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Das Einwurftor von Bremen

Jean-Marie Pfaff sollte 1982 das Torwartproblem beim FC Bayern lösen. Und dann passierte ihm beim ersten Spiel ein Missgeschick, das Bundesliga-Geschichte schrieb

Foto: Imago / Werek

Inhaltsverzeichnis

Die Bundesliga startet am Freitag mit einem Klassiker der Achtziger – Werder Bremen gegen Bayern München. Unter Otto Rehhagel machte Werder den Münchnern jahrelang das Leben schwer, und allein schon die Rivalität der Trainer Rehhagel/Udo Lattek sowie der Manager Willi Lemke/Uli Hoeneß, die sich in herzlicher Abneigung verbunden waren, schenkte der Liga viele schöne Geschichten.

Davor und danach gab es noch viele Episoden, die im Gedächtnis blieben, schließlich hat es keine Bundesliga-Paarung öfter gegeben. Freitag steigt das Duell zum 113. Mal, zum vierten Mal an einem 1. Spieltag. Von vier dieser Partien sprach schon in der Woche drauf keiner mehr, eine aber überdauerte die Jahrzehnte wegen einer Szene, die keiner vergisst, der alt genug ist, sie erlebt zu haben.
Wer weiß, wovon ich spreche, kommt sicher genauso gern noch mal mit in den Sommer 1982 wie diejenigen, die jetzt vor Neugier platzen.

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Epilog: In der Saison 1981/82 hatten die Bayern nur einen Titel, den am wenigsten geliebten DFB-Pokal, gewonnen. Das Endspiel im Europapokal der Landesmeister aber verloren sie und in der Meisterschaft wurden sie nur Dritter. Schon damals viel zu wenig für die Ansprüche der Mächtigen an der Säbener Straße.

Sündenböcke wurden gesucht und gefunden: die Torhüter. Seit dem durch einen Autounfall im Sommer 1979 erzwungenen Karriereende von Weltmeister Sepp Maier waren die Bayern nicht glücklich geworden mit der Besetzung des Postens zwischen den Pfosten. Sein designierter Nachfolger Walter Junghans, obwohl 1980 als Reservist schon Europameister, zeigte zu oft Nerven und sein Vertreter Manfred Müller war nicht mehr als ein solider Keeper.

Wer von beiden am Samstag zwischen den Pfosten stünde, war unter Bayern-Fans der Jahre 1981 und 1982 ein beliebtes Rätselspiel. Damit sollte nun Schluss sein. Der Jung-Manager Uli Hoeneß warf seine Angel aus und zog aus Belgien einen dicken Fisch an Land. Für die damals noch für leichte Empörung sorgende Ablösesumme von rund einer Million D-Mark kam Nationaltorwart Jean-Marie Pfaff aus Beveren. In einer Zeit weit vor dem Internet und irgendwelcher Privatsender war er für viele Fans ein unbeschriebenes Blatt, doch dann kam die WM in Spanien.

Nach dem Eröffnungsspiel schwärmte alle Welt von der belgischen Mannschaft, die Weltmeister Argentinien 1:0 geschlagen hatte, und von deren Torwart, der einen Diego Maradona und Mario Kempes schier zur Verzweiflung getrieben hatte. Jean-Marie-Pfaff! Der erste Star der WM war ein Bayern-Spieler, Hoeneß rieb sich zufrieden die Hände, zumal Pfaff seine Leistungen im Turnierverlauf bestätigte.

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Im Kicker-Sonderheft zur Saison 1982/83 war zu lesen: „Der wichtigste neue Mann im Team der Münchner ist unserer Meinung nach der Keeper Jean-Marie Pfaff…Mit dem Nationaltorhüter unseres westlichen Nachbarn dürfte Hoeneß ein großer Wurf gelungen sein und endlich einmal die Lösung des seit Jahren schwelenden Torwartproblems…“

Diesen Satz prägen wir uns bitte ein, insbesondere die Formulierung „großer Wurf.“ Nun folgen Sie mir bitte ins Bremer Weser-Stadion.

21. August 1982, 15. 30 Uhr, Saisonstart. Jener Samstag im hohen Norden hatte wenig Sommerliches, es wehten schon die ersten Herbstbrisen an der Weser. Die 35.000 Zuschauer bangten mit ihrer Elf, Bayern machte vor der Pause das Spiel, aber keine Tore. Bis zur 44. Minute, aber auf ein solches konnten sie gut verzichten. Bremens Stürmer Uwe Reinders warf den Ball in hohem Bogen in den Strafraum, wo er vor dem nur 1,80 Meter großen Pfaff noch einmal aufsprang.

Der Wind machte ihn unberechenbar. Von Libero Klaus Augenthaler und Bremens Norbert Siegmann behindert, erreichte Pfaff das Leder nur mit den Fingerspitzen. Eine fatale Berührung, denn dadurch erst wurde das erste Einwurftor der Bundesliga-Historie gültig. Es entschied das Spiel, es blieb beim 1:0 und die Fußballwelt lachte und staunte. Weil es eine Premiere war, lernten die Fans 1982 etwas dazu in Sachen Regelkunde. Niemals darf ein Tor durch einen Einwurf direkt erzielt werden, aber wenn ein Spieler den Ball noch berührt – dann zählt es.

Das war auch dem Stadionsprecher neu, der feierte Reinders als Torschützen. Der schnauzbärtige Stürmer hatte zwar als Reservist an der WM teilgenommen, aber häufiger an den berüchtigten Pokerrunden am Schluchsee als an den Spielen. Immerhin schoss er ein Joker-Tor gegen Chile. Doch wenn er heute noch auf ein Tor angesprochen wird, dann auf jenes gegen Pfaff anno 1982. Er hat nichts dagegen.

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Vor Jahren sprach ich mit ihm darüber und war von seiner Antwort angenehm überrascht. Ich zitiere aus unserem Interview. „Sie waren Nationalspieler, hatten an der WM 1982 teilgenommen. Inwieweit stört es Sie, dass Ihre Karriere auf einen Einwurf reduziert wird?

Reinders: „Gar nicht. Wir haben doch alle Fußball gespielt, um bekannt zu werden und etwas zu machen, was den Leuten im Gedächtnis bleibt. Das ist mir gelungen. Fans, die es miterlebt haben, bringen Uwe Reinders zu 100 Prozent mit dem Einwurf-Tor in Verbindung. Und von den jüngeren, die es nie gesehen haben, sagen 50 %: Das war doch der mit dem Einwurf-Tor!“

So ist es wohl. Obwohl er noch als Trainer Furore machte, mit Hansa Rostock 1991 das Double aus Pokal und Meisterschaft in der letzten Saison der untergehenden DDR schaffte und den Klub in die Bundesliga führte. Dafür lieben sie ihn bei Hansa noch immer, in Bremen indes für das Tor, das die Bayern schlug.

  • Fun-fact 1: In der 2. Liga hatte er in Diensten von Schwarz-Weiß Essen schon mal ein Tor per Einwurf aus 45 Metern vorbereitet, bloß traf da ein Mitspieler.

* Fun-fact 2: Er war schon in der Auswahl zum Tor des Monats, dann wurde es eliminiert. Reinders erhielt einen Anruf von der ARD, man habe sich besonnen und wolle keine Eigentore nehmen. Sein Kommentar dazu: „Wenn Sie mich fragen, haben die Bayern da bestimmt was mit zu tun gehabt. Die wollten ihren neuen Torwart schützen.“

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Pal Csernai, der eloquente und doch zuweilen gnadenlose Bayern-Trainer, stand nicht der Sinn danach. Als das Spiel abgepfiffen wurde, ging er mit hochrotem Kopf in die Kabine und dann schimpfte er los: „Das ist das schlimmste Tor, das wir in den vergangenen drei Jahren haben hinnehmen müssen.“ Damit umriss er seine ganze Amtszeit.

Auch von Kapitän Paul Breitner gab es Kollegenschelte: „Wer gegen uns Tore schießt, der kann berühmt werden. So lächerlich sind manche Treffer!“ Wer sich diesen Handschuh anziehe sollte, war jedem klar.

Pfaff, der ansonsten ein hervorragendes Spiel gemacht hatte, beteuerte zerknirscht: „Es war ein Moment des Unglücks. Gerade als ich den Ball packen wollte, wehte ihn der Wind wieder hoch.“ Ein paar Wochen später sah er es schon ganz locker: „Das Tor war positiv für mich. Es wurde zehnmal im Fernsehen wiederholt, dadurch wurde ich bekannt.“

Bei Sätzen wie diesen ging so manchem etablierten Bayern-Star der Trachtenhut hoch. Der Mann, der das Torwartproblem lösen sollte, brachte ein neues mit in den hochsensiblen Kader. Seine Profilneurosen schürten Neid und Ablehnung. Es sei „schon fast peinlich, wie er sich der Presse anbiederte“, stänkerte ein Mitspieler anonym. Sie neideten ihm seine Popularität bei den Fans, bis zu 600 Briefe am Tag flatterten in den ersten Münchner Wochen ins Hause Pfaff und die aufmunternden überwogen bei weitem. Sechs Jahre blieb er in München, wurde ein Publikumsliebling, aber nie der Liebling der Mitspieler.

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Auch er verlor zwischenzeitlich seinen Platz (an Raimond Aumann), wurde dreimal Meister und zweimal Pokalsieger. Einmal entschied er ein Elfmeterschießen nicht durch seine Paraden, sondern durch seinen Treffer und einmal hielt er in letzter Minute einen Elfmeter von Manfred Kaltz. Nichts aber blieb stärker in Erinnerung als sein Patzer beim Einwurf von Uwe Reinders.

Vor zehn Jahren trafen sie sich im ARD-Studio, als auf 50 Jahre Bundesliga zurückgeblickt wurde und da beteuerte er standhaft, es sei eigentlich Augenthalers Schuld gewesen. Die Statistiken aber führen ihn als Eigentorschützen.
Gab es sowas noch mal in 60 Jahren Bundesliga? Dazu ein klares Jein.

Am 30. September 2018 warf Stuttgarts Borna Sosa den Ball auf seinen Keeper Ron-Robert Zieler, der aber nicht da stand, wo Sosa ihn wähnte. Zieler berührte den Ball noch mit dem Fuß und so kam ein Eigentor zustande, über das sich keiner der beiden freute.

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