zum Inhalt

Konflikte in Vereinen gibt es häufig

Fußball ist in vielen Teilen ein Spiegelbild der Gesellschaft. Da hilft es auch nicht, wenn immer wieder relativiert wird

Foto: Adobe / vejaa

Inhaltsverzeichnis

Marco Rose war sich zur WM in Katar sicher: „Wir sollten Sport und Politik trennen.“ Obwohl es in nahezu allen deutschen Parlamenten einen Sportausschuss gibt, wird diese Meinung sogar von Politikern vertreten. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Bei der WM ging es um ein globales Thema, dennoch haben sich auch Amateurvereine der Kampagne „Boycott Qatar!“ angeschlossen.  
 
Wer sich in den letzten Wochen damit beschäftigt hat, wie der Fifa-Mephisto Gianni Infantino agiert, wird das Rose-Zitat ohnehin kaum nachvollziehen kann. Es sei denn, man glaubt, die Fifa-Spitze würde künftig nach seriösen Spielregeln agieren. Ebenso könnte man auch an den Weihnachtsmann glauben. Oder daran, dass die lupenrein demokratische Vergabe an Saudi-Arabien noch nicht feststeht.
 
Im Amateurfußball haben sich spätestens mit dem russischen Angriffskrieg neue Herausforderungen ergeben. Täglich gibt es Anfragen, ob Vereine ukrainische Geflüchtete aufnehmen können. Manchmal können und machen sie, manchmal geben die oft schwierigen Rahmenbedingungen selbst bei bestem Willen nichts mehr her. Eine weitere Zuspitzung erfährt der Fußball durch den Überfall der Hamas auf Israel, wenn auch auf andere Weise.

Parolen, Spruchbänder und Gewaltandrohungen: So sollen antisemitische Vorfälle zukünftig gemeldet werden
Noch immer werden antisemitische Vorfälle im Sport unzureichend erfasst oder bagatellisiert. Das soll sich mit der Einführung eines Meldebuttons für Amateur- und Profivereine ändern.

Bekannt sind die Äußerungen einiger Profispieler, aber was im Breitensport passiert, kommt kaum ans Licht. Schon gar nicht fragen sich die Medien, wie die Vereine an der Basis damit umgehen (können). Viele sind schon damit überfordert, die üblichen in einem Fußballklub auftretenden Konflikte zu managen und genügend Ehrenamtliche zu finden.

Von den Verbänden kommen Vorschläge für Durchsagen vor einem Spiel. Also sofern es eine Lautsprecheranlage gibt. Auch eine Schweigeminute wurde empfohlen. Nicht nur bei Spielen in so genannten Brennpunkten wird es in Berlin spätestens hier komplex, was keine Relativierung des Terrors sein soll. Gleichzeitig habe ich nichts vernommen, wie Vorstände unterstützt werden können, wenn politische Konflikte in ihren Vereinen auftreten. Was durchaus vorkommen dürfte.

Was ist eigentlich aus den im Berliner Wahlkampf wohlfeil versprochenen Präventionsgeldern geworden, die nach den Berliner Silvester-Übergriffen gegen Rettungskräfte angekündigt wurden? Gab es die überhaupt? Und wurde der Sport in die Überlegungen mit einbezogen?

Konflikte in Vereinen gibt es häufig, auch wenn es nicht immer gleich um Krieg geht. In Pandemiezeiten wurden jede Menge Vorschriften erlassen, aber der Umgang mit Coronaleugnern ließ viele Verantwortliche ratlos zurück. Rassismus, Antisemitismus, Übergriffe, Streit zwischen Menschen verschiedener Konfessionszugehörigkeit, Beleidigungen und manchmal auch Gewalt sind allgegenwärtig.

Die Opfer und Betroffenen verdienen unsere Solidarität und unsere Unterstützung. Fußball ist in vielen Teilen ein Spiegelbild der Gesellschaft. Da hilft es auch nicht, wenn immer wieder relativiert wird, 99,7 Prozent der Spiele seien friedlich. Gewaltvorfälle bei 0,3 Prozent der Spiele hört sich nicht viel an, betrifft aber eben doch Tausende von Personen pro Saison (auch wenn ich vermute, bei bierseligen Volksfesten und im öffentlichen Nahverkehr sind die Zahlen höher).

Bei Gewalt auf dem Platz springen auch die dem Amateurfußball fernsten Medien auf und schreien oder schreiben „Skandal“. Und über die Ursachen? Oder gar darüber, wie man die Vereine unterstützen könnte? Ich fordere seit Jahren Sozialarbeiter für große Jugendabteilungen. Vergeblich!

Ein befreundeter Vereinsvorsitzender sagte mir: „Die Leute im Berliner Fußball finden, beim FC Internationale agiert ihr wie eine Partei.“ Ich korrigierte ihn und antwortete: „Eher wie eine Gemeinschaft oder eine Initiative, die sich der Zukunft verschrieben hat.“ Unsere Vorstände sind bis auf eine Person (die sich schon seit Jahren mit Austrittsgedanken trägt) in keiner Partei, agieren bewusst überparteilich, wenn auch nicht unparteiisch. Partei ergreifen wir ständig, nämlich:

  • Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene insbesondere
  • Für Menschen aller anderen Altersgruppen
  • Für soziale Themen und Solidarität
  • Für Vielfalt und Gerechtigkeit
  • Für mehr Bewegungsmöglichkeiten im Stadtteil
  • Gegen Rassismus und andere Diskriminierungen
  • Für die Umwelt und den Kampf gegen die Klimakrise
  • Vor allem aber für bessere Bedingungen des Amateurfußballs

Natürlich ist das längst nicht alles. Und natürlich gelingt uns längst nicht alles, sind wir nicht die einzigen. Doch wir glauben fest daran: Vereine können mit Hilfe des Fußballs wichtige Werte transportieren, die Stadt verbessern solidarischer machen. Würde die Politik die durch den Amateurfußball entstehenden Chancen nur ansatzweise verstehen, wäre allen geholfen.
 
Aber siehe oben: „Wir sollten Sport und Politik trennen.“ Na, dann… Bauen wir also weiter Stadtautobahnen und Prestigepaläste. Der ADAC und die Theater-Intendanten würden nie behaupten, ihr Treiben würde unabhängig von Politik funktionieren. Gleichzeitig würden sie im Gegensatz zum Breitensport ihre Häuser auch nicht Monate lang räumen, um Geflüchtete aufzunehmen. Aber bevor der Sarkasmus endgültig siegt, wandle ich lieber einen alten Sponti-Spruch um: „Stell dir vor es ist Spieltag, und kein Ehrenamtlicher ist mehr da!“

Kommentare

Aktuelles