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Hashtag United: Der Aufstieg eines YouTube-Fußballvereins
Vom YouTube-Kanal zur Fußballmacht: Hashtag United beweist, wie digitale Reichweite und Community-Bindung sportlichen Aufstieg ermöglichen.

Foto: Homepage Hashtag United
Von Klaus-Martin Meyer
In einer Ära, in der traditionelle Fußballvereine mit Millionenetats um Social-Media-Reichweite kämpfen, hat ein ungewöhnliches Projekt die Spielregeln umgedreht: Hashtag United, ein Fußballverein, der aus der digitalen Welt eines YouTubers entsprang, hat sich in weniger als einem Jahrzehnt von einer Freizeitmannschaft zu einem semiprofessionellen Klub in der siebten englischen Liga entwickelt.
Gegründet von Spencer Carmichael-Brown, besser bekannt als Spencer Owen oder Spencer FC, steht Hashtag United für eine neue Art des Fußballs, bei der Unterhaltung, digitale Präsenz und sportlicher Ehrgeiz verschmelzen. Dieser Artikel beleuchtet die Entstehungsgeschichte und Historie des Vereins und analysiert, wie YouTube-Reichweite die Grundlage für einen echten Fußballverein schaffen konnte, während etablierte Klubs den umgekehrten Weg beschreiten.
Die Entstehung: Von YouTube-Videos zur Fantasieliga
Hashtag United wurde im März 2016 von Spencer Carmichael-Brown gegründet, einem britischen YouTuber, der unter dem Namen Spencer FC seit 2007 Videos über Fußball und das Videospiel FIFA veröffentlicht. Mit einem Studium der englischen Literatur im Rücken und Erfahrungen als Social-Media-Manager für den belgischen Nationalspieler Vincent Kompany sowie für das YouTube-Format COPA90 verstand Carmichael-Brown früh die Macht der sozialen Medien. Sein YouTube-Kanal wuchs bis 2016 auf fast eine Million Abonnenten, was ihm eine Plattform bot, um sein ambitioniertes Projekt zu starten: einen Fußballverein, der zunächst nur in der digitalen Welt existierte.
Die „Neue Zürcher Zeitung“ beschreibt, dass sich an einem tristen Tag im Februar 2016 drei Brüder und zwei ihrer Freunde auf dem Sportplatz einer Schule nahe London zum Fußballspielen getroffen hätten. Die fünf Männer hätten sich Hashtag United FC genannt und seien fußballerisch wenig talentiert gewesen. Das erste Training sei auf YouTube hochgeladen worden und habe den Beginn einer erstaunlichen Erfolgsgeschichte markiert. Binnen weniger Monate habe der Kanal des Vereins eine halbe Million Abonnenten erreicht, und Videos wie eine Penalty Challenge hätten über zwei Millionen Aufrufe gesammelt.
Anfangs spielte Hashtag United in einer selbst erfundenen „Fantasieliga“, in der freundschaftliche Spiele gegen Teams wie eine Comedians XI, Google oder ein Mitarbeiterteam von Manchester City ausgetragen wurden. Die Spiele wurden professionell in HD gefilmt, geschnitten und auf YouTube veröffentlicht, was dem Verein eine globale Fangemeinde einbrachte. Carmichael-Brown erklärte gegenüber dem „Kicker“, dass die Ausrichtung von Hashtag United von Anfang an klar gewesen sei und dies bereits der Name erkennen lasse. Von Tag eins an sei die Entwicklung des Vereins dokumentiert und auf YouTube oder anderen sozialen Netzwerken geteilt worden.
Der Übergang zum echten Fußball: Von der Fantasie zur Realität
2018 markierte einen Wendepunkt: Hashtag United trat dem regulären Ligabetrieb der englischen Fußballpyramide bei, beginnend in der zehnten Liga (Eastern Counties League Division One South). Dieser Schritt bedeutete eine Professionalisierung, die nicht ohne Opfer war. „Cavanis Friseur“ berichtet, dass für viele Freunde und Kollegen von Spencer nach dem Sieg der Fantasieliga das Kapitel Hashtag United beendet gewesen sei. Carmichael-Brown selbst, der zunächst als Spieler und Trainer agierte, habe sich aus dem aktiven Sport zurückgezogen, da er nach eigener Einschätzung fürs Feld zu schlecht gewesen sei, und habe die Seitenlinie dem erfahrenen Non-League-Trainer Jay Devereux überlassen.
Die Entscheidung, in den regulären Ligabetrieb einzutreten, war ein Risiko, da der Verein nun mit traditionellen Klubs konkurrieren musste, die oft auf lokale Unterstützung angewiesen sind. Die „Neue Zürcher Zeitung“ stellte fest, dass im Stadion nur wenige Dutzend Zuschauer die Spiele des Hashtag United FC aus der 9. Liga Englands verfolgten, während es vor den Bildschirmen Hunderttausende gewesen seien.
Seitdem hat der Verein vier Aufstiege erreicht und spielt heute in der Isthmian League Premier Division, der siebten Liga Englands. Zudem wurde 2020 eine Frauenmannschaft gegründet, die nach einer Fusion mit AFC Basildon in der FA Women’s National League (dritte Liga) antritt und 2024 den FA Women’s National League Cup gewann. Der Verein verfügt mittlerweile über mehr als 50 Jugendmannschaften und ein erfolgreiches eSports-Team, das mehrere Titel in der FIFA-Szene errang.
Der digitale Vorteil: YouTube als Fundament
Der Erfolg von Hashtag United basiert auf Carmichael-Browns Fähigkeit, die Mechanismen sozialer Medien zu nutzen. „Cavanis Friseur“ hebt hervor, dass Spencer Owen jemand sei, der die Verbindung von Fußball und neuen Medien verstanden und umgesetzt habe. Mit über zwei Millionen Abonnenten auf seinem privaten Kanal und knapp 500.000 auf dem Vereinskanal hat Hashtag United eine Reichweite, die viele Premier-League-Klubs übertrifft. Auf Instagram hat der Verein mehr Follower als vier englische Erstligisten, darunter Brighton und Sheffield United.
Diese digitale Präsenz zog Sponsoren wie Adidas, Coca-Cola und Football Manager an, die in einem Neuntligisten ein ungewöhnliches Marketingpotenzial sahen. Die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtet, dass sich Sponsoren um einen Platz auf dem Trikot des Klubs reißen würden. Ein Beispiel für die Innovationskraft des Vereins ist das Nachwuchscamp von 2017, das wie eine TV-Casting-Show inszeniert wurde und 20.000 Bewerbungen erhielt. Der Gewinner, der 16-jährige Scott Pollock, erhielt später einen Profivertrag bei Northampton Town, was die Talentförderung des Vereins unterstreicht.
Carmichael-Brown selbst sieht Hashtag United als Symbol einer neuen Ära und erklärte, dass sie Symbole einer Bewegung seien. Sie repräsentierten den modernen Fußballfan, der mit YouTube und sozialen Medien aufgewachsen sei. Diese Bewegung stehe im Kontrast zu traditionellen Vereinen, die oft erst nachträglich versuchten, digitale Reichweite aufzubauen. Während Klubs wie der FC Bayern oder Schalke 04 Millionen in Social-Media-Abteilungen investierten, habe Hashtag United von Anfang an eine globale Community gehabt, die sich wie ein Teil des Klubs gefühlt habe.
Der Gegensatz: Traditionelle Vereine und der digitale Wettlauf
Während Hashtag United seine digitale Basis nutzt, um einen realen Verein aufzubauen, kämpfen etablierte Klubs mit der umgekehrten Herausforderung. ISPO titelte 2022, dass der FC Bayern zurückfalle – bezogen auf die Social-Media-Reichweite europäischer Topklubs, die von Stars wie Cristiano Ronaldo oder Vereinen wie Real Madrid dominiert werde. Deutsche Vereine wie Schalke oder Stuttgart, selbst mit einer Bundesligamannschaft im Rücken, erreichten auf Plattformen wie Instagram nur einen Bruchteil der Follower von Hashtag United.
Traditionelle Vereine stehen vor der Herausforderung, Authentizität in einer digitalen Welt zu bewahren, während sie mit Influencern und Content-Creators konkurrieren. Die „Neue Zürcher Zeitung“ beschreibt, dass die Entfremdung zwischen Fans und Fußballstars Owen auf die Idee gebracht habe, einen eigenen Klub zu gründen – einen, der die Fans einbinde, der kostenlos verfolgt werden könne und für Unterhaltung sorge. Dieser Ansatz zeigt, wie ein YouTuber mit Reichweite nicht nur einen Verein gründen, sondern auch eine neue Art von Fanbindung schaffen kann, die traditionellen Klubs oft fehlt.
Herausforderungen und Kritik
Trotz des Erfolgs ist Hashtag United nicht unumstritten. Kritiker bemängeln, dass die Priorität auf Unterhaltung statt sportlichem Erfolg liegt. Der „Kicker“ schreibt, dass Teil der Philosophie auch sei, dass die Unterhaltung der Fans über dem sportlichen Erfolg stehe. Carmichael-Brown selbst räumt ein, dass sie ihre Fans unterhalten wollten. Natürlich sei auch er ein kompetitiver Typ, aber bei ihnen gelte nicht: Gewinnen um jeden Preis.
Zudem bleibt die lokale Verankerung eine Schwäche. Mit nur 200 bis 300 Zuschauern bei Heimspielen fehlt Hashtag United die traditionelle Stadionkultur, die für viele Non-League-Klubs zentral ist. „Vice“ analysiert, dass kleinere Zuschauerzahlen zwar derzeit helfen würden, enge Bindungen zwischen dem Klub und seinen Supportern zu schaffen, aber weiterer Fortschritt diese Dynamik unweigerlich beeinflussen werde.
Fazit: Ein Modell für die Zukunft?
Hashtag United ist mehr als ein Kuriosum – es ist ein Spiegel der modernen Fußballwelt, in der digitale Präsenz genauso wichtig sein kann wie sportlicher Erfolg. Während traditionelle Vereine versuchen, Social-Media-Reichweite aufzubauen, hat Spencer Carmichael-Brown bewiesen, dass ein YouTuber mit einer klaren Vision und einer globalen Community einen echten Fußballverein schaffen kann. Ob Hashtag United jemals die Premier League erreicht, bleibt offen. Carmichael-Browns Bruder Seb sagte gegenüber „Vice“, dass es Erfolg sei, wenn sie in 30, 40, 50 Jahren noch existierten – mit der gleichen Strategie.
Der Verein zeigt, dass die Grenzen zwischen digitaler und realer Welt im Fußball verschwimmen. Für etablierte Klubs ist Hashtag United eine Mahnung, dass Fans in der digitalen Ära nicht nur Spiele, sondern Geschichten und Nähe erwarten – etwas, das ein YouTuber mit einem Handy und einer Idee besser verstanden hat als so mancher Traditionsverein.
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