Matthäus erklärt, was Nagelsmann besser machen muss
Rekordnationalspieler fordert mehr Konstanz und weniger taktische Änderungen.

IMAGO/Jan Huebner
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Lothar Matthäus fordert Konstanz, Julian Nagelsmann würde sie gerne liefern. Doch die Realität der deutschen Nationalmannschaft offenbart ein Problem, das tiefer liegt als jede Systemdiskussion. Wenn vor den WM-Qualifikationsspielen gegen Luxemburg und Nordirland mit Marc-André ter Stegen, Jamal Musiala, Antonio Rüdiger, Kai Havertz und Tim Kleindienst fünf Stammspieler verletzt fehlen und Nick Woltemade erkrankt nachreist, dann zeigt das: Die deutsche Nationalmannschaft hat kein Taktikproblem. Sie hat ein Belastungsproblem.
Matthäus‘ Forderung nach Konstanz in Taktik und Personal klingt vernünftig, fast schon banal. Natürlich braucht eine Mannschaft eingespielte Abläufe, natürlich müssen Automatismen entstehen. Selbst gegen Luxemburg, argumentiert der Rekordnationalspieler, könne man diese einstudieren. Das stimmt. Nur: Mit welchem Personal? Nagelsmann kann schlecht Automatismen mit Spielern trainieren, die im Krankenhaus liegen oder bei ihren Vereinen Reha-Übungen absolvieren. Die Forderung nach Konstanz wird zur Farce, wenn die Realität permanente Improvisation erzwingt.
Alonso-System als Vorbild für Deutschland
Das eigentlich Interessante an Matthäus‘ Vorstoß ist sein konkreter taktischer Vorschlag: Ein 3-4-2-1-System nach dem Vorbild von Xabi Alonsos Meister-Leverkusen. Die Formation mit zwei Schienenspielern statt klassischen Flügelstürmern würde tatsächlich zum aktuellen deutschen Spielermaterial passen. Leroy Sané kommt ohnehin kaum mehr zum Einsatz, Chris Führich spielt keine Rolle, und selbst Serge Gnabry interpretiert seine Rolle zunehmend zentraler. Die klassischen Außenstürmer sind in der Nationalmannschaft bereits marginalisiert. Warum also nicht konsequent auf ein System umstellen, das diese Realität abbildet?
Doch auch hier zeigt sich das Dilemma: Alonsos System funktioniert in Leverkusen, weil er es über Monate mit einem weitgehend stabilen Kader entwickeln konnte. Nagelsmann hat diese Zeit nicht. Er hat Länderspielpausen, in denen er nehmen muss, wer gerade fit ist. Die aktuelle Verletzungssituation macht jede langfristige Planung zur Makulatur. Rüdiger fällt drei Monate aus, ter Stegen kommt frühestens zum Jahresende zurück, Kleindiensts Meniskus hält ihn bis November außer Gefecht.
Deutschland im Teufelskreis
Die deutsche Nationalmannschaft steckt in einem Teufelskreis: Die Vereine belasten ihre Spieler bis zur Verletzung, die Nationalmannschaft bekommt die Reste und soll daraus eine funktionierende Einheit formen. Matthäus hat recht mit seiner Forderung nach Konstanz. Aber solange der Klubfußball die Spieler verschleißt wie Einwegprodukte, bleibt Nagelsmann nur die Rolle des Krisenmanagers. Das ist das eigentliche Drama des deutschen Fußballs: Nicht die Systemfrage, sondern die Systemüberlastung.