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Immer mehr Klubs machen sich Gedanken, wie man Gutes fĂĽr die Umwelt tun kann
Partizipation ist spätestens nach den Bauchlandungen beim Votum zu Olympischen Spielen in Berlin oder Hamburg in den Augen vieler Sportfunktionäre überbewertet
„Schreib doch mal was Positives! Zum Beispiel über das große Engagement von Amateurvereinen in Sachen Klimaschutz.“
So eine eifrige Leserin der Fever Pit’ch-Kolumne „Ganz unten“. Gar nicht so leicht, kurz nach der Entscheidung für die nächste WM in Saudi-Arabien inkl. des größten Gas- und Ölkonzerns der Welt „Aramco“ als Hauptsponsor.
Der DFB konnte sich nicht zu einem Minderheitenvotum durchringen. Gleichwohl war nicht zu erkennen, wie groĂź der Jubel von Präsident Bernd Neuendorf bei Infantinos bizarrer Inszenierung ausfiel. Dass der Mephistopheles des WeltfuĂźballs neuerdings als Alleindarsteller am Pult der Muppet-Show wirkt und den Avataren ähnelnden Abstimmenden … – egal, ich soll ja positiv sein.
Also gehe ich auch nicht näher darauf ein, dass angeblich alle DFB-Präsidiumsmitglieder Bernd Neuendorf Absolution für sein Votum erteilten. Die Landesverbände haben ihre Mitgliedsvereine im Vorfeld nicht gefragt. Partizipation ist spätestens nach den Bauchlandungen beim Votum zu Olympischen Spielen in Berlin oder Hamburg in den Augen vieler Sportfunktionäre überbewertet.
WM-Vergabe: Verbandstag hätte man fragen können
In der Hauptstadt hätte man sogar die Teilnehmenden des diesjährigen Verbandstags am 9. November fragen können, wie man zur WM-Vergabe abstimmen soll. 100 Vereine von der Basis waren da, aber es ging nur um Beitragserhöhungen. Wahrscheinlich wollten auch alle schnell nach Hause, um die Bundesligakonferenz zu sehen.
Ich wollte den Leuten auch nicht den Nachmittag mit lästigen Debatten stehlen, zumal Sport und Politik ja nichts miteinander zu tun haben dürfen. Oder wie Noch-IOC-Chef Thomas Bach es ausdrückt: „Der Sport muss politisch neutral bleiben.“ Ob die bombardierte Zivilbevölkerung in der Ukraine oder die Familie des bestialisch ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi das auch so sehen?
Nun aber mal positiv: Tatsächlich machen sich immer mehr Klubs Gedanken, wie man Gutes für die Umwelt tun kann. Renaturierung von nicht genutzten Flächen, Insektenhotels, Solaranlagen auf dem Kabinendach, biologisches und veganes Essen oder der Einkauf fair gehandelter Bälle. Die Liste ist lang, auch wenn wir die Emissionen der bevorstehenden WM in ganz Nordamerika damit nicht ansatzweise kompensieren können.
Auch wenn man in der Politik den Eindruck gewinnt, Nachhaltigkeit wäre ein Thema, mit dem man Wähler verliert, sind Sportvereine oftmals zeitgemäßer und stellen sich den Herausforderungen, die zusehends populistische Abgeordnete scheuen. Im Sport strengt man sich eben an, auch wenn die infantile Diskussion um die Bundesjugendspiele etwas anderes suggeriert. Aber sollen wir dickbäuchige und denkfaule Minister, die Fakten einfach ausblenden, wirklich ernstnehmen?
Auf eigene Tatkraft vertrauen
Besser ist ohnehin, sich auf uns selbst und unsere Tatkraft zu besinnen. Amateurvportvereine sind Paradebeispiele fĂĽr ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Die Jugendarbeit vor Ort wird von einigen als das größte Sozialprojekt der Republik bezeichnet. Während die Profivereine versuchen, ihren Fans mit immer mehr Saisontrikots das Geld aus der Tasche zu ziehen – was alles andere als nachhaltig ist – werden im AmateurfuĂźball oftmals die Shirts nach einer Saison an den nächstjĂĽngeren Jahrgang weitergegeben. Denn sehr selten sind sie so schlecht, dass man sie erneuern muss.
Meine Kollegin Lea Gleisberg hat den klassischen Kleidertausch revolutioniert und dafĂĽr sogar ein Stipendium erhalten. Es gibt eben kluge Menschen, die an nachhaltige Ideen glauben. Lea organisiert mehrmals im Jahr Events, bei denen gebrauchte, aber noch gute AusrĂĽstung den Besitzer wechselt. Nicht nur Kinderschuhe, aus denen die JĂĽngsten schnell rauswachsen, auch Trikots oder TrainingsanzĂĽge werden getauscht. Dazu gibt es leckeres Essen, Musik, manchmal wird sogar getanzt. Es ist jedes Mal ein groĂźartiges Vereinsevent.
Wir haben vor zwei Jahren ein Lastenfahrrad angeschafft, mit dem Trainer ihre Materialien von Platz A zu Anlage B fahren können. Der alte Bus wird bald durch einen E-Transporter ersetzt. Bei den Mitgliedern kommt die Mischung aus sportlichen Ambitionen und bewusstem Handeln gut an. Bei der letzten Befragung sagten mehr als 80 Prozent, wir sollten die Melange aus klassischem Fußball und gesellschaftspolitischem Engagement unbedingt beibehalten.
Der Mainstream bläst manchmal ins Gesicht
Gleichwohl merken auch wir, dass der allgemeine Mainstream uns manchmal ins Gesicht bläst. Zum Beispiel, ob das Bio-Bier aus regionaler Beschaffung vermeintlich schlechter als das Industriebier aus dem hohen Norden oder dem Schwarzwald schmeckt. Auch der Abschied von den Trikots der Marktführer wird von einigen bedauert. Nun, auch ich habe meine Vergangenheit mit einer Traditionsmarke, durfte sogar Uwe Seeler noch als Vertreter dieser erleben, als er im örtlichen Schuhgeschäft vorbeikam. Reine Läden für Sportartikel gab es damals noch nicht. Gespielt haben wir trotzdem, und zwar nicht auf Kunst-, sondern auf Naturgras – oder was man so Rasen nannte.
Überhaupt frage ich mich, wie wir das früher alles hingekriegt haben. Mit Bällen, die sich alle teilten, mit Trikots, die nicht immer zu 100 % identisch waren (Kragen, Rundhals, unterschiedlich breite Streifen …). Als ich beim FC Internationale als Kindertrainer anfing, wollte ich auch, dass alle wie aus dem Ei gepellt aussehen. Mein Trainerkollege Arne sagte dann: „Gerd, sch…egal, wie wir aussehen. Hauptsache, die Punkte sind am Ende im Sack!“ Ich konnte dem nicht widersprechen. Meistens klappte es auch.
Vielleicht ist Verzicht der neue Luxus. Beim DFB-Ideenwettbewerb „Anstoß für Grün“ kamen starke Initiativen zusammen. Alle acht Vereine, die in die Endrunde kamen, wurden belohnt. Die ersten drei erhielten eine Förderung, um ihre Aktionen umsetzen zu können.
Wertschätzung vom DFB
Die anderen erhielten Länderspielkarten für das Achtelfinale Deutschland – Italien. Ich war kurz davor, unseren Gewinn einzutauschen. Auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin, was der DFB macht, will ich doch anerkennen, dass man wirkliche Wertschätzung zum Ausdruck brachte. Vielen Dank an alle, die mitgemacht und das Meeting organisiert haben.
Meine größte Freude war, drei ganz tolle Menschen kennenlernen zu dürfen, die in der Jury saßen: Die großartige Klimaaktivistin Louisa Schneider, den netten und klugen Timo Hildebrandt, der nur noch vom höchst sympathischen Besserwisser und Quizmeister Sebastian Klussmann getoppt wurde. Dieser ist tatsächlich wenige Meter neben unserem Platz in Berlin-Schöneberg aufgewachsen. Sie alle waren sich einig, der Amateurfußball könne ein wahrer Nachhaltigkeitsmotor werden.