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Livestreamer und die Transformation des Sportjournalismus
Fan-Streamer wie Goldbridge verändern den Fußballkonsum: Live-Kommentare und Interaktion schaffen eine neue Verbindung zwischen Spiel und Fans

Kyle Mattison aka ˜The Padded Seat beim Spobis in Hamburg. Foto: IMAGO/Justus Stegemann
Von Klaus-Martin Meyer
Die Art, wie Fußball konsumiert und diskutiert wird, hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt. Während traditionelle Medienhäuser wie Sky oder DAZN die Übertragungsrechte für Spiele der Bundesliga, der Champions League oder internationaler Ligen dominieren, entsteht parallel eine neue Medienlandschaft: Livestreamer auf Plattformen wie YouTube und Twitch veranstalten sogenannte Watchalongs, kommentieren live Spiele, die oft nur im Pay-TV zugänglich sind, und bieten Fans eine interaktive, emotionale Alternative.
Diese Entwicklung markiert nicht nur einen technologischen Wandel, sondern auch eine kulturelle Verschiebung, in der Fans von passiven Konsumenten zu aktiven Akteuren werden. Doch während englischsprachige Streamer wie Thogden oder Mark Goldbridge globale Reichweiten erzielen, bleibt die deutschsprachige Szene trotz ihrer Authentizität und Leidenschaft medial weitgehend unsichtbar. Dieser Beitrag analysiert das Phänomen der Livestreamer im Kontext des Sportjournalismus, beleuchtet dessen Potenzial und Herausforderungen und fordert eine Neudefinition der journalistischen Wahrnehmung dieses neuen Medienformats.
Kind der digitalen Ära
Watchalongs – das synchrone Kommentieren von Fußballspielen in Echtzeit – sind ein Kind der digitalen Ära. Anders als traditionelle TV-Kommentatoren, die eine distanzierte, analytische Perspektive einnehmen, zeichnen sich Livestreamer durch ihre Nähe zur Fanbasis aus. Sie sind keine neutralen Beobachter, sondern leidenschaftliche Unterstützer, die Emotionen, Fankultur und subjektive Meinungen in den Vordergrund stellen. Durch Plattformen wie YouTube und Twitch, die Live-Interaktionen mit Zuschauern via Chat ermöglichen, schaffen sie eine hybride Form aus Unterhaltung, Community-Building und Sportberichterstattung. Besonders Pay-TV-Spiele, die hinter Abonnementschranken von Anbietern wie Sky (jährliche Kosten: ca. 360 Euro) oder DAZN (ca. 44,99 Euro monatlich für den Standardtarif) liegen, werden durch Watchalongs emotional zugänglicher gemacht, da sie eine kostenlose, interaktive Zweitbildschirm-Erfahrung bieten.
Die technische Infrastruktur dieser Streams ist bemerkenswert: Streamer wie Mark Goldbridge nutzen Plattformen wie Dizplai, um Echtzeit-Statistiken, Zuschauer-Kommentare und Sponsor-Einblendungen zu integrieren, was ihre Produktionen professioneller wirken lässt. In Deutschland hingegen bleibt die technische Raffinesse oft hinter der Leidenschaft zurück, was die Reichweite deutscher Streamer einschränkt.
Beispiel Theo Ogden
Theo Ogden, besser bekannt als Thogden, ist ein Paradebeispiel für die globale Reichweite englischsprachiger Livestreamer. Mit über 2,17 Millionen Abonnenten und mit fast einer Milliarden Aufrufen auf YouTube hat der 24-jährige Bolton-Wanderers-Fan eine Marke geschaffen, die auf provokanten Titeln, Clickbait und einer performativen Präsentation basiert. Seine Streams und Vlogs, oft in Begleitung seines Vaters „Thogdad“, reichen von Stadionbesuchen in Marokko bis zu Live-Reaktionen auf Premier-League-Spiele. Ein Nutzer auf Reddit kommentiert: „Thogden’s content feels more like a performance than genuine fandom, but it’s undeniably engaging“. Diese Inszenierung – gepaart mit der universellen Sprache Englisch – ermöglicht ihm, ein globales Publikum von den USA bis Asien zu erreichen.
Mark Goldbridge, mit bürgerlichem Namen Brent Di Cesare, hat mit seinem Kanal The United Stand (2,13 Millionen Abonnenten) und dem Schwesterkanal That’s Football (1,37 Millionen Abonnenten) eine professionelle Plattform geschaffen, die Fanperspektive und journalistische Elemente vereint. Seine Watchalongs zeichnen sich durch technische Finesse aus: Echtzeit-Daten, animierte Grafiken und nahtlose Integration von Social-Media-Inhalten heben seine Streams auf ein Niveau, das mit etablierten Medien konkurriert. Die BBC lobt seinen Stil als „a fan-driven alternative to Sky Sports’ Soccer Saturday“. Goldbridges Interview mit Manchester-United-Spieler Rasmus Højlund im Jahr 2023 erregte internationale Aufmerksamkeit und zeigte, dass Livestreamer nicht nur reagieren, sondern aktiv den Diskurs prägen können.
Deutschsprachige Szene medial unterbelichtet
Während englischsprachige Streamer weltweit Beachtung finden, bleibt die deutschsprachige Szene medial unterbelichtet trotz der deutlich sechsstelligen Reichweiten an Bundesligaspieltagen. Dennoch gibt es Akteure, die mit Leidenschaft und Innovation Trends setzen. Ein prominentes Beispiel ist Linus Haverkamp, bekannt als Liha2004.
Linus Haverkamp begann im Alter von sieben Jahren, Videos über den FC Bayern München auf YouTube hochzuladen. Heute, mit 20 Jahren und etwa 73.000 Abonnenten, ist der junge Mann eine feste Größe in der deutschsprachigen Fußball-Community. Seine Karriere begann mit einfachen Spielanalysen, die er als Kind mit einer Smartphone-Kamera aufnahm. Ein Video aus Zusammenschnitten seines Streams bei der Niederlage Deutschlands gegen Japan bei der WM in Katar wurde in Japan millionenfach aufgerufen. Lokale Medien wie die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ), die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) und die Münchner Merkur berichteten über seine Auftritte, darunter ein Besuch im Sky-Studio München 2018, wo er als jüngster Gast im Rahmenprogramm des CL-Spiels Bayern München vs. Real Madrid auftrat: „Linus Haverkamp aus Bad Iburg war zu Gast im Sky-Studio in München. […] Der Zehnjährige wurde von Riccardo Basile interviewt“.
Haverkamps Streams sind geprägt von einer Mischung aus jugendlicher Begeisterung und erstaunlichem Fachwissen. Sein Auftritt bei der „Battle of the Socials“ 2023, einem Event für Content-Creator, unterstrich seine wachsende Relevanz: „Linus Haverkamp aus Bad Iburg hat bei der ‚Battle of the Socials‘ in der Lanxess-Arena in Köln teilgenommen“. Dennoch bleibt seine Reichweite durch die deutsche Sprache begrenzt, ein Hindernis, das auch andere deutsche Streamer betrifft.
Neben Haverkamp prägen weitere Streamer die deutsche Szene:
- Daniel Schmidt (Pöhlerz): Mit Fokus auf Borussia Dortmund ist Schmidt bekannt durch emotionale Live-Reaktionen und Gastauftritte in Podcasts wie Ralf Bosses Bosses Bundesliga Blog: „Daniel Schmidt, alias Pöhlerz, bringt die Leidenschaft des BVB-Fans in seine Streams“. Sein Kanal lebt von der Interaktion mit der BVB-Community, bleibt aber medial kaum beachtet.
- Realnico: Mit Fokus auf Werder Bremen bietet Realnico emotionale Watchalongs, die durch Interaktivität punkten. Er war ebenfalls Gast in Podcasts: „Realnico liefert ehrliche Reaktionen aus der Werder-Fanperspektive“. Berichte in etablierten Medien fehlen jedoch.
- Antenne Ball: Dieser Streamer hebt sich durch Neutralität ab, verzichtet auf Vereinsbindung und spricht ein breites Publikum an. Sein moderierender Ansatz könnte ein Modell für zukünftige Watchalongs sein, bleibt aber unter dem Radar der Sportmedien.
Positiv herauszuheben ist, dass sich offenbar die gesamte Szene untereinander gut versteht. So schalten sich die genannten Akteure regelmäßig während der Streams zusammen, insbesondere wenn “ihre” Teams gegeneinander antreten. Daniel Schmidt und Realnico starteten kürzlich einen gemeinsamen Podcast über Themen abseits des Fußballs.
Die deutsche Livestream-Szene steht vor mehreren Herausforderungen
Sprachliche Barriere: Während Englisch als Lingua franca globale Reichweiten ermöglicht, bleibt Deutsch auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Kanäle wie CazéTV in Brasilien zeigen, wie Spanisch oder Portugiesisch ähnliche globale Potenziale entfalten: „CazéTV erreicht Millionen Zuschauer in Lateinamerika dank spanischsprachiger Inhalte“. Trotz der deutschen Sprache ist es Antenne Ball gelungen, beim Spiel Real Madrid vs. Bayern München im letzten Jahr mehr als 500.000 Zuschauer zu erreichen. Sechsstellige Zuschauerzahlen werden regelmäßig während der Streams erreicht.
Mediale Unsichtbarkeit: Deutsche Sportjournalisten konzentrieren sich auf traditionelle Formate wie Spielberichte oder taktische Analysen. Livestreamer werden selten als ernstzunehmende Akteure wahrgenommen, obwohl sie eine neue Form des Diskurses repräsentieren. Anders in Großbritannien, wo die BBC oder The Athletic regelmäßig über Streamer berichten.
Technische Limitationen: Während internationale Streamer wie Goldbridge aufwendige Produktionen mit Echtzeit-Daten und Grafiken bieten, fehlte deutschen Streamern oft der Zugang (oder die Zahlungsbereitschaft?) zu solchen Technologien, was ihre Professionalität einschränkt. Aber auch hier tut sich etwas.
Dennoch bieten Watchalongs immense Potenziale
Interaktivität: Live-Chats, Umfragen und direkte Fan-Interaktion schaffen eine Community, die traditionelle Medien nicht bieten können.
Emotionale Nähe: Streamer wie Haverkamp oder Schmidt spiegeln die Emotionen der Fans wider, was sie authentischer wirken lässt als professionelle Kommentatoren.
Komplementäres Erlebnis: Watchalongs ergänzen Pay-TV-Angebote, da sie eine kostenlose Zweitbildschirm-Erfahrung bieten, die Abonnenten emotional tiefer einbindet.
Die hohen Kosten für Pay-TV-Dienste – Sky, DAZN und Amazon Prime summieren sich auf über 500 Euro jährlich – schränkenmdie Zugänglichkeit von Fußballübertragungen ein [DAZN und Sky Preisübersichten, abgerufen am 31.07.2025]. Watchalongs bieten hier eine Alternative: Sie sind kostenlos und ermöglichen es Fans, Spiele emotional zu erleben, ohne selbst ein Abo zu besitzen, sofern sie Zugang zum Spiel via Freunde oder Familie haben. Gleichzeitig profitieren Streamer von der Loyalität der Abonnenten, die im Live-Chat aktiv interagieren. Dieses Modell schafft eine Win-Win-Situation: Streamer gewinnen Reichweite, Fans eine interaktive Plattform.
Haben Streamer Einfluss auf Sportjournalismus?
Die Entwicklung der Livestreamer fordert den Sportjournalismus heraus, seine Perspektive zu erweitern. Die traditionelle Berichterstattung, die auf Analysen und Expertenmeinungen setzt, ignoriert bisher die Dynamik und Authentizität der Watchalong-Szene oder hat sie vielleicht auch nur noch nicht in der Wahrnehmung. Die englischsprachige Berichterstattung, etwa durch The Athletic oder die BBC, zeigt, wie dies gelingen kann: „Fan-Streamer wie Goldbridge verändern, wie Fußball konsumiert wird“ [The Athletic, 05.09.2023].
Darüber hinaus sollte der Journalismus die Potenziale der Interaktivität und der sprachlichen Öffnung nutzen. Deutsche Streamer könnten durch zweisprachige Inhalte oder Untertitel ihre Reichweite erweitern, ähnlich wie es spanischsprachige Kanäle erfolgreich tun. Gleichzeitig müssen Medienhäuser die technische Professionalisierung dieser Szene fördern, etwa durch Kooperationen mit Plattformen wie Dizplai.
Fazit: Die Zukunft des Fußballdiskurses
Livestreamer wie Thogden, Mark Goldbridge oder ihre deutschsprachigen Kollegen sind mehr als ein Trend – sie sind möglicherweise die Vorboten einer neuen Ära im Sportjournalismus. Sie verkörpern die Demokratisierung des Fußballdiskurses, in dem Fans nicht nur konsumieren, sondern aktiv gestalten. Während die englischsprachige Szene bereits globale Wellen schlägt, steht Deutschland vor der Chance, diesen Wandel aktiv zu begleiten. Der Sportjournalismus muss sich öffnen: für die Emotionen der Fans, die Dynamik der Interaktivität und die Potenziale einer globalen Sprache. Wer jetzt schreibt, beschreibt nicht nur die Gegenwart – er prägt die Zukunft des Fußballs.
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