Burnout im Ehrenamt: Viele Vereinsvorstände sind am Limit
Ehrenamtliche Führungskräfte tragen große Verantwortung, kämpfen aber oft allein mit Stress, Überlastung und fehlender Wertschätzung – mit Folgen.

Foto: privat
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In der vergangenen Woche lernte ich bei einer Podiumsdiskussion eine Psychologin kennen, die sich intensiv mit Burnout bei ehrenamtlich Engagierten beschäftigt. https://www.zeit.de/arbeit/2024-12/ehrenamt-burn-out-belastung-stress-krankheit Darüber wird kaum gesprochen – und doch betrifft es viele Vorstände von Sportvereinen. Kurz darauf las ich einen Beitrag von Personalberater Ingolf Klammer, der schrieb:
Euer CEO (Führungskraft) stirbt – und ihr schaut zu. 55% aller CEOs haben 2024 mentale Gesundheitsprobleme. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich noch viel höher. Angst. Depression. Burnout. 60% der Senior Leaders sagen, ihre mentale Gesundheit wurde durch Arbeit beeinträchtigt (Quelle: Forbes 2024). Wir predigen Work-Life-Balance – und belohnen Selbstausbeutung. Ein 58-jähriger CEO letzte Woche zu mir: „Ich habe zwei Optionen – weitermachen bis zum Herzinfarkt oder aufhören und als Versager gelten.“ Das ist keine Leadership-Kultur. Das ist strukturelle Gewalt. Eine deutliche Ansage aus berufenem Munde, die sich zwar auf die Wirtschaft bezieht! Sie gilt aber ebenso für viele Vereinsvorstände. Mit dem Unterschied, dass fast alle von ihnen ihre Gesundheit ehrenamtlich, also ohne Entlohnung, riskieren. Viele sagen inzwischen offen, dass sie unter den aktuellen Bedingungen nicht weitermachen wollen.
Vier Beispiele aus dem Alltag überlasteter Vereinsvorstände
- Uwe ist seit über 30 Jahren Vorsitzender. Er hat den Verein von ganz unten in hohe Spielklassen geführt, doch nun, im Ruhestand, merkt er, wie viele Dinge das Leben außerhalb des Vereins bereithält, z. B. Urlaubsreisen in den Süden. Der Verein ist sein Leben, aber es ist schwer, jüngere Leute zu finden, denen man wirklich Verantwortung übertragen möchte.
- Eberhard führt seit 20 Jahren einen Verein stabil durch Höhen und Tiefen. Doch während es schwerer wird, Nachwuchs für den Vorstand zu finden, wächst die Aufgabenlast. Und dann gibt es auch noch ständig Ärger mit den Behörden, vor allem wegen der lausigen Infrastruktur. Eigentlich möchte er aufhören, zumal er gesundheitlich angeschlagen ist. Aber wer übernimmt?
- Peter ist langjähriger Vorstand und zugleich einer der größten Sponsoren. Durch (durchaus angenehme) Veränderungen in seinem privaten Umfeld rückt der Verein in den Hintergrund – aber auch für ihn gibt es keinen Nachfolger. Immerhin können sich mehrere Leute vorstellen, den Verein gemeinsam zu führen, sofern Peter als Ratgeber erhalten bleibt.
- Rainer spürt nach über 20 intensiven Jahren die Erschöpfung. Trotz vieler Erfolge belasten ihn interne Meinungsverschiedenheiten. Für viele Alltagsaufgaben finden sich immer dieselben wenigen Freiwilligen. Der Fußballverband hat die Gebühren massiv erhöht, und nun ist auch noch ein größerer Sponsor abgesprungen. Wie erklärt man den Mitgliedern die Notwendigkeit höherer Beiträge?
Tatsächlich sind alle weiße Männer über 60, der Klassiker im Fußballverein. Hochverdiente Funktionäre, die stets das Wohl des Vereins im Blick haben. Doch alle leiden – wie viele andere auch – immer wieder unter ihrem Amt. Gründe sind oft fehlender Nachwuchs, mangelnde Methoden zur Gewinnung neuer engagierter Menschen, die auch für die Vereine neuen Herausforderungen der modernen Arbeitswelt und die wachsende Aufgabenlast.
Strukturelle Probleme, fehlende Unterstützung – und große Verantwortung
Marthe Lorenz von Klubtalent sagte kürzlich im Hartplatzhelden-Podcast: „In der Startup-Welt ist es normal, als Führungskraft einen Coach zu haben. In Sportvereinen gilt das als Schwäche. Warum ist das so? Wir sollten das ändern!“ Viele Engagierte – ob im Sport, in Umweltgruppen oder im sozialen Bereich – entwickeln Symptome von Burnout. Besonders ältere Männer sprechen kaum darüber. Unter vier Augen hört man dann von Schlaflosigkeit, enormem Stress, Konflikten zwischen Ehrenamt, Beruf und Familie.
Ein Journalist meinte neulich, die hohen Honorare für DFB-Vizepräsidenten seien gerechtfertigt, schließlich trügen sie große Verantwortung. Ich widersprach: „Genauso viel Verantwortung tragen tausende Ehrenamtliche an der Basis – nur ohne Bezahlung.“ Sie verantworten Personal, Finanzen, Kinderschutz, Kommunikation mit Behörden und müssen sich häufig Kritik anhören, während die Ursachen oft strukturell bedingt oder eklatantes Versagen deutscher Sportpolitik sind. Die Liste der Belastungen ist lang. Viele Vorstände zeigen nicht, wie sehr sie kämpfen – „stark bleiben“ gehört zur Kultur.
Mein Hartplatzhelden-Freund Michael Franke schrieb kürzlich, Ehrenamtliche seien keine Opfer. https://www.fupa.net/news/ist-ehrenamt-wirklich-ein-opfer-ich-sehe-das-anders-3141844 Schließlich nähmen sie aus ihrer Leidenschaft viel für ihr Leben mit. Das ist richtig. Aber ebenso stimmt: Wertschätzung fehlt – und Besserwisserei gibt es im Übermaß. Meine Kollegin Susanne Amar und ich haben das in vielen Workshops zur Stärkung des Ehrenamts im Sport erfahren.
Mehr Anerkennung – und ein Appell an die Engagierten
Dieser Text ist keine Klage. Er soll sichtbar machen, wie groß der Einsatz zehntausender Engagierter ist, die den Zusammenhalt in unserem Land sichern, für den Kitt der Gesellschaft sorgen. Und er zeigt das Missverhältnis zwischen ihrem Engagement und dem oft fehlenden Feedback.
Ich möchte dafür werben, Ehrenamtliche in den Amateurvereinen stärker zu würdigen: durch Worte des Dankes und durch praktische Unterstützung. Auch Spenden oder Sponsorings erleichtern die Arbeit, denn sie helfen der Weiterentwicklung des Vereins, sorgen bei all den Sorgen und Nöten für positive Erlebnisse. Und die braucht es genau so dringend wie die Wertschätzung.
Den Engagierten selbst möchte ich zurufen: „Passt gut auf euch auf. Sprecht mit Freunden und wohlwollenden Menschen im Verein, wenn ihr Unterstützung braucht oder einfach mal Sorgen – manchmal auch euren Frust – loswerden wollt.“ Denn die meisten merken nicht, wie belastet ihr seid. Schließlich funktioniert dank euch fast alles reibungslos.
Mehr Vielfalt als Lösungsansatz
Gerade ist das neue Freiwilligen-Survey erschienen. Die Ergebnisse geben keinen Grund zur Entwarnung, im Gegenteil. Die Engagement-Quote ist um 3 Punkte auf 36,7 % und damit unter 30 Millionen Menschen gesunken. Aber immerhin scheint sich beim Thema Vielfalt etwas zu bewegen. Denn trotz des allgemeinen Rückgangs sind die Werte bei Ehrenamtlichen mit Zuwanderungshintergrund stabil. Vielleicht liegen viele Lösungsansätze auch darin, die Gremien in Vereinen und anderen Organisationen diverser zu gestalten. Das wäre auch eine passende Antwort auf die zunehmend ausgrenzenden Tendenzen in unserem Land. Die Wirtschaft und ihre Fachkräfte aus dem Ausland würde es übrigens danken.
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