Schalkes stille Revolution
Frank Baumann verspricht keine Wunder, sondern Strukturen: Dafür bekam der Sportvorstand donnernden Applaus

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Raphael Brinkert wollte den großen Wurf. Der Marketing-Experte und frühere Wahlkampfmanager von Olaf Scholz trat an, um Schalkes Aufsichtsrat aufzumischen. 577 von 2235 Stimmen – das Ergebnis ist eine schallende Ohrfeige. Nicht für Brinkert, sondern für jeden, der glaubte, auf Schalke sei Platz für unbequeme Querdenker in Führungspositionen.
Das Votum offenbart die Mechanik eines Vereins, der sich gerade neu erfindet und dabei alte Reflexe nicht ablegen kann. Brinkerts Scheitern zeigt, dass kritische Stimmen in der Vereinsführung wenig Rückhalt finden. Wer hinterfragt, wird abgestraft. Die Basis will Harmonie, keine Debatten. Nach Jahren des Chaos ist das verständlich, aber auch gefährlich. Ein Verein, der Widerspruch als Bedrohung empfindet, verliert seine Innovationskraft.
Gleichzeitig feiert dieselbe Basis Frank Baumann mit Standing Ovations. Der neue Sportvorstand erhält viel Applaus für seine Arbeit, was auf eine positive Entwicklung hinweist. Baumann verspricht keine Wunder, sondern Strukturen. Er spricht von Demut und Bodenhaftung – Vokabeln, die auf Schalke lange fremd klangen.
Mit Trainer Miron Muslic hat er einen Mann geholt, der Arbeit über Attitüde stellt. Dass Norbert Elgert mindestens eine weitere Saison bleibt, ist das einzige Versprechen an die Tradition, das Baumann macht. Mehr braucht es nicht.
Fans sind Segen und Fluch zugleich
Die wahre Botschaft des Abends versteckt sich in einer Zahl: 204.000 Mitglieder machen Schalke zum sechstgrößten Verein weltweit, was die Bedeutung der internen Politik unterstreicht. Diese Masse ist Segen und Fluch zugleich. Sie garantiert wirtschaftliche Stabilität, aber sie zementiert auch Machtstrukturen. Wer 204.000 Menschen hinter sich weiß, muss keine Experimente wagen. Die schiere Größe wird zum Argument gegen Veränderung.
Selbst Matthias Tillmann, vor einem Jahr noch Hassfigur, erntet nun Applaus für Mitgliederzahlen. Die einzige Aufregung des Abends? Der Bierpreis steigt. Das ist die neue Normalität auf Schalke: Man echauffiert sich über Nebensächlichkeiten, während die großen Fragen ungestellt bleiben.
Die Führung darf weitermachen, solange die Zahlen stimmen. Kritiker wie Brinkert kommen nicht zum Zuge. Das mag kurzfristig für Ruhe sorgen. Langfristig aber braucht ein Verein dieser Größe mehr als Harmonie. Er braucht Reibung, Diskurs, neue Impulse. Die Mitglieder haben anders entschieden. Sie wollen ihre Ruhe. Ob sie damit auch Erfolg bekommen, wird sich zeigen. Aber man muss es akzeptieren.



