Aktuelle Videos

Auge an Rudi: Ein Foul, das Geschichte schrieb

Bayern und Werder sind sich seit Jahrzehnten nicht grün. Den Grund findet man im Jahr 1985, als Klaus Augenthaler Rudi Völler ausschaltete

|17. Januar 2024|
Auge an Rudi: Ein Foul
Auge an Rudi: Ein Foul

Foto: Imago / Werek

Inhaltsverzeichnis

Der am häufigsten ausgetragenen Bundesliga-Paarung Bayern München gegen Werder Bremen (113) mangelt es natürlich nicht an Geschichten und Aufregern. Die bekanntesten sind sicher der Kutzop-Elfmeter (1986) und das in dieser Serie schon beleuchtete Einwurftor von Uwe Reinders (1982).

Beide Possen spielten in Bremen. Aber die Geschichte, die das Verhältnis beider Vereine am längsten prägte, trug sich dort zu, wo sich die Mannschaften auch zum Start der Rückrunde 2023/24 treffen. In München – wenn auch in einem anderen Stadion. Man sollte sich warm anziehen. Es liegt Schnee im November 1985.

Auf ihrem Weg zur Titelverteidigung haben es die Bayern 1985/86 mit einem hartnäckigen Rivalen zu tun: Werder Bremen. Otto Rehhagels Mannschaft spielt in der vierten Saison nach dem Aufstieg wie schon im Vorjahr, als sie erst am letzten Spieltag auf Platz zwei verwiesen wird, um den Titel mit.

Am 16. Spieltag reisen sie mit drei Punkten Vorsprung nach München und können die Herbstmeisterschaft fix machen, die damals die Bezeichnung noch verdiente. Denn wir schreiben erst den 23. November, München zeigt sich den Bremern allerdings schon im Wintergewand.

Der Platz muss freigeschippt werden, hinter den Toren und auf den Rängen häufen sich die Schneeberge. Auch die selbst für damalige Zeit ungewöhnlich niedrige Zuschauerzahl (37.000) im halbleeren Rund des Olympiastadions deutet auf ungemütliche Umstände hin.

Und ungewöhnlich soll es dann auch auf dem Rasen werden. Die von den sich in herzlicher Abneigung gegenüberstehenden Trainern Udo Lattek und Rehhagel angeleiteten Mannschaften schenken sich rein gar nichts. Schiedsrichter Gerhard Theobald wird hinterher „vom schwierigsten Spiel meiner Amtszeit“ sprechen.

Der Kampf um die Herbstmeisterschaft 1985/86 bleibt nämlich vor allem wegen seiner Ruppigkeit in Erinnerung. Wobei die Münchner mit schlechtem Beispiel vorangehen. Sie verteidigen die frühe Führung durch ein Tor von Norbert Nachtweih mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln.

Nach 17 Minuten fällt Libero Klaus Augenthaler den auf ihn zu sprintenden Nationalstürmer Rudi Völler. Mag sein, dass er den Ball treffen will. Aber der Bremer überschlägt sich mehrmals, krümmt sich vor Schmerz. Beim Sturz verletzt er sich – und muss nach minutenlanger Behandlung ausgewechselt werden.

Er wird bis zum Rückspiel im April mit Adduktorenabriss ausfallen. Augenthaler sieht Gelb, ist aber für die Öffentlichkeit der Buhmann. Sein Statement macht es nicht besser: „Ich habe selbst den ganzen Knöchel offen. Wenn es ein absichtliches Foul gewesen wäre, dann hätte ich ihn mit den Stollen oder dem Schuh getroffen.“

Für die Bayern war Völler einfach zu schnell
Für Werder-Stürmer Rudi Völler bargen die Spiele gegen die Bayern in der Saison 1985/1986 eine besondere Tragik. Ein rüdes Foul von Klaus Augenthaler war der Anfang vom Ende der Meisterträume.

Bekenntnisse eines Verteidigers in den Achtzigern… Aber er hat ihn gefoult und die Bremer müssen die Partie ohne ihren besten Stürmer zu Ende bringen. Nach dem Ausgleich von Thomas Schaaf wähnen sie sich auf der Siegerstraße, als Lothar Matthäus nach einem Foul an Bruno Pezzey vom Platz fliegt (44.).

Doch typisch Bayern: Das löst eine Trotzreaktion aus, und der eingewechselte Dieter Hoeneß trifft zweimal. Sie siegen in Unterzahl mit 3:1. Punkte, die am Ende von Bedeutung sein werden. Die Herbstmeisterschaft aber gewinnen sie nicht, die fährt Werder Bremen in der Woche darauf trotzdem ein – ohne Völler.

Zuvor, auf der Pressekonferenz in München, fliegen die Giftpfeile. Rehhagel sagt, er wisse „gar nicht mehr, was ich mit dem Jungen machen soll. Wo immer wir hinkommen, wird er brutal gefoult und nieder gemacht. Normalerweise kann ich den Rudi gar nicht mehr aufstellen.“

Latteks Replik ist nicht sehr einfühlsam: „Wir spielen ja nicht Tischtennis oder Schach.“  Etwas mitfühlender der Kommentar von Dieter Hoeneß, der zugibt, dass wegen der Angst vor einer Niederlage und eines Fünf-Punkte-Rückstands – bei damals zwei pro Sieg – „wohl einige übers Ziel hinaus geschossen“ wären.

Den Eindruck hat Werder-Präsident Dr. Franz Böhmert schon zur Pause, als er in die Umkleidekabine stürzt und sagt: „Wir haben nur noch ein Ziel: gesund nach Hause zu kommen. Sieg oder Punktgewinn sind völlig unwichtig.“ Mit dem Abpfiff ist dieses Spiel noch lange nicht vorbei.

Augenthaler erhält Morddrohungen, sein Anwesen Polizeischutz. Beim nächsten Auswärtsspiel in Mönchengladbach wird er 90 Minuten ausgepfiffen und fühlt sich als „Freiwild“. Ein Rudi Völler ist eben schon damals extrem populär, das Foul erscheint mit jeder TV-Wiederholung brutaler.

Völler verzeiht ihm zwar noch im Krankenbett („nicht mit Absicht gemacht“) und akzeptiert Fouls „als realistischen Teil meines Jobs“, fällt aber ein halbes Jahr aus. Warum, darüber gibt es schon bald einen Ärztestreit. War es gar nicht das Foul, sondern die von Bayern-Doc Müller-Wohlfahrt diagnostizierte „weiche Leiste“?

Dass DFB-Teamchef Franz Beckenbauer in seinem, aber auch irgendwo im Interesse seines Klubs Rudi Völler ausgerechnet zum Bayern-Arzt schickt, vergiftet das Klima zwischen den Parteien zusätzlich. Der FC Bayern will Augenthaler reinwaschen, so der Vorwurf.

Tatsächlich verlangt Münchens Präsident Fritz Scherer am Tag der Operation am 17. Februar 1986 (drei Monate nach dem Foul) eine Bremer Presseerklärung, dass Augenthalers Foul nicht ursächlich war. Werder lehnt brüskiert ab und setzt eine Pressekonferenz an.

Man beharrt auf der Gegendiagnose des eigenen Vereinsarztes Fritz Meschede und des belgischen Operateurs Dr. Martens. Den vermittelt übrigens auch ein Bayern-Spieler – Torwart Jean-Marie Pfaff. Wie es wirklich gewesen ist, wird öffentlich nie geklärt. Aber Müller-Wohlfahrt irrt eher selten…

Beobachter sind sich einig, dass dieses Spiel und die Folgen die bittere Rivalität zwischen Vertretern beider Vereins auf Jahre prägten. „Bei diesem Spiel fing die innige Freundschaft zwischen Uli Hoeneß und Willi Lemke an“, witzelte der betroffene Rudi Völler Jahrzehnte später.

Nicht immer heilt die Zeit alle Wunden, in diesem Fall aber war es so. Zum Glück, denn es ist ja nur Fußball.

  • Fun Fact 1: Völler feierte sein Comeback ausgerechnet im Rückspiel und holte nach seiner Einwechslung am 22. April 1986 den (unberechtigten) Kutzop-Elfmeter heraus. Die ausgleichende Ungerechtigkeit war nicht von Belang, da Kutzop den Elfmeter, der Werder zum Meister gemacht hätte, verschoss. Am Ende lachten wieder die Bayern.
  • Fun Fact 2: Im Juli 1990 wurden Augenthaler und Völler Seite an Seite Weltmeister in Rom.
  • Fun Fact 3: Im Mai 2003 verpflichtete Leverkusen mit Sportdirektor Völler Augenthaler als Trainer, der Bayer 04 vor dem Abstieg rettete.