Italiens Abstieg vom Weltmeister zum WM-Zuschauer
Italien könnte die dritte WM in Folge verpassen, Gattuso attackiert die Fans.

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Gennaro Gattuso schimpft auf die eigenen Fans, während Italien auf die dritte verpasste WM-Endrunde zusteuert. Das eigentliche Problem liegt woanders: Der italienische Fußball hat sich in eine Sackgasse manövriert, aus der auch ein Weltmeister von 2006 nicht herausführen kann.
Die Szene in Chisinau war symptomatisch. Italien quält sich gegen Moldau zu einem 2:0, die mitgereisten Fans protestieren beim Stand von 0:0, und der Trainer reagiert beleidigt. „Eine Schande“ nennt Gattuso die Rufe seiner Landsleute, die den Spielern nahelegten, sich einen anderen Job zu suchen. Erst Gianluca Mancinis Tor in der 88. Minute und Francesco Espositos Nachschlag in der Nachspielzeit verhinderten eine weitere Blamage. Doch die späten Treffer können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Italien kurz davor steht, die dritte WM in Folge zu verpassen.
Die Zahlen sind brutal: Norwegen führt die Gruppe mit drei Punkten Vorsprung an, die Tordifferenz beträgt plus 17 zugunsten der Skandinavier. Selbst ein Sieg gegen Erling Haalands Team am Sonntag in Mailand dürfte nicht reichen. Italien muss erneut in die Play-offs und dort gegen Teams antreten, die nichts zu verlieren haben. 2018 scheiterte man an Schweden, 2022 an Nordmazedonien. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieses Muster wiederholt, ist hoch.
Fan-Proteste sind Ausdruck tiefer Enttäuschung
Die Fan-Proteste zeigen eine tiefe Enttäuschung über die nationalen Leistungen und den Qualifikationsmodus. Wenn 500 italienische Anhänger nach Moldau reisen und dort ihre eigene Mannschaft auspfeifen, ist das kein Akt der Illoyalität, sondern verzweifelte Liebe. Sie sehen, was Gattuso nicht sehen will: Eine Mannschaft ohne Idee, ohne Tempo, ohne Durchschlagskraft. Der Verband FIGC hat es versäumt, nach dem EM-Triumph 2021 die richtigen Weichen zu stellen. Stattdessen wurde Roberto Mancini durch Luciano Spalletti ersetzt, der nach wenigen Monaten hinwarf, woraufhin Gattuso übernahm.
Gattusos Kritik an den Fans und dem Modus wirft Fragen zur Unterstützung der Mannschaft und den UEFA-Regeln auf. Seine Beschwerde über die gestiegene Anzahl afrikanischer WM-Teilnehmer – er sprach fälschlicherweise von acht statt der korrekten neun Teams – offenbart eine problematische Denkweise. Italien scheitert nicht an Afrika, sondern an sich selbst. Die Zeiten, in denen europäische Gruppenzweite automatisch zur WM fuhren, sind vorbei. Der Weltfußball ist demokratischer geworden, und Italien hat den Anschluss verloren.
Was Gattuso als Zusammenhalt einfordert, ist in Wahrheit die Forderung nach bedingungsloser Gefolgschaft. Doch blinder Gehorsam hat Italien nicht geholfen. Die Squadra Azzurra braucht eine ehrliche Bestandsaufnahme, keine Durchhalteparolen. Die Fans in Chisinau haben das verstanden. Ihr Protest war kein Verrat, sondern ein Weckruf. Ob er gehört wird, entscheidet über Italiens Zukunft im Weltfußball.



