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Als ein Norweger die Bayern blamierte

Arne-Larsen Ökland schrieb nicht allein wegen seines Hattricks gegen Bayern Bundesliga-Geschichte. Der Leverkusener zeigte Gnade

|6. Februar 2024|
Als ein Norweger die Bayern blamierte
Als ein Norweger die Bayern blamierte

Arne-Larsen Ökland gegen die Bayern 1981. Foto: Imago / Werek

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Wenn die Bayern nach Leverkusen müssen, wird ihnen mulmig. Immerhin hat sich der Werksklub nach seinem Aufstieg 1979 in der Bundesliga fest etabliert, ihnen manch heißen Titelkampf geliefert und im eigenen Stadion schon 15 Niederlagen zugefügt. Eine der höchsten gab es, als Leverkusen noch ein Abstiegskandidat war und das Stadion nach einem Bürgermeister hieß.

Das Ergebnis fiel so deutlich aus, dass Bayer 04 sogar auf einen Treffer verzichten konnte. Ein Sieg für den Sport, aber eine doppelte Blamage für die Bayern. Man folge bitte ins Ulrich-Haberland-Stadion im Frühjahr 1981. 

Die Bayern kommen! Was heutzutage volle Ränge garantiert, war vor 40 Jahren noch etwas Besonderes. Dabei waren sie schon damals das Nonplusultra der Liga, hatten die größten Stars, das meiste Geld und nach Berlin das größte Stadion im Land. Trotzdem herrschte keine Euphorie, als der amtierende Meister am 7. März 1981 zum zweiten Mal in seiner Bundesliga-Historie nach Leverkusen musste.

Man zählte 16.000 Zuschauer und 6500 freie Plätze. Es war die bleierne Zeit der Bundesliga, Hooligans und unkomfortable Arenen schreckten die Interessenten ab. Für Leverkusener Verhältnisse aber war es ein Spitzenbesuch – und alle, die nicht gekommen waren, sollten es bereuen. Denn jener erste März-Samstag 1981 sollte fußballhistorisch werden.

Die Bayern kamen mit dem üblichen Anspruch zu siegen, im Zweikampf mit Tabellenführer Hamburger SV zählte jeder Punkt. Der Gastgeber war Dreizehnter und seit zwölf Spielen sieglos. Allerdings war der Elf von Trainer Pal Csernai in den fünf Gastspielen zuvor auch kein Sieg gelungen, es brodelte schon wieder mächtig an der Säbener Straße.

Csernai bot alle Stars jener Epoche auf, der man später das Etikett der „Breitnigge-Ära“ anhaftete. Die Nationalspieler Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge waren schlicht Weltklasse und regierten mit Manager Uli Hoeneß seit der März-Revolution 1979 den FC Bayern. In jener Saison 1980/81 avancierten Spieler wie Wolfgang Dremmler und Kurt Niedermayer zu Nationalspielern, und Klaus Augenthaler sollte es noch werden, der sogar ein Weltmeister.

Und Leverkusen? Eine Ansammlung von Namenlosen. Der bekannteste, 1974er-Weltmeister Dieter Herzog, saß auf der Bank. Zehn Deutsche trugen das Trikot der Werkself und nur ein Ausländer – völlig normal in diesen Zeiten. Mehr als zwei Legionäre erlaubten die DFB-Statuten nicht, was der Nationalmannschaft (Europameister 1980) sehr zu Gute kam.

Aber der Exot, für den Bayer im Sommer 200.000 D-Mark an den FC Bryne in Norwegen bezahlt hatte, war sein Geld wert. Sein Name wurde spätestens an jenem Samstag in der Fußballwelt ein Begriff: Arne-Larsen Ökland. Ihm gelang fast alles. Aus dem, was ihm misslang, machte er das Beste. Der Reihe nach.

Bayer 04 Leverkusen spielte eine furiose erste Halbzeit. In den ersten 24 Minuten schoss und köpfte der Norweger unter den Augen seines Nationaltrainers gegen desolat verteidigende Bayern drei Tore – ein klassischer Hattrick. Erbost wechselte Csernai beide Innenverteidiger aus: Klaus Augenthaler (nach 36 Minuten) und Öklands Landsmann Jan-Einar Aas (54 Minuten), der noch am selben Tag (!) verkauft wurde.

Ein Hattrick gegen die Bayern – wer so etwas bewirkt, verdient Beifall. Bis dahin hatten das nur der Nürnberger Franz Brungs (1968) und Hannovers Willi Reimann (1973) geschafft.

Das allein hätte schon gereicht, um ein paar Tage im Gespräch zu bleiben. Doch unsterblich machte sich der gelernte Steuerrevisor Ökland durch ein Tor, das gar nicht zählte. Ein Bundesliga-Novum, das ihm den Fair-Play-Preis der Fifa eingebracht hätte, wenn es den damals schon gegeben hätte.

Es lief die 72. Minute, als etwas geschah, „was es in der Bundesliga so noch nie gegeben hat“, wie ARD-Kommentator Fritz von Thurn und Taxis in der Sportschau sagte. Wolfgang Vöge schlug von rechts eine Flanke in den Fünf-Meter-Raum, und Ökland war wieder mal schneller als sein Widersacher; diesmal hieß er Niedermayer. Aus kurzer Distanz schoss er ans Außennetz, das sich kräftig beulte.

Von der Hintertorstange prallte der Ball noch mal von hinten ans Netz, dann trudelte er hinter das Tor. Die Zuschauer und einige Spieler aber jubelten, Schiedsrichter Werner Horeis entschied auf Tor. Er zeigte nach Befragung seines Linienrichters in Tornähe zur Mitte, der Ball lag schon zum Wiederanstoß bereit. Kollege Nummer zwei äußerte zwar Zweifel, aber Horeis blieb bei einer Fehlentscheidung.

Breitner und Rummenigge protestierten aber so heftig, dass Ökland Zeit fand, sein Gewissen zu befragen. Er fand eine gute Lösung: Der 26jährige ging zu Horeis und will ihm in seinem recht passablen Deutsch gesagt haben: „Ich will Ihnen helfen, weil Sie so gut gepfiffen haben. Es war kein Tor, ich habe nur das Außennetz getroffen.“

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Meine verrückten Erlebnisse als Fußballreporter. Anekdoten und Geschichten, was tatsächlich hinter den Kulissen passiert. Portofrei.

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Horeis glaubte ihm gerne, annullierte das Tor und drückte Ökland dankbar die Hand. Es blieb beim 3:0, an diesem Tag brauchten die Leverkusener kein Tor mehr gegen die großen Bayern und konnten sich leisten, sie zu beschenken.

Dann war Schluss. Ökland wurde hinterher von der Presse umringt wie ein Popstar von Autogrammjägern. „Wenn es kein Tor war, muss ich das auch sagen“, sagte er mit treuem Augenaufschlag Ungewöhnliches für Reporter-Ohren, die solche Sätze im harten Bundesligageschäft nicht kannten. Dann kam die Frage auf, ob er auch beim Stande von 0:0 auf sein Tor verzichtet hätte.

„Doch, ich glaube schon“, sagte der Held des Tages, dem der Interviewmarathon viel zu lange dauerte. Er wollte unbedingt seine Frau anrufen, damit die den Videorekorder programmiere. Ausschnitte seines großen Auftritts kamen ja anschließend in der ARD-Sportschau, und die konnte er nicht sehen, da er ins ZDF-Sportstudio eingeladen war. Doch in der Aufregung fiel ihm seine eigene Telefonnummer nicht mehr ein. So sah er seine Tore und das Nicht-Tor eben in der Sendung, deren Stargast er war.

Das Medien-Echo hallte noch am Montag durch die Lande. „Seit Samstag darf man wieder an die Fairness in der Bundesliga glauben“, schrieb etwa die Münchner Tageszeitung „tz“. Schiedsrichter Horeis lobte: „Ich habe Hochachtung vor einem Spieler, der so wie Ökland handelt.“

Ein Vorbild war er nun, aber es dauerte sieben Jahre, bis ihm einer nacheiferte. 1988 gab der Bremer Frank Ordenewitz in Köln ein Handspiel im Strafraum zu, was zum Elfmeter und Gegentor führte. Es fiel ihm nicht allzu schwer, da Werder bereits Meister war. Dennoch erhielt „Otze“ den Fair-Play-Preis.

Ökland, der 1983 nach 43 Bundesliga-Toren (davon vier gegen Bayern) in seine Heimat zurückkehrte, brauchte keinen Preis, um unvergessen zu bleiben. Gelegentlich wurde er vor Spielen zwischen Leverkusen und den Bayern interviewt. 1995 sagte er dem Kicker: „Es ist nicht immer einfach zum Schiedsrichter zu gehen und zu sagen, dass etwas anders war als er es gesehen hat. Aber ich finde es, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit müssen immer vorgehen, sonst verliert der Sport seine Popularität.“

  • Fun Fact 1: Ökland ging nicht ganz freiwillig zu Horeis, sondern auch auf Drängen seiner Mitspieler. Franz-Peter Herrmann, später langjähriger Co-Trainer der Bayern, gestand 2013: „Wir hatten Angst, das Spiel wird wiederholt.“
  • Fun Fact 2: An den beiden berühmtesten Phantomtoren der Bundesliga waren wieder Bayern (1994 Helmer-Tor gegen Nürnberg) und Leverkusen (2013 Kießling-Tor in Sinsheim) beteiligt. Hier gab es keine Geständnisse der Schützen. Das Bayern-Spiel wurde wiederholt, das Leverkusener nicht.
  • Fun Fact 3: Schiedsrichter Horeis vermasselte das Ökland-Tor eine internationale Karriere: „Man hat es mich spüren lassen.“ Der DFB hätte es wohl lieber gesehen, er hätte das Tor gegeben als sich von einem Spieler helfen zu lassen.