Fußball im Filialsystem: Wie Konzerne Vereine übernehmen

Von Red Bull bis ManCity: Multi-Club-Ownership macht aus Vereinen Bausteine globaler Netzwerke – zwischen Effizienz und Identitätsverlust.

|28. August 2025|
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IMAGO/Nordphoto

Von Klaus-Martin Meyer

Vereine sind einzigartig. So erzählen es die Vereinschroniken, die Hymnen und die Banner in den Kurven. Doch der Fußball verwandelt sich zunehmend in ein Geschäft, das nüchterner funktioniert: Klubs werden zu Assets, Bausteinen globaler Strategien, austauschbar wie Filialen eines Konzerns. Dieses Prinzip heißt Multi-Club-Ownership (MCO). Angeführt von der City Football Group und dem Red-Bull-Imperium breitet sich dieses Modell weltweit aus – und stellt die Frage, ob der Fußball irgendwann so standardisiert wirkt wie ein Burger-Menü bei McDonald’s.

Manchester City und die Geburt des Netzwerks

Im September 2008 kaufte Sheikh Mansour, Mitglied der Herrscherfamilie von Abu Dhabi, Manchester City. Damals war der Klub der chaotische Nachbar von United – manchmal charmant, oft kläglich. Was folgte, ist bekannt: Milliarden-Investitionen, Premier-League-Titel, der Champions-League-Sieg 2023.

Doch Mansour wollte mehr: ein globales Fußballnetzwerk. 2013 gründete er die City Football Group (CFG). Heute umfasst dieses Imperium 13 Klubs, darunter:

  • Manchester City (England)
  • New York City FC (USA)
  • Melbourne City (Australien)
  • Girona FC (Spanien)
  • Palermo FC (Italien)
  • Sichuan Jiuniu (China)
  • Mumbai City (Indien)
  • Lommel SK (Belgien)
  • Troyes AC (Frankreich)
  • Bahia (Brasilien)
  • Montevideo City Torque (Uruguay)
  • Yokohama F. Marinos (Japan, Minderheitsbeteiligung)
  • Club Bolívar (Bolivien, Kooperation)

Die Philosophie: einheitliche Strukturen, globale Durchlässigkeit. Scouting, Trainingsmethoden, Datenanalyse – alles wird zentral gesteuert. Spieler rotieren wie Bauteile: Ein argentinischer Youngster könnte in Montevideo reifen, in Girona Spielpraxis sammeln, ehe er in Manchester landet. CFG verkörpert die Vision eines Fußball-Franchise mit einheitlichen Logos, Farben und einer „Spiel-DNA“. Doch kann man noch von Vereinen sprechen, wenn sie wie Produktlinien behandelt werden?

Red Bull – Fußball als Marketingmaschine

2005 kaufte Dietrich Mateschitz, Gründer von Red Bull, den maroden Austria Salzburg – und löschte dessen Identität fast vollständig: neues Wappen, neue Farben, neuer Name. Die lila-weiße Tradition? „Nicht markenkonform.“ Heute gehören zum Red-Bull-Kosmos:

  • RB Leipzig (Deutschland, 2009 gegründet)
  • Red Bull Salzburg (Österreich, Nachwuchsschmiede)
  • New York Red Bulls (USA)
  • Red Bull Bragantino (Brasilien)
  • Akademien wie die West African Football Academy (Ghana) und Kooperationen in Südafrika

Das Modell: junge Spieler einkaufen, entwickeln, weiterverkaufen. Von Sadio Mané bis Erling Haaland – viele Weltstars nahmen hier Anlauf. Taktisch setzt man auf Hochgeschwindigkeitsfußball, geprägt von Ralf Rangnick. Fußball ist für Red Bull ein Marketing-Instrument: Jeder Sprint ist ein Werbespot für ein Getränk, das den Umsatz laut Studien um bis zu 20 % steigert. Für Fans ist es die totale Kommerzialisierung – der Beweis, dass Vereine zu Konsumgütern werden können. Ein Nebenaspekt bei Red Bull: Der Fußball liefert den Content für die Medien-Kanäle der Gruppe.

777 Partners und die graue Flut

Die US-Investmentfirma 777 Partners aus Miami kontrolliert zahlreiche Klubs, oft finanziell angeschlagene:

  • Standard Lüttich (Belgien)
  • Vasco da Gama (Brasilien)
  • Sevilla FC (Spanien, ca. 7 % Anteile)
  • Melbourne Victory (Australien)
  • Genoa CFC (Italien)
  • Hertha BSC (Deutschland)

Die Strategie: Beteiligungen weltweit, ohne klare sportliche Vision. Seit 2024 steht 777 Partners unter Druck: Finanzielle Probleme, etwa durch die Insolvenz ihrer Fluggesellschaft Bonza, könnten den Verkauf von Klubs erzwingen. Fans von Hertha oder Standard fühlen sich nicht wie Teil eines Projekts, sondern wie Testballons in einem Renditeexperiment.

Pacific Media Group – Moneyball im Fußball

Die Pacific Media Group (PMG), oft mit Investor Chien Lee, kauft mittelgroße Klubs wie Barnsley (England), KV Oostende (Belgien) oder AS Nancy (Frankreich). Ihr Konzept orientiert sich an „Moneyball“: Datenmodelle identifizieren unterbewertete Spieler wie Cauley Woodrow (Barnsley). Auf dem Papier clever, in der Praxis eine Achterbahn: Manche Klubs steigen auf, andere stürzen ab. Fans fühlen sich oft wie Figuren in einem Experiment.

RedBird Capital – Premium statt Masse

RedBird Capital kontrolliert den AC Milan (seit 2022) und hält Anteile an Toulouse FC. Anders als 777 setzt RedBird auf Premium-Marken: Traditionsvereine, die global als Lifestyle-Marken vermarktet werden. RedBirds Engagement in der Fenway Sports Group (Liverpool FC) unterstreicht diesen Fokus.

Vorteile des Systems

MCO bietet Synergieeffekte:

  • Spielerkarussell: Vereinsinterne Transfers sind einfacher und billiger.
  • Scoutingnetzwerke: Talente werden in kleineren Klubs getestet.
  • Globale Reichweite: Neue Märkte in Indien oder Brasilien steigern Merchandising-Verkäufe.
  • Einheitliche Methodik: Spielsysteme sind übertragbar wie ein Franchise-Handbuch.

Die Schattenseiten

Die Probleme sind offenkundig:

  • Identitätsverlust: Lokale Fans fühlen, dass ihr Verein nicht mehr ihnen gehört. In Salzburg kleben bis heute „Violet is our color“-Sticker.
  • Regulierungsfragen: Seit 2024 verschärft die UEFA Regeln für MCO, um Interessenkonflikte zu vermeiden, etwa wenn zwei CFG-Klubs in der Champions League spielen.
  • Machtkonzentration: Etwa 150 Klubs weltweit sind Teil von MCO-Strukturen, Vielfalt weicht Monokultur.
  • Kulturelle Kollision: Kann ein Klub in Bolivien die Philosophie eines englischen Weltvereins widerspiegeln?

Gegenentwürfe

Manche Vereine stemmen sich dagegen: Union Berlin setzt auf Mitgliederstruktur, Athletic Bilbao verpflichtet nur baskische Spieler, FC St. Pauli steht für Authentizität. Doch die finanzielle Schere wächst durch MCO.

Der Fußball der Zukunft?

MCO ist Mainstream. UEFA-Präsident Aleksander Čeferin warnte 2023 vor den Gefahren, doch die Regulierung bleibt halbherzig. Der Markt läuft heiß: Neben Konzernen wie CFG steigen Staatsfonds wie Saudi-Arabiens PIF (Newcastle United) ein. In 20 Jahren könnten wenige Konzerne den Weltfußball dominieren. Werden Fans in Uruguay oder Indien noch von „ihrem“ Klub sprechen – oder von einer Filiale?

Fazit

Red Bull und CFG haben vorgemacht, wie Fußball zu einem Franchise-System wird. 777 Partners, PMG und RedBird ziehen nach. Der Sport verliert an romantischer Eigenheit, gewinnt an globaler Effizienz. Die Frage ist: Werden in 20 Jahren 30 Konzerne den Fußball bestimmen – oder nur fünf? Und was bleibt von der Gewissheit, dass jeder Verein einzigartig ist?

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