Mystery Box BVB: Warum kriegt der Trainer alle Kritik ab?
Borussia Dortmund bleibt eine der größten Wundertüten des europäischen Fußballs, zumindest auf den ersten Blick. Kolumnist Matthias Esch schaut etwas genauer hin

IMAGO/Oliver Ruhnke
Manchmal helfen nackte Zahlen. 18 Pflichtspiele hat der BVB bislang in dieser Saison bestritten. Nur zwei davon hat er verloren. Gegen den FC Bayern München und gegen Manchester City, also gegen zwei der absoluten Top-Teams Europas. Zum Vergleich, in der Vorsaison waren es zum selben Zeitpunkt fünf Niederlagen, in der Saison davor sechs.
Viele Dortmund-Fans stehen trotzdem aktuell morgens auf und sind sauer – auf Trainer Niko Kovac. Was lässt er doch den heiligen Dortmunder Fußballverein so dröge und zäh auftreten. Dann macht er auch noch einen Witz über Maxi Beier, den keiner versteht. Der arme Mann kann ja anscheinend nichts richtig machen.
Seit dem 8. November zumindest. An diesem Tag spielt das Team von Kovac in Hamburg. In der 97. Minute verdaddelt Dortmund einen sicher geglaubten Sieg gegen den HSV und nimmt erneut nur einen Punkt mit aus der Hansestadt, wie schon beim 3:3 am ersten Spieltag gegen St. Pauli.
Warum kriegt Trainer Kovac alles ab?
Der Medienaufschrei ist groß, schließlich lässt Kovac sein Team trotz Führung passiv und zurückhaltend spielen, beinahe träge. Erinnerungen werden wach, an die Mentalitätsclowns vom Borsigplatz, an die Last-Minute-Versasager in schwarzgelb. Warum ausgerechnet Niko Kovac all das abkriegt, ist mir nicht ganz klar.
Natürlich verspielt der BVB in dieser Saison auch bei Juventus Turin einen fast schon sicheren Dreier. Dazu zeigt er beim knappen Sieg in Augsburg eine Leistung, die mit der Sportart Fußball ziemlich wenig zu tun hat. Dennoch hat Kovac beim BVB aufgeräumt. Das zeigen die Zahlen: bessere Laufwerte, ein besserer Punktedurchschnitt, weniger Niederlagen.
Wie ein Content Creator denkt
Kieran Franke reicht das nicht. Er ist Content Creator im Bereich Fußball, eigentlich ein super Typ. Wir tauschen uns vor einer Weile aus. Seine Analysen sitzen meist. Aber anscheinend hasst er Niko Kovac. Denn er veröffentlicht Videos, in dem er darüber meckert und schimpft, wie Kovac wechselt, wie Kovac taktisch spielen lässt und wie laut Kovac schnarcht, wenn man abends neben ihm im Bett liegt. Ok, das Letzte war ein Scherz. Aber entweder ist Franke ein besserer Trainer als Kovac oder hat die letzten Saisons der Dortmunder erst jeweils ab der Rückrunde verfolgt.
Er ist aber nicht der Einzige. Der von mir sehr geschätzte Kollege Patrick Berger von Sky spricht in seinem Podcast über eine kuriose Wette mit einem Vereinsboss, der nicht genannt werden will. Dieser behauptet, der BVB würde bis Jahresende aus den Top 4 Rängen der Liga purzeln.
Und was ist mit Schlotterbeck?
Im selben Zeitraum behauptet die BILD-Zeitung Nico Schlotterbeck würde nur beim BVB bleiben, wenn Niko Kovac gehen würde.
Von der Jahreshauptversammlung taucht ein Handyvideo auf, in dem Schlotterbeck seinem Sportdirektor Sebastian Kehl angeblich absichtlich den Handschlag verweigert.
Dortmund spielt 3:3 gegen Stuttgart. In letzter Minute der nächste Ausgleich. Die Leistung schwankt zwischen richtig gut und kompletter Überforderung.
Die Schlagzeilen überschlagen sich, nach dem Motto: WAS MACHT KOVAC ALS NÄCHSTES FALSCH?
Man muss über Emre Can reden
Über einen Spieler spricht dabei kaum jemand: über Emre Can, den Kapitän der Mannschaft. Erstmals in dieser Saison führt er sein Team beim HSV mit der Binde am Arm auf den Platz. Den entscheidenden Zweikampf zum Ausgleich verliert er. Gegen Stuttgart erzielt Deniz Undav einen Hattrick im Westfalenstadion. Dabei wird er liebevoll begleitet von seinem Gegenspieler – Emre Can. Ich glaube man nennt das „begleitendes Verteidigen“.
Can zieht dieses Team runter. Gestern dann der Auftritt gegen Villareal in der Königsklasse. Dortmund schlägt eines der unangenehmsten Teams aus Europa mit 4:0. Der BVB zeigt wieder eine zähe erste Halbzeit, dann guten und offensivstarken Fußball. Can wird erst in der 83. Minute eingewechselt. Zufall?
Ein Bashing einer Person führt zu Nichts. Und ich bemängele es ja auch im Fall von Niko Kovac. Da kann ich es nicht bei Emre Can gutheißen. Dennoch ist es schon auffällig wie schlecht die Kapitänswahl beim BVB ausgefallen ist. Jedem BVB-Fan ist doch der Moment eingebrannt, in dem Can im Meisterschatfsfinale 2023 Sebastian Haller den Ball am Elfmeterpunkt gibt.
Lasst Niko Kovac in Ruhe
Soll jetzt genau dieser Spieler, der so viele schlechte Auftritte seines Teams zu verantworten hat, den BVB neu ausrichten? Oder sollte das nicht vielleicht der Trainer tun, der Dortmund letzte Saison sensationell noch in die Champions League gebracht hat?
Der es sogar schafft Spieler wie Karim Adeyemi oder Julian Brandt hinzubekommen? Der Dortmund in den meisten Spielen stabilisiert und diszipliniert wie kein anderer Trainer vor ihm?
Der BVB wirkt in der Medienberichterstattung oft wie die Mystery Box des europäischen Fußballs. Die Zahlen zeigen aber: Eigentlich hebt er sich gerade zum ersten Mal seit Jürgen Klopp selbst aus diesem Image – dank Niko Kovac. Man muss ihn nur lassen. Dazu muss man allerdings auch Content Creator, überkritische Fans oder schlagzeilensüchtige Reporterkollegen mal eine zeitlang gepflegt ignorieren.



