Auf dem Dorf rollt der Ball runder: Was Städte vom Land lernen können

Nicht alles läuft gut - doch anders als in vielen Metropolen hat der Amateurfußball auf dem Land noch einen positiven Stellenwert

|12. Oktober 2025|
Foto: privat
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Eine mehrtägige Reise nach Oberfranken bietet einem Großstädter wie mir ganz andere Fußballerlebnisse – vor allem, wenn man die kleinen Sportplätze in den Dörfern besucht. Meistens wird dort Kreisliga gespielt, manchmal Bezirksliga. Letzteres bringt schon weite Auswärtsfahrten mit sich – und damit höhere Belastungen für die Vereinskasse. Doch die Zuschauerzahlen sind beeindruckend: Oft kommen zur Kreisliga mehr Fans als in Berlin bei einem Verbandsliga-Derby, wo mitunter nicht mal Eintritt genommen wird – mangels Publikum oder weil sich kein Kassierer findet.

Was besonders auffällt: Die Plätze sind in Top-Zustand. Selbst im Winter wird auf Naturrasen gespielt – etwas, das in Berlin jedes Grünflächenamt sofort auf den Plan rufen würde. In der Hauptstadt – die sich gern als Sportmetropole inszeniert und von einer Neuauflage der Olympischen Spiele 36 träumt – ist ein Rasenplatz offiziell von Ende April bis Anfang Oktober nutzbar. Mit vier Wochen Sommerpause und Spielabsagen bei 10 % Regenwahrscheinlichkeit bleiben so gerade mal 20 % der Heimspiele auf echtem Rasen übrig.

Die großen Berliner Ks: Kunstrasen, Kreuzbandriss und Knöchelbruch

Der Rest wird auf Kunstrasen ausgetragen – oft in abenteuerlichem Zustand. Ab November dürfen diese Plätze nicht mehr gewässert werden, da man (trotz Klimakatastrophe) Schäden durch Dauerfrost fürchtet. Vielleicht ist das auch ein Akt der „Wettbewerbsgleichheit“ für die Vereine ohne funktionierende Bewässerung. Die Notaufnahmen in Berliner Krankenhäusern danken es mit der berühmt-berüchtigten Herzlichkeit, wenn verletzte Spieler nach Kreuzbandriss oder Knöchelbruch im Trikot eingeliefert werden. Wobei die Zeiten, in denen Ur-Berliner den Betrieb aufrecht halten könnten, längst vorbei sind. Die viel zitierte Diversität ist in Kliniken genau so Lebensrealität wie auf den Fußballplätzen, wenn auch nicht in den dazugehörigen Verbänden.

In Berlin muss die ambitionslose Sportpolitik keine Konsequenzen für ihr jahrelanges Versagen fürchten. Man kennt sich in Verbänden und Politik gut, begegnet sich immer wieder bei einem der vielen Empfänge – und plaudert dort gern ungezwungen. „Berlin feiert nun mal gern!“, sagte kürzlich eine Bekannte. Immerhin wusste der oft unterschätzte Klaus Wowereit: Mit Festen allein gewinnt man keine Wahlen.

Zurück aufs Land: Auch aus Brandenburg berichtet mein Freund Hendrik von einer familiären Stimmung auf den Plätzen. Die Atmosphäre ist freundlich, die Spiele gut besucht. Natürlich gibt es auch dort Blutgrätschen und verbale Entgleisungen, von denen jede eine zu viel ist. Aber tatsächlich hatte ich bei meinem Besuch der fränkischen Sportanlagen ein Gefühl von familiärem Zusammenhalt, auch wenn es nach der 0:5-Schlappe der Rattelsdorfer Heimmannschaft gegen die Favoriten aus Kronach nicht nur freundliche Worte unter den Zuschauern gab. Aber am Ende blieb alles ruhig, zu keiner Zeit drohte das Spiel oder das Umfeld aus dem Ruder zu laufen.

Schiedsrichterwesen in Bayern setzt Maßstäbe

Was auch mit dem umsichtigen und nahbaren Schiedsrichter zu tun haben könnte, der unterstützt von seinen Assistenten alles im Griff hatte. In Bayern kommt selbst in der Kreisliga ein Gespann mit Headset, während in Berlin selbst in der Bezirksliga die Unparteiischen auf sich allein gestellt sind. Oft ist „zur Unterstützung“ noch ein Schiedsrichterbeobachter da, der den armen Referee durch seine Anwesenheit noch zusätzlich unter Druck setzt.

Der DFB bejubelte jüngst einen Schiedsrichterzuwachs, der kommt allein zu einem Drittel aus Bayern. Was machen die da anders? Die großartige Kriminologin und Gewaltpräventions-Forscherin Dr. Thaya Vester führt die besseren Ergebnisse nicht zuletzt auf die immer noch etwas andere Stimmung zurück.

Die Vereinsheime funktionieren und sind einladend, im Gegensatz zu den. Trotz des Feldzugs des obersten Repräsentanten der Schweinefleisch- und Fastfoodindustrie, nebenbei noch Ministerpräsident seines Bundeslandes – sorry, Freistaats – findet man auf den Speisekarten sogar Vegetarisches neben dem Leberkäs-Brötchen, in dem übrigens so wenig Leber und Käse enthalten sind wie Milch in Scheuermilch.

Sport an der frischen Luft hilft gegen Schnapsideen

Auch Burger haben nichts mit bayerischen Burggrabenkämpfen oder Wut-Burgern zu tun. Der Name „Hamburger“ leitet sich von der deutschen Stadt Hamburg ab, da dort Hackfleischfrikadellen, die sogenannten „Hamburger Steaks“, populär waren, die von deutschen Einwanderern in die USA gebracht wurden. Keine Sorge, liebe St. Paulianer, euer Verein war im 19. Jahrhundert noch nicht gegründet, es können also nur die anderen gewesen sein.

Während die Veggie-Burger künftig umbenannt werden müssen, falten die hübsch anzusehenden Zitronenfalter an den oft idyllisch gelegenen fränkischen Sportplätzen derweil weiterhin die Zitronen. Sportliche Grüße und ein Tipp an alle EU-Abgeordneten und die Wortakrobaten in den Kommissionen: Ein bisschen Sport an der frischen Luft macht den Kopf frei von geistigem Käse und Schnapsideen. Aber in dieser Kolumne sollen europäische Entscheidungen nur kommentiert werden, wenn es um die intransparenten Zahlungen der UEFA an DFB-Funktionäre geht, was heute nicht Thema ist.

Ob das der Markus weiß? Bayerischer Fußball-Verband fördert die Integration

Der Bayerische Fußball-Verband hat sicher seinen Anteil am Aufschwung bei den Referees. Schon immer legte er Wert auf das Schiedsrichterwesen und Fortbildungen. Der langjährige Präsident und DFB-Spitzenfunktionär Rainer Koch war für seinen Verein Kirchheimer SC in mehr als 1000 Spielen mit der Pfeife unterwegs. Das prägte auch die Arbeit in seinem Landesverband, der seit jeher, als der am besten geführte – wohl auch vermögendste – von allen gilt. Der kürzlich aus naheliegenden Gründen in Herzogenaurach stattfindende BFV-Integrationstag war schon lange Zeit vorher ausgebucht. Hoffentlich wertet der Repräsentant der bayerischen Fleischindustrie die lobenswerte Idee nicht freistaatszersetzend und streicht die Fördermittel.

Natürlich ist auf dem Dorf nicht alles super. Im Jugendbereich kann man sich im ländlichen Raum oft nur mit Spielgemeinschaften aus Vereinen mehrerer Ortschaften helfen, die in der Regel keine Liebesheirat sind. Allein die Frage, welches Team auf welchem Platz und in welchen Farben gespielt wird, verhindert manchmal die eigentlich sinnvolle Zusammenarbeit. Zum Nachteil der Jugendlichen, die dann in der Nähe womöglich gar keinen Verein mehr finden.

Zusammenhalt ist auch auf dem Land eine Herausforderung

Die in fast allen Sportvereinen verbreiteten Probleme mit dem Ehrenamt gibt es auch in der Provinz. Mein vor Ort lebender Schwiegervater spricht oft davon, dass Gemeinschaftssinn und Zusammenhalt auch in den Dörfern schwinden – trotz noch existierender Dorfgasthäuser mit Stammtischen und oftmals selbst gebrautem Bier. (Fun Fact: Die Region um Bamberg hat angeblich die größte Brauereidichte der Welt.) Er selbst war in vielen Vereinen seines Dorfs im Vorstand aktiv, ähnlich wie mein Vater und meine Geschwister in Niedersachsen. Eine gewisse Prägung ist bei mir also nicht von der Hand zu weisen.

Auch wenn selbst im bayerischen Fußball nur noch selten, wie vor 50 Jahren, 1000 Zuschauer zu den Lokalderbys kommen, waren beim Frauen-Landesligaspiel der SpVgg Germania Ebing fast 200 Zuschauer vor Ort. Anschließend spielten die Männer, vor etwas kleinerem Anhang, der aber immer noch dreistellig war. Abends sah ich Spieler im örtlichen Wirtshaus, wo das hervorragende Schwanen-Bräu im Bierkeller noch selbst hergestellt wird. Bei näherem Hinsehen erkannte ich, es waren welche vom Gegner. Die schöne Tradition, dass sich die gegnerischen Teams nach dem Spiel noch zum Fachsimpeln zusammenhocken, ist leider fast überall verschwunden. Wie die Gäste nach Hause gekommen sind, weiß ich nicht. Bestimmt wurde vorher geklärt, wer abends den Kleinbus fahren muss.

Übrigens: Die größte jährliche Attraktion in Ebing ist das dreitägige Seefest, zu dem Menschen aus der ganzen Umgebung anreisen – organisiert vom örtlichen Sportverein.

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