Bayer 04 Meister! Aber nach dem Titel ist vor dem Titel
Erstmals in 120 Jahren gewann die Werkself den Meistertitel. Die Arbeit fängt jetzt richtig an
Inhaltsverzeichnis
Guten Morgen, liebe Fußballfreunde!
Ein besseres Timing hätte die Deutsche Fußball-Liga (DFL) nicht erträumen können. Rechtzeitig zur Rechteausschreibung im Frühjahr steht fest: Die Bundesliga ist an der Tabellenspitze nicht nur Bayern, Bayern, Bayern – sondern verspricht TV-Sendern Abwechslung. Oder zumindest: einen neuen Meister.
Zwar nur das kleine Leverkusen, das mit 163.000 Einwohnern weniger Breitenwirkung entfesselt als Borussia Dortmund oder VfB Stuttgart, aber eine Sympathiewelle erfährt wie seit Jahren nicht. Die Erleichterung im ganzen Land ist groß: Hauptsache, Bayern München holte nicht den 12. Meistertitel in Folge.
Es gibt keinen Zweifel: Bayer Leverkusen hat diesen Meistertitel verdient, den ersten in 120 Jahren. „Vizekusen“, wie die Mannschaft gerne verspottet wurde, gehört seit 1979 zum Establishment der Bundesliga und wurde deutlich seltener Vizemeister (5mal) als zum Beispiel Borussia Dortmund (11mal).
Man unterschätzt Bayer Leverkusen schnell, weil man voreilig den alten Begriff „Werkself“ verwendet und den Verein im Schatten der prominenten Nachbarn 1. FC Köln und Mönchengladbach vermutet. Dabei brachte Bayer schon immer Sportler auf Weltniveau hervor. Meistens halt in Leichtathletik und Basketball.
Nun also Fußball. Meisterschaft am 29. Spieltag der Saison: Das kannte man nur von den Bayern. Das 5:0 gestern gegen Werder Bremen unterstrich, was wir seit Monaten vermuten: dass Trainer Xabi Alonso ordentlich zu Ende bringt, was er angefangen hat. Er bleibt und wächst zu einem noch größeren Trainer heran.
Wie lange sich Bayer 04 oben halten kann? Keine Ahnung. Beim VfB Stuttgart 2007 und beim VfL Wolfsburg 2009 dauerte der Meistertaumel ein Jahr, bei Borussia Dortmund 2011 und 2012 immerhin zwei Jahre. Der Rest war: Bayern München. Man ahnt, wann das Imperium zurückschlägt: jetzt und sofort.
Den Bayern wurde vor Augen geführt, dass ihr Fußball in die Jahre gekommen ist und nicht allein mit einem Trainerwechsel eine Blutauffrischung erfährt. Bayer 04 zeigt, wie moderner Fußball läuft: Nicht ein Torjäger allein ist fürs Toreschießen verantwortlich, sondern ein ganzes Team. Jeder einzelne.
Gestern zum Beispiel Florian Wirtz mit seinem allerersten Hattrick. Wenn so ein Ruck durch die ganze Mannschaft geht, sind späte Tore die logische Konsequenz. Früher sagte man dazu „Bayern-Dusel“ und zuletzt „Mia-San-Mia“. Die jüngere Variante dürfen wir jetzt seit Monaten bei Bayer 04 Leverkusen bewundern.
Und sagen: Herzlichen Glückwunsch zur Meisterschaft, Bayer Leverkusen!
Einen trinkfesten Montag wünscht
Euer Pit Gottschalk
⚽️ Emotionen pur
Von Oliver Mucha
Vizekusen ist Vergangenheit: Mit der ersten Meisterschaft der Vereinsgeschichte haben die Fußballer von Bayer Leverkusen Geschichte geschrieben und die bösen Geister der Vergangenheit vertrieben.
Besonders bemerkenswert: Leverkusen hat den Titel mehr als verdient und aufgrund der eigenen Stärke gewonnen. Trainer Xabi Alonso hat den gesamten Verein wachgeküsst und verzaubert. Die Verantwortlichen haben bei den Sommer-Transfers ein goldenes Händchen bewiesen.
Mit ihrer attraktiven Spielweise verzückten die Leverkusener Fußball-Deutschland. Der dominante Ballbesitzfußball der Werkself wird in Europa bewundert. Jetzt könnte aus „Meisterkusen“ sogar ein „Doublekusen“ oder „Triplekusen“ werden. Zudem könnte Bayer die erste Bundesliga-Mannschaft werden, die in einer kompletten Saison ungeschlagen bleibt.
Der Liga tut der neue Meister nach der erdrückenden Dominanz der Bayern über ein Jahrzehnt gut. Und es muss kein „One Hit Wonder“ bleiben: Alonso hat mit seinem Bekenntnis zum Klub bereits ein starkes Zeichen gesetzt, auch Schlüsselspieler Florian Wirtz bleibt dem Verein erhalten. Die Konkurrenz um die diesmal abgehängten Bayern wird sich gehörig strecken müssen, um wieder auf Augenhöhe zu kommen.
Oliver Mucha ist Redakteur beim Sport-Informationsdienst (SID)
⚽️ Heute im Fernsehen
19.30 Uhr, Sport1: Frauen-Bundesliga, TSG Hoffenheim – 1. FC Köln
⚽️ Danke, Mainz 05, für diesen Abstiegskampf!
Von Alex Steudel
Nur zwei Wochen ist es her, da schien unten alles klar: Sogar der VfL Bochum, auf dem rettenden 15. Bundesligaplatz stehend, war von Relegationsrang 16 satte sechs Punkte entfernt. Fernglasdistanz, würde Uli Hoeneß sagen. Entsprechend machte sich totale Entspannung breit. Beim VfL im Ruhrpott, erst recht beim VfL in der Autostadt und in anderen Klubs, wo sie sich schon zaghaft auf die Schultern klopften und das Restprogramm als Urlaubsvorbereitung verbuchten.
Weit gefehlt.
Denn jetzt, zwei Spieltage später, haben plötzlich ACHT Klubs mit Klassenkampf zu tun. Und zwar vor allem, weil die von ihrem neuen Trainer Bo Henriksen angestachelten Mainzer partout nicht absteigen wollen. Sie wollen nicht. Die Mainzer haben alle aufgerüttelt, sie spielen auf, als könnten sie Bayern einholen.
Während ganz oben in der Tabelle das Wichtigste entscheiden ist, passieren unten plötzlich die verrücktesten Dinge: Eigentore, Last-Minute-Wendungen, Trainerentlassungen, Angst, Panik – irre!
Ein altes, ungeschriebenes Bundesligagesetz besagt: Je tiefer einer drinsteckt, desto unberechenbarer wird er. Mainz steckte mit dem 1:8 am 9. März in München final drin: Platz 17, neun (!) Punkte hinter Platz 15. Alles schrie nach einem Feierabendbier. Was dann passierte: vier Mainzer Spiele ohne Niederlage, zehn Zähler. Und Trainer Henriksen hat Dauermuskelkater im Jubelarm.
VfL Bochum tat alles, um das schier Unvermeidliche abzuwenden. Wechselte den Trainer, überwand Widerstände; zum Beispiel am Samstag einen Rückstand durch Eigentor in Heidenheim mit dem Ausgleich in letzter Sekunde durch ebenjenen Eigentorschützen Keven Schlotterbeck. Doch die Bemühungen der Bochumer, nicht abzusteigen, wirken wie Zappeln im Treibsand. Mit jeder Jubelbewegung wird alles schlimmer. Denn Mainz gewinnt und gewinnt.
Ähnliches gilt für Wolfsburg, das ebenfalls panisch den Trainer wechselte, für Union Berlin, das eine Saison des Grauens erlebt, für Borussia Mönchengladbach, das es ja so wollte, für Werder Bremen (0:5 in Leverkusen) – alle haben sie am Wochenende ihre Spiele verloren. ALLE.
Nun ist zum Beispiel Gladbach Elfter, aber eben nur fünf Punkte von Platz 16, also womöglich Fortuna Düsseldorf, entfernt.
Das ist verrückt, wenn man bedenkt, dass der Abstiegskampf vor ein paar Wochen so spannend wie Kartoffelschalensuppe war. Würde diese Saison noch vier Wochen länger dauern, wette ich, könnte sogar Eintracht Frankfurt absteigen.
Wen erwischt es am Ende wirklich? Das ist vollkommen egal, der Weg ist das Ziel. Und der Weg wird immer steiniger. Kommenden Samstag treffen Wolfsburg und Bochum aufeinander – der Grauico steht an.
Unbeirrt ziehen derweil nur das bemitleidenswerte Darmstadt (zwölf Punkte hinter Platz 16) und der FC weiter ihre Kreise: Die Kölner haben zwar vorige Woche gegen Bochum gewonnen, aber seit Dezember keinen Nichtabstiegsplatz mehr gesehen. Und in zwei Wochen müssen sie noch, so leid es mir tut: nach Mainz. Das war’s dann wohl.
Oder etwa doch nicht?
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