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Bei der 0:2-Niederlage von St. Pauli gegen Heidenheim war oft von Lehrgeld war die Rede. St. Pauli lief beim 0:1 nach eigener Ecke in einen mustergültigen Konter. Spätestens jetzt ist allen am Millerntor klar, dass es nur ums Überleben geht. In fast allen Tabellentipps stehen die Kiezkicker auf den Plätzen 16 bis 18. Doch warum wird es für St. Pauli extra schwer?
Es ist so simpel wie kompliziert: Der Klub hat keinen Mittelstürmer, auf den er sich verlassen kann. Sicher, sie haben den Aufstieg in die erste Liga auch ohne 10-Tore-Mittelstürmer geschafft. Warum brauchen sie also jetzt unbedingt einen, um den Klassenerhalt schaffen?
Das liegt an der speziellen Art, wie St. Pauli im vergangenen Jahr die Tore erzielt hat.
Spielmacher Marcel Hartel war im Aufstiegsjahr der Topscorer mit 17 Toren und 12 Assists. Der spielt nun bei St. Louis in der MLS. Mit ihm war die Auferstehung von Johannes "Jojo" Eggestein und Oladapo Alofayan (jeweils 9 Tore) der Schlüssel zum Aufstieg. Was ist nun das Problem?
St. Pauli muss einen komplett anderen Fußball spielen als im Unterhaus. Für lange Ballbesitzphasen und attraktives Kurzpassspiel bleibt selten Zeit. Aufsteiger müssen oft lange Bälle spielen und Flanken schlagen. Es ist hilfreich, dass der neue Trainer Alexander Blessin einen anderen Ansatz wählt als Vorgänger Fabian Hürzeler. Nur hat St. Pauli auch das, Vorsicht Triggerwarnung, Spielermaterial?
Eggestein hat nie bewiesen, dass er in der Bundesliga ein verlässlicher Torjäger sein kann, schon gar nicht als alleiniger Mittelstürmer. Gegen Heidenheim war es schon ungemein schwer für ihn. Es wäre schlicht unfair, jetzt von ihm zu verlangen, ganz St. Pauli auf seine Schultern zu nehmen.
Auch Neuzugang Morgan Guilavogui ist wie Alofayan eher ein Rechtsaußen. Laufwunder und Kopfballungeheuer Jackson Irvine, letztes Jahr sechs Tore, wird im defensiven Mittelfeld gebraucht. Wo sollen die Tore also herkommen?
St. Pauli braucht eigentlich einen groß gewachsenen Neuner, der 10 bis 15 Tore garantiert. Blicken wir einmal auf die Aufsteiger der vergangenen fünf Saisons und ihre torgefährlichsten Mittelstürmer.
Aufsteiger, die die Klasse hielten
- 2020: 1.FC Köln mit Jhon Cordoba (14 Tore)
- 2020: Union Berlin mit Sebastian Andersson (12 Tore)
- 2021: VfB Stuttgart mit Sasa Kalajdzic (17 Tore)
- 2021: Arminia Bielefeld mit Fabian Klos (5 Tore)
- 2022: VfL Bochum mit Sebastian Polter (11 Tore)
- 2023: Werder Bremen mit Niclas Füllkrug (16 Tore)
- 2024: 1. FC Heidenheim mit Tim Kleindienst (14 Tore)
Aufsteiger, die direkt wieder abstiegen:
- 2020: SC Paderborn mit Streli Mamba (5 Tore)
- 2022: Greuther Fürth mit Branimir Hrgota (9 Tore)
- 2023: Schalke 04 mit Simon Terodde (5 Tore)
- 2024: Darmstadt 98 mit Oscar Vilhelmsson (4 Tore)
Die Spieler der ersten Liste waren allesamt ein Fall für zwei Innenverteidiger. Sie mussten vom Gegner 90 Minuten lang respektiert werden. Fabian Klos schoss zwar nur fünf Tore, war aber ungemein wichtig als Anspielstation für lange Bälle. Klos gewann in der genannten Saison 240 Kopfballduelle, damit ligaweit auf Rang 1, gefolgt von Mats Hummels mit 168. Dafür braucht es spezielle Skills. Es reicht nicht aus, einfach 1,90 Meter groß zu sein. Simon Terodde ist der beste Zweitliga-Torjäger der Geschichte, setzte sich aber auch wegen dieser Schwäche (2023 nur 85 gewonnene Kopfballduelle) nie im Oberhaus durch.
Diese Statistiken sind nichts Neues. Schon gar nicht für die Sportchefs der Liga. Was macht die Stürmersuche also so kompliziert? Der Stürmermarkt ist stark überhitzt. Haris Tabakovic wechselte als 30-jähriger für fünf Millionen von Hertha zu Hoffenheim. Das kann sich nicht jeder leisten. Ragnar Ache (Kaiserslautern) ist u.a. bei Union Berlin im Gespräch und als 23-Jähriger vermutlich noch teurer. Bei solchen Summen kann und will St. Pauli schlicht nicht mithalten. Sportchef Andreas Bornemann ist überhaupt nicht für risikoreiche Transfers bekannt.
Zum Vergleich: Bei Mitaufsteiger Holstein Kiel sieht die Lage etwas besser aus. Die Offensive hatte beim 2:3 in Hoffenheim Chancen für fünf Tore. Mittelstürmer Benedict Pichler hatte einen durchschnittlichen Tag, aber sein Teamkollege Shuto Machino, eher der Typ Neuneinhalber, sah schon deutlich reifer aus. Kiels Probleme scheinen eher in der Defensive zu liegen.
St. Pauli muss nochmal wirklich in sich gehen. Alles andere an diesem Team ist erstligareif, auf wie neben dem Platz. Die Euphorie ist jetzt noch frisch. Die wird schnell verfliegen, wenn die Bosse wichtigste Baustelle nicht angehen.