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Mainz 05 ist mir ans Herz gewachsen

Klopp, Tuchel, Frank: Der deutsche Fußball hat dem Liga-Vorletzten sehr viel zu verdanken und darf deshalb nicht absteigen - meint der Kolumnist

Foto: Imago / Beautiful Sports

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Außerhalb der kenntlich gemachten Fanbereiche herrscht im Fußball die Meinung vor, dass nicht Schals, Fahnen und Vorlieben über Wohl und Wehe eines Vereins entscheiden sollten, sondern Tore und Tabellen. Das ist gut so. Nur gibt es aber von Zeit zu Zeit Ereignisse, die einen diesbezüglich nachdenklich werden lassen.

Momentan droht zum Beispiel dem FSV Mainz 05 so ein Ereignis, nämlich der Abstieg. Mainz ist Vorletzter der Bundesligatabelle, neun Punkte fehlen zum rettenden 15. Platz, der Rückstand auf Leverkusen beträgt schlappe 48 Zähler.

Es wäre meiner Meinung nach sehr schade, wenn Mainz uns verlassen müsste, denn dieser Verein ist mir ans Herz gewachsen. Das hinbekommen zu haben, ist im Grunde eine Meisterleistung für sich, denn ich war bei keinem Heimspiel der Mainzer, und ich kenne auch die Innenstadt nicht, nie gesehen. Ich war nur zweimal kurz dort, einmal traf ich Thomas Tuchel zum Mittagessen, und einmal war es dunkel: Ich verbrachte einen Samstagabend im ZDF-Sportstudio.

Ich bin also kein 05-Fan, und doch dürfen die Mainzer nicht absteigen, finde ich, denn wir haben ihnen viel zu verdanken. Und damit meine ich nicht Riesling und schon gar nicht Fastnacht, obwohl ich als Kind jede "Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht"- Sendung tapfer durchgestanden habe.

Nein, ich meine das anders. Mainz hat ein paar der erfolgreichsten Figuren der Fußballgeschichte hervorgebracht. Jürgen Klopp wuchs dort vom mittelmäßigen Zweitligaspieler zum Jahrhunderttrainer – er gewann später zwei Meisterschaften in Folge mit Dortmund, was seltener vorkommt als ein fehlerfrei vorgetragener Schalke-Konter, und dann die Champions League mit Liverpool.  

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Auch Thomas Tuchel startete am Bruchweg eine (mit kleinen Ausnahmen, siehe aktuelle Bundesligatabelle, hüstel) sagenhafte mehrsprachige Trainerkarriere, die in einem Champions-League-Sieg mit Chelsea zwischengipfelte.

Und vergessen wir nicht den leider 2013 verstorbenen Wolfgang Frank, der heute als Vorabmeldung der neuen Trainergeneration gilt. Frank wurde 1995 Trainer in Mainz und setzte nach einigen Rückschlägen trotz Abstiegskampf in der zweiten Liga (!) auf Raumdeckung, Vierer-Abwehrkette, Forechecking, Pressing, also aggressiven Tempofußball. Das ist, als wäre man in den Neunziger Jahren mit einer Playstation 5 unterm Arm zum Mensch-ärgere-dich-nicht-Abend angerückt.

Frank war seiner Zeit also weit voraus. Die meisten deutschen Trainer behaupteten damals standhaft, man müsse keinen Raum decken, weil ein Raum ja keine Tore schieße. Bundestrainer Erich Ribbeck ließ sogar noch fünf Jahre später die Nationalmannschaft bei einer EM mit Libero auflaufen, was ihn zu einer Art Ehren-Nicht-Mainzer macht.

Frank inspirierte jedenfalls Horden von Mainzern, zum Beispiel Sandro Schwarz und David Wagner, und er galt als Mentor von Jürgen Klopp.

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Die vergangenen sechs Bundesligaspiele beim FC Bayern ging Mainz 05 als Verlierer vom Platz. Trainer Bo Henriksen hofft dennoch auf den ersten Auswärtserfolg der Saison.

Aus Mainz kommt übrigens obendrein das schärfstsehende Trainerdiamantenauge der Welt, Christian Heidel. Dieser Mann, einst Autoverkäufer, ist seit 32 Jahren (abzüglich eines kurzen Abstechers nach Gelsenkirchen) Manager des ersten Fußball- und Sportvereins Mainz 05 e.V. und machte all das möglich.

Mal ehrlich: Mainz 05 darf einfach nicht absteigen.

Nun wird sich bei der DFL eine Lex Mainz leider schlecht durchsetzen lassen, egal wie oft man darüber abstimmen lässt, weshalb ich inständig hoffe, dass sich der Klub selbst retten kann. Ein Sieg am Samstag beim FC Bayern wäre ideal und nicht mal so unwahrscheinlich angesichts der jüngsten Zickzack-Leistungskurve des Rekordmeisters, ist aber noch nicht verpflichtend, der Rückstand auf den 1. FC Köln und Relegationsplatz 16 beträgt nur einen Punkt. Und wir wissen alle: Niemals würde Mainz gegen den HSV verlieren.

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