder für andere Vereine, die schon deutlich bessere Zeiten gesehen haben. Bekannt ist das Schicksal ehemaliger Bundesligisten wie Borussia Neunkirchen (6. Liga), Wattenscheid, Tasmania, Tennis Borussia (alle 5. Liga) oder eben Blau-Weiß 90 (7. Liga).

Sieht man sich die ewige Tabelle der 2. Bundesliga an, sind sage und schreibe zwölf Vereine schon aufgelöst, darunter so illustre Namen wie Olympia Wilhelmshaven, Spandauer SV oder Göttingen 05. In meinem Büro hängt ein Plakat mit dem Spieltag der Berliner Oberliga aus den 1950er-Jahren. Namen wie Wacker 04, Westend 03 oder Alemannia 90 standen auf der Ankündigung. Rapide Wedding, Kickers 1900 oder Minerva 93 waren ebenfalls Größen, natürlich auch der älteste deutsche Fußballclub, der BFC Germania 1888. Heute sind sie allesamt ganz unten angekommen, in den Kreisligen.

Man ahnt, was sich in einigen Vereinsheimen, Ordnern oder auch Schuhkartons an Schätzen verbirgt. Das Casino von Germania 88 ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Nicht alle Traditionsvereine haben die Krisen gut überstanden, Blau-Weiß musste nach einer Insolvenz sogar in der untersten Liga wieder anfangen. Anders als noch heute hochspielende Vereine wie Kaiserslautern, Dortmund, Schalke oder Hertha BSC, die eigentlich auch hinüber waren. Es war auch im Fußball schon immer so: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen! Die „Roten Teufel“ wurden gar vom Steuerzahler in Vertretung eines Ministerpräsidenten gerettet, anderen wurden Stadionmieten gestundet oder bemerkenswerte Sponsoringdeals mit kommunalen Firmen vermittelt. Im Fußball galten schon immer andere Gesetze, war Wettbewerbsverzerrung zugunsten von Tradition stets ein geduldetes Kavaliersdelikt.

Man mag Heidenheim belächeln und die mangelnde Zugkraft beklagen. Aber der Verein hat sich im sportlich fairen Wettbewerb von der Landesliga bis in die Eliteklasse hochgekämpft. Genau wie Elversberg, die um den Aufstieg in die Bundesliga mitspielen oder Sandhausen, das bis in die 2. Liga emporstieg und einst sogar die Millionen eines Dietmar Hopp ausschlug. Natürlich geht das nur mit Sponsoren. Nur auf einen Menschen angewiesen zu sein, ist nicht zu empfehlen. An hunderten von Beispielen kann man im Profi- und Amateurfußball sehen, dass die Abhängigkeit von einzelnen Mäzenen oder Gönnern in der Regel den Tod auf Raten einläutet. Es empfiehlt sich also, auf vielen Füßen zu stehen, auch im Breitensport.

Vereinserfolge, die lange zurückliegen, sollte man nach dem alten Spruch bewerten: „Wir wollen nicht trauern, dass wir sie verloren haben, sondern dankbar sein dafür, dass wir sie gehabt haben und in unserer Erinnerung auch jetzt noch besitzen.“ Viele, die mal weit oben waren, glauben, sie müssten dort wieder hin. Manchmal mit zweifelhaften Mitteln. Glücklich werden diese Vereine in der Regel nicht.

Veränderung gehört zum Wesen des Sports. Es können und sollten nicht immer dieselben gewinnen. Im Idealfall haben alle die gleichen Voraussetzungen und Bedingungen, was natürlich eine Utopie ist. Aber hätten alle ein und denselben Etat, würde sich am Ende tatsächlich die größte Qualität der Arbeit durchsetzen – theoretisch zumindest. Machen wir uns nichts vor, an einem halbwegs ausgeglichenen Wettbewerb haben die Platzhirsche kein Interesse.

Vielleicht sind gerade in diesen unruhigen Zeiten ohnehin andere Werte gefragt, z. B. eine gute Jugendarbeit oder ein möglichst breites Angebot. Soziales Engagement oder einfach Solidarität und Zusammenhalt, indem Räume geschaffen werden, die von jungen, aber auch älteren Menschen genutzt werden. Es wäre schön, wenn die Medien von diesen Dingen mehr Notiz nähmen. Denn eigentlich ist eine engagierte Arbeit in einem Breitensportverein doch viel interessanter als ein 0:0 zwischen Augsburg und Hoffenheim oder Leipzig und Union.