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Der Amateurfußball muss sich neu erfinden

Die Herausforderungen an ein Ehrenamt wachsen. Um dem Wandel zu begegnen, müssen Vereinsvertreter umdenken.

Foto: Adobe / kudosstudio

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„Den Nörglern verdanken wir den Fortschritt. Der Zufriedene will nichts ändern!“ So lautet ein altes Sprichwort, das mein guter Freund Bernd immer wieder zitiert. Er ist fast doppelt so lange im Berliner Amateurfußball tätig wie ich, 30 Jahre Vorsitzender bei Stern 1900.

Warum das hier wichtig ist? Kaum jemand engagiert sich länger, hat sich stets auch in Verbandsdinge eingemischt. Kenntnisreich, leidenschaftlich, mitunter sehr energisch. Es war als Fußballer und Schiedsrichter aktiv, er ist mit seinem Verein erfolgreich, sportlich wie wirtschaftlich. Ein Vorbild. Wir sind und waren nicht immer einer Meinung. Aber wir haben Differenzen immer ausdiskutiert. Manchmal gab es ein paar Wochen Funkstille, vor allem wenn es um Spielerwechsel ging. Aber wir haben uns immer wieder zusammengerauft.

Das ablaufende Jahr wirkt auf uns beide wie eine Zäsur. Die meisten Mitstreiter haben sich zurückgezogen. Sie sind in Rente, haben familiäre Schwerpunkte oder kümmern sich einfach mehr um sich selbst, was nicht verwerflich ist. Es dürfte sich nicht nur um einen Berliner Trend handeln. Die letzten Jahre waren nicht nur aufgrund der Pandemie kräftezehrend. Es wird immer schwerer, Menschen für das Ehrenamt im Verein zu begeistern. Die Lebensentwürfe verändern sich, die Prioritäten werden neu gesetzt, der Arbeitsmarkt fordert mehr.

Warum sich im Sport immer weniger Ehrenamtliche engagieren
Die meisten Ehrenamtliche sind immer noch in Sportvereinen aktiv. Der Trend ist jedoch rückläufig, sagt Projektmanager Peter Schubert im Dlf.

Einige Menschen behaupten, die Rentner seien heutzutage so rüstig und agil, die könnten die negative Entwicklung stoppen. Das ist nicht realistisch. Wer nach einem arbeitsreichen Leben erst einmal die Verlockungen der Freizeit genießt, wird in der Regel versuchen, die verbleibende aktive Zeit zu nutzen, um Dinge zu tun, die bislang zu kurz kamen. Reisen, Literatur, Filme und Enkel, Radfahren, Walken zum Beispiel. Zudem ist es nicht die beste Idee, jemanden mit 67 noch achtjährige Kinder trainieren zu lassen. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel.

Die Verbände zelebrieren Meldungen über ansteigende Zahlen von Kindern in den Vereinen. Im krassen Kontrast dazu stehen die jüngsten Ergebnisse des Ziviz-Engagement-Surveys. Interessant ist, wie der Sport sich sieht. Als Sportanbieter, klar. Aber nicht als Impulsgeber für den sozialen Wandel, schon gar nicht als politischer Akteur. Spötter könnten meinen, die gesellschaftliche Entwicklung laufe an den Sportvereinen vorbei, zumal die gesellschaftlichen Herausforderungen eher steigen.
 
In der Gesamtheit aller Organisationen fällt ein klarer Trend auf. Der Aussage „Unsere Arbeit sollte von uns geleistet und von uns selbst finanziert werden“ können immer weniger Vereinsvertreter etwas abgewinnen. Beim Sport kommt in dramatischer Weise die Problematik hinzu, neue Engagierte zu finden. Und zwar deutlich stärker als bei Feldern wie Kirchen oder Kultur. Noch etwas fällt auf: Während der Anteil an Spendengeldern fast überall steigt, sinkt er beim Sport sogar leicht.

Fritz Keller bejubelte einst "den wertvollsten Kader der Welt mit 1,6 Millionen Ehrenamtlichen". Die sogenannte Sozialrendite beziffert er mit einer gigantischen Summe von 13,9 Milliarden Euro, was ihn "praktisch vom Hocker riss".

Ich halte das für maßlos übertrieben.

Die Geldsumme kann ich nicht beurteilen, aber 1,6 Millionen Ehrenamtliche führt allgemein zu Kopfschütteln. Es sei denn, man rechnet jede Fahrt mit dem Elterntaxi zum Spiel, jede Wäsche eines Kindertrikots, jeden verkauften Kuchen zum Ehrenamt. Sind derlei Dinge nicht einfach selbstverständlich?
 
Wir müssen uns den Herausforderungen stellen. Wie schaffen wir Abhilfe gegen den gefährlichen Trend? Vielleicht durch mehr Hauptamtliche. Vielleicht durch ein erweitertes Angebot der Vereine. Bestimmt durch neue Themen, die junge Menschen interessieren. Beim FC Internationale ist das neben dem Sport die Nachhaltigkeit. Oder durch die verstärkte Kooperation von Klubs.

Hier ein paar unbequeme Wahrheiten:

  • Junge Menschen stehen aufgrund des Fachkräftemangels künftig eher weniger als mehr zur Verfügung
  • Die Beiträge für Mitglieder werden steigen müssen, um Personal zu finanzieren
  • Vereine werden mehr Verantwortung für Sportanlagen übernehmen müssen, da viele Kommunen handlungsunfähig sind
  • Die Abgaben an die Verbände werden höher, denn auch deren Aufwand steigt
  • Wir Älteren müssen bereit sein, den Jüngeren und ihren Ideen Platz einzuräumen
  • Neue gesellschaftliche Entwicklung wie Digitalisierung und neue Medien sollten nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung betrachtet werden
  • Die Zusammenarbeit zwischen den Klubs muss intensiviert werden, um sich Aufgaben und Kosten zu teilen

Der Amateurfußball muss sich ein Stück weit neu erfinden. Dafür muss er neue Wege gehen. Vereine sollten sich genau ansehen, was in der Vergangenheit gut war und dieses nicht verloren geben. Wir müssen aber auch bereit sein, wieder bescheidener werden. Die Profiligen sind diesbezüglich leider kein gutes Vorbild. Das Wichtigste ist aber, dass Fairplay und Spaß vorhanden bleiben, nicht zuletzt auch für Trainer und Vorstände. Jeder gewinnt gern, aber Niederlagen und Abstiege gehören zum Sport dazu.

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