Kapital mit Herz: Welche Rolle „Tifosy“ im Fußballbizz spielen könnte

Tifosy, gegründet von Gianluca Vialli, entwickelt sich vom Fan-Crowdfunding hin zum wichtigen Finanzpartner für Fußballklubs in Europa.

|25. August 2025|
April 23, 2024, Roma, Lazio, ITALIA: 04 23 2024 Rome, Olympic Stadium, football match valid for the second leg of the 2023 24 TIM Italian Cup semi-final between SS Lazio vs Juventus.In the picture: Gianluca Vialli Roma ITALIA - ZUMAs236 20240423_aap_s236_003 Copyright: xFabioxSassox
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IMAGO/ZUMA Wire

Von Klaus-Martin Meyer

Es gibt Geschichten, die man im Fußball lieber auf dem Rasen erzählen würde. Von Toren, Paraden und Last-Minute-Wendungen. Doch längst sind es oft die Geschichten hinter den Kulissen, die über Siege oder Niederlagen entscheiden – und manchmal auch über die Existenz eines Vereins. Genau dort setzt „Tifosy“ an, ein Unternehmen, das den Fußball nicht nur als Sport versteht, sondern als ein eigenes Ökosystem, das andere Regeln braucht als die klassische Finanzwelt.

Gianluca Vialli und die Geburt einer Idee

Wenn man über Tifosy spricht, kommt man an einem Namen nicht vorbei: Gianluca Vialli. Der Italiener war nicht nur ein Weltklassestürmer, Champions-League-Sieger und Gentleman, sondern auch einer, der den Fußball als Ganzes dachte. Nach seiner Karriere suchte Vialli nach einer Möglichkeit, Vereine finanziell zu stärken, ohne sie in die Abhängigkeit von windigen Investoren oder riskanten Schuldenmanövern zu treiben.

2015 gründete er zusammen mit Fausto Zanetton, einem ehemaligen Investmentbanker bei Morgan Stanley, Tifosy Capital & Advisory. Der Name ist kein Zufall: Tifosi – das sind die leidenschaftlichen Fans in Italien, jene Menschen, die Vereine über Jahrzehnte tragen. Vialli wollte genau diese Menschen stärker einbinden. Die Mission: Finanzierungslösungen für Klubs entwickeln, die fair, transparent und nachhaltig sind – und bei denen auch die Fans eine Rolle spielen können.

Dass Vialli 2023 nach schwerer Krankheit verstarb, machte das Projekt für viele zu einem Vermächtnis. Denn es trägt etwas von seinem Wesen in sich: Leidenschaft, Seriosität, Respekt vor dem Spiel.

Von der Fan-Beteiligung zum Kapitalhaus

Am Anfang stand das Crowdfunding. Tifosy bot Fans die Möglichkeit, sich mit kleineren Beträgen an ihrem Klub zu beteiligen – sei es durch den Kauf von Mini-Anleihen oder durch partizipative Modelle für Stadionprojekte. Für Vereine wie den FC Portsmouth oder Pescara Calcio war das mehr als eine nette Spielerei: Es war eine dringend benötigte Finanzspritze, die zugleich Identifikation stiftete.

Doch Crowdfunding allein trägt nicht dauerhaft ein Geschäftsmodell, vor allem nicht im hyperkompetitiven europäischen Fußball. Tifosy entwickelte sich weiter, wurde FCA-reguliert (Financial Conduct Authority in Großbritannien) und begann, sich stärker als Investment- und Beratungsfirma zu positionieren. Heute bietet Tifosy neben Fan-Kampagnen auch strukturierte Kredite, Kapitalmarktberatung und Finanzierungsmodelle an – maßgeschneidert für Vereine, die zwischen Bundesliga-Topklub und Regionalliga-Traditionsverein irgendwo ums Überleben oder ums nächste Level kämpfen.

Ein entscheidender Schritt war 2023 die Kooperation mit Fasanara Capital. Gemeinsam legte man einen Fonds auf, der bis zu 500 Millionen Dollar in forderungen- und einnahmengestützte Kredite an Vereine vergibt. Das klingt trocken, bedeutet aber in der Praxis: Vereine können künftige Einnahmen aus TV-Geldern, Ticketverkäufen oder sogar Transfererlösen heute schon nutzen, um Liquiditätslücken zu schließen oder in Infrastruktur zu investieren.

Warum braucht der Fußball solche Modelle?

Der europäische Fußball steckt in einem Paradox: Auf der einen Seite fließen Milliarden – TV-Verträge, Sponsoren, Investoren. Auf der anderen Seite kämpfen selbst Traditionsvereine regelmäßig ums Überleben. Der Grund liegt in der Ungleichverteilung: Die Top 20 Klubs Europas fressen den Löwenanteil der Einnahmen, während die breite Masse strukturell unterfinanziert ist.

Dazu kommt die Volatilität des Geschäfts: Ein Abstieg, ein verpasster Europapokal, ein gescheiterter Transfer – schon bricht die Kalkulation zusammen. Klassische Banken schrecken vor solchen Risiken zurück. Private Investoren wiederum wollen oft Einfluss auf die sportliche Führung, was die Vereine in Abhängigkeiten drängt. Genau in dieser Lücke positioniert sich Tifosy: als Brückenbauer zwischen Kapitalmarkt und Fußballrealität.

Zwischen Rettung und Risiko

Doch wie bei jeder Finanzinnovation gibt es auch Schattenseiten. Kredite, auch wenn sie klug strukturiert sind, bleiben Schulden. Sie können Vereine stabilisieren, aber auch künftige Einnahmen verpfänden. Wenn also ein Klub heute seine TV-Gelder von morgen vorab kassiert, um einen Stadionausbau zu finanzieren, trägt er das Risiko, dass die Einnahmen nicht so sprudeln wie geplant – etwa durch sportlichen Misserfolg.

Tifosy betont, dass es genau hier seine Stärke hat: Kenntnis des Fußballs. Anders als klassische Banken versteht man, wie Transfermärkte funktionieren, wie Zahlungspläne aussehen oder welche Risiken in bestimmten Ligen höher sind. Statt pauschal „Nein“ zu sagen, entwickelt man Finanzierungen, die auf den Rhythmus des Fußballs zugeschnitten sind. Ob das in der Praxis immer aufgeht, wird sich erst über die nächsten Jahre zeigen.

Die Erbschaft von Vialli: Vertrauen im Business

Dass Gianluca Vialli Gründer und Aushängeschild von Tifosy war, ist kein Nebenaspekt. In einer Branche, die von Misstrauen gegenüber „den Investoren“ geprägt ist, war er eine Glaubwürdigkeitsgarantie. Fans wie Funktionäre wussten: Hier steht keiner, der schnelle Renditen sucht, sondern einer, der den Fußball liebt.

Nach Viallis Tod bleibt die Frage, ob Tifosy diese Glaubwürdigkeit langfristig halten kann. Fausto Zanetton und das Team setzen weiterhin auf Transparenz, Fachwissen und Nähe zu den Vereinen. Doch das Charisma und die persönliche Integrität Viallis sind schwer zu ersetzen.

Ein möglicher Platz im Ökosystem

Wo also steht Tifosy heute – und wo könnte es in zehn Jahren stehen? Drei Szenarien sind denkbar:

  • Der Spezialist für die zweite Reihe. Tifosy bleibt das Haus, das Vereine außerhalb der Champions-League-Elite berät und finanziert. Ein verlässlicher Partner für Mittelständler im Fußball, von der Championship in England bis zur 2. Bundesliga.
  • Der Architekt neuer Modelle. Tifosy könnte die Finanzarchitektur des Fußballs nachhaltig prägen – etwa durch standardisierte Kreditfonds, Infrastrukturfinanzierungen oder Fan-Beteiligungsmodelle, die echte Mitbestimmung erlauben.
  • Der Türöffner für den Kapitalmarkt. Sollte sich der Fußball weiter in Richtung Institutionalisierung bewegen – mit Private-Equity-Investments in Ligen und Clubs – könnte Tifosy die Rolle eines „Übersetzers“ einnehmen: zwischen globalem Kapital und den kulturellen Eigenheiten des Spiels.

Zwischen Tradition und Moderne

Fußballfans sind skeptisch, wenn es ums Geld geht. Sie erinnern sich an die „Retter“ von einst, die am Ende nur verbrannte Erde hinterließen – vom FC Kaiserslautern bis zu Hertha BSC. Doch sie wissen auch: Ohne Kapital geht es nicht mehr. Stadien wollen modernisiert, Akademien gebaut, Spieler bezahlt werden.

Tifosy bewegt sich genau in dieser Grauzone: zwischen notwendiger Finanzialisierung und dem Anspruch, dem Spiel treu zu bleiben. Ob es gelingt, hängt nicht nur von Geschäftsmodellen ab, sondern auch von Haltung.

Fazit: Mehr als nur Geld

Am Ende ist Tifosy ein Versuch, den Fußball finanziell intelligenter zu machen. Nicht so sehr größer, reicher, lauter – sondern strukturell stabiler. Es ist ein Projekt, das Viallis Liebe zum Spiel in eine neue Sprache übersetzt: die der Finanzmärkte.

Die große Frage lautet, ob sich dieses Modell durchsetzt, ob Vereine es als Rettungsanker oder als Klotz am Bein erleben werden. Sicher ist nur: Tifosy zeigt, dass der Fußball nicht mehr ohne Finanzarchitektur auskommt – und dass es besser ist, wenn diese von Menschen entworfen wird, die das Spiel wirklich verstehen.

Und vielleicht ist das die schönste Pointe: Dass ausgerechnet Gianluca Vialli, der Künstler im Strafraum, auch im Maschinenraum des Fußballs ein Vermächtnis hinterlassen hat.

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