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Sons Abschied offenbart die Grenzen der Perfektion
Heung-min Sons Wechselwunsch könnte Tottenham vor eine sportliche und emotionale Herausforderung stellen.

IMAGO/Nexpher Images
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Heung-min Son hat alles richtig gemacht. Zehn Jahre, 454 Spiele, 173 Tore, 101 Vorlagen, ein Europa-League-Titel. Die Zahlen dokumentieren eine makellose Karriere bei Tottenham Hotspur. Und genau das ist das Problem. Der 33-jährige Südkoreaner verlässt die Spurs nicht trotz, sondern wegen seiner Perfektion. Seine Ankündigung in Seoul wirkt wie eine Kapitulation vor der eigenen Vollendung.
„Mit dem Titelgewinn in Europa hatte ich das Gefühl, alles erreicht zu haben, was ich erreichen konnte“, sagte Son. Ein bemerkenswerter Satz. Nicht weil er falsch wäre, sondern weil er so erschreckend endgültig klingt. Hier spricht kein Spieler, der nach neuen Herausforderungen sucht. Hier spricht jemand, der seine sportliche Biografie für abgeschlossen erklärt.
Der wahrscheinliche Wechsel zu Los Angeles FC passt ins Bild. Die MLS ist längst zum Altersheim des Weltfußballs geworden, ein Ort, an dem Stars ihre letzten Schecks kassieren und ihre Marke pflegen. Sportlich ist es ein Abstieg, finanziell eine Bestätigung. Son reiht sich ein in die Riege derer, die den Wettkampf gegen die Kontoauszüge eintauschen.
Für Tottenham ist der Verlust dramatischer als jede Niederlage. Son war mehr als seine Statistiken. Er verkörperte eine Identität, die der Klub seit Jahren sucht: Beständigkeit in einer Liga der Milliardäre, Loyalität in Zeiten der Söldner. Mit ihm verlieren die Spurs nicht nur einen ihrer produktivsten Spieler aller Zeiten. Sie verlieren das letzte Bindeglied zu einer romantischeren Vorstellung von Klubfußball.
Thomas Frank, der neue Trainer, hätte sehr gerne mit diesem fantastischen Menschen zusammengearbeitet. Der Konjunktiv sagt alles. Frank erbt eine Mannschaft, der ihre Seele abhandenkommt. Sons Nachfolger wird nicht nur 173 Tore ersetzen müssen. Er wird eine Lücke füllen müssen, die größer ist als jede Spielposition: die zwischen Verein und Fans, zwischen Tradition und Moderne.
Sons Entscheidung ist konsequent und trotzdem falsch. Sie zeigt, dass selbst die treuesten Profis irgendwann der Logik des modernen Fußballs erliegen. Wenn sogar ein Spieler wie Son seine Karriere in der Bedeutungslosigkeit ausklingen lässt, was sagt das über den Zustand des Sports? Die Antwort liegt in Seoul, wo ein Kapitän seinen Abschied verkündete und dabei klang, als würde er sich selbst begraben.