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Zehn Tage Amateurfußball: Potpourri der Emotionen
Unser Kolumnist Gerd Thomas hat notiert, wie's an der Basis zugeht - und kommt zu dem Schluss: "Es gibt sie noch, die guten Nachrichten aus dem Amateurfußball."

Foto: Gerd Thomas
Inhaltsverzeichnis
Samstag, 3. Mai: Vor der Rückreise nach Berlin noch schnell eine Halbzeit in der Frauen-Landesliga Bayern Nord ansehen. Germania Ebing gewinnt gegen den TSV Buch mit 4:2, das Abstiegsgespenst wird endgültig verscheucht. Kaffee, hervorragender Kuchen, bestes Wetter und ein munteres Spiel auf bestem Rasen. Funfact: Die Bratwurstbude macht erst zum Spiel der Männer (17 Uhr) auf, das im Anschluss angepfiffen wird. In Oberfranken werden die traditionellen Zeiten für die Mahlzeiten noch eingehalten. Leider kann ich das Derby der Herren gegen Sassanfahrt nicht mehr sehen, aber bei einem 1:4 hat man nicht so viel verpasst.
Sonntag, 4. Mai, 11.30 Uhr: Stern Marienfelde gegen FC Internationale 2. Herren, ein müdes 0:0. Waren die Abwehrreihen so stabil oder die Stürmer so harmlos? Die Torhüter hatten wenig zu tun, die Atmosphäre war freundschaftlich, denn die Vorsitzenden kennen sich lange. Das nimmt schon immer Luft raus. Trotzdem hätten wir gern gewonnen. Das holt die 1. Herren im zweiten Derby gegen Türkiyemspor nach und behält mit 2:1 die Oberhand. Ein entspannter Sonntag.
Montag, 5. Mai: Jugendverbandstag beim Berliner Fußballverband. Die Vereine müssen sich mahnende Worte zum Kinderschutz anhören. Anschließend lehnen sie – es sind nur rund 30 % anwesend – den Antrag von Stern 1900 ab. Dieser erhält immerhin 15 Ja-Stimmen von 57 Wahlberechtigten. Doch die Clubvertreter halten es nicht für sinnvoll, dass das oberste Organ auch über die Verfassung (Jugendordnung) abstimmt, können doch die Ausschüsse machen! Bei den Wahlen zum Jugendausschuss erhält der erste Kandidat mehrere Gegenstimmen, aber die klare Mehrheit. Bei den weiteren Positionen werden die Gegenstimmen und Enthaltungen nun nicht mehr ausgezählt, sondern nur festgestellt: „Mit deutlicher Mehrheit gewählt!“ Für elf Posten im Jugendausschuss gibt es nur fünf Kandidaten. Kandidatinnen gibt es keine. Die Positionen für Innovation, Infrastruktur, Mädchenfußball und Kinderschutz (war da nicht was?) bleiben unbesetzt, junges Ehrenamt auch. Immerhin wird jemand für die Talentförderung gewählt. Auf meine Frage, was er gegen Geldzahlungen im Jugendbereich und die damit zusammenhängenden Abwerbungen tun wolle, entgegnet er: „Das ist doch gar nicht meine Aufgabe!“
Als die Vereinsvertreter im Block gewählt werden sollen, frage ich nach der Möglichkeit von Einzelwahl. Was mir böse Rufe einbringt. Man wolle schließlich nach Hause, es sei schon fast 20 Uhr. Ok, ich ziehe den Antrag zurück und halte die rote Stimmkarte hoch. Dabei wollte ich doch nur den 85-jährigen Vertreter nicht wählen, weil ich dessen Kandidatur für ein Jugendgremium unangemessen finde. Scheint nur mir und drei anderen so zu gehen. Soll ich noch fragen, warum Verbände ein so verstaubtes Image haben und sich kaum Frauen finden, die mitmachen wollen?
Mittwoch, 7. Mai: Vorstandssitzung beim FC Internationale. Das Gremium ist deutlich größer geworden. Seit März sind vier junge Menschen und endlich auch zwei Frauen im Vorstand. Der Weg dahin war nicht einfach, aber nun stellt sich heraus, dass 14 Schulterpaare mehr tragen können als 7. Zudem bringen sich die Neuen richtig gut ein und haben jede Menge Ideen. Ich bin zufrieden, wie sich die Dinge entwickeln. Loszulassen ist nicht einfach, aber das Team lässt sich harmonisch an. Das Ziel ist nicht gerade bescheiden: Der Sportverein der Zukunft!
Donnerstag, 8. Mai: Tagsüber intensive Vorbereitungen für den Amateurfußball-Kongress der Hartplatzhelden am 23.05. in Berlin. Es geht in die letzte Phase, die Aufregung ist bei allen groß. Mit Philipp Lahm, Celia Šašić, Katrin Müller-Hohenstein, Ewald Lienen sowie vielen hochkompetenten Leuten aus dem Amateurfußball haben sich großartige Menschen angekündigt. Und wir sind fast ausverkauft. Das Programm wird auf www.hartplatzhelden.de jeden Tag aktualisiert, aber es steht zu 99 %.
Abends zur Entspannung Ü60-Training wie immer mit viel Meckerei und Frotzelei. Ach, würden die Beine doch so noch so schnell können wie das Mundwerk. Hinterher sitzt man gemütlich zusammen und analysiert die vorangegangenen 75 Minuten. Die Frauen- und Herrenteams kochen neuerdings jeden Donnerstag, da fällt für die Oldies auch etwas ab. Leckeres Essen und Austausch der Generationen gratis, so geht Vereinsleben.
Freitag, 9. Mai: Oberliga-Spitzenspiel Lichtenberg 47 – BFC Preussen vor 2.200 Zuschauern im wohl schönsten Stadion Berlins, dem Zoschke, welches gegenüber der alten Stasi-Zentrale liegt und auch sonst interessante Impressionen zu bieten hat. Die Zuschauer geben alles, doch der Kick auf dem holprigen Rasen – Berlin liegt eben nicht in Oberfranken – ist müde. Am Ende stehen ein etwas mutloses 0:0 und ein lachender Dritter, denn Eintracht Mahlsdorf grüßt nach dem klaren Sieg gegen das einst gewichtige Tennis Borussia (Platz 10 in Liga 5) von der Tabellenspitze und hat nun die besten Chancen auf den Aufstieg in die Regionalliga Nordost. Mahlsdorf? Liegt am östlichsten Rand Berlins, der Bekannteste ist der Trainer. Karsten Heine coachte auch schon das Berliner Sorgenkind Hertha BSC, das noch immer keine Lizenz für die 2. Liga hat. Aber das ist ja keine Amateure, jedenfalls nicht bezüglich der Spielklasse.
Samstag, 10. Mai: Willkommen in der Sandwüste Wrangelritze. Diese liegt im tiefsten Kreuzberg und ist eine der bodenlosesten Spielstätten in Berlin. Dabei ist der dortige Verein Hansa 07 hochengagiert, wächst wie verrückt, hat ein großes soziales Engagement, spielt wie der FC Internationale mit einem klaren Bekenntnis gegen Rassismus auf den Trikots. Doch der Engagierte ist in Berlin der Dumme. Die anliegende Schule wird von der Infrastrukturbeauftragten des Landessportbundes geleitet. Leider kann sie ihre Ambitionen für bessere Sportstätten nicht so zeigen. Benennen wir das Geläuf, als das, was es ist: eine bodenlose Frechheit! Inter II muss lernen, dass ein Spiel 90 Minuten dauert. Nach 19 Minuten steht es 5:0 für die Gastgeber. Was nützen da 70 halbwegs anständige Minuten im Anschluss. Aber es gibt so Tage, da läuft es einfach blöd. Wie sagte ein Spieler: „Die schießen dreimal rauf und führen 5:0, das war schon frustrierend.“ Frag nach bei Leverkusen.
Sonntag, 11. Mai: Die 1. Inter-Herren sind zu Gast bei einer Berliner Institution, dem BSV 92. Die Älteren wissen sofort, das sind „die Störche“ aus Sammy Drechsels Klassiker „11 Freunde müsst ihr sein“, nach dessen Titel sogar ein beliebtes deutsches Fußballmagazin benannt wurde. Das Spiel endet glücklich 2:1 für die Gastgeber, aber es gibt eine Kuriosität. Auf dem Rasen wird nämlich auch American Football gespielt, weshalb es vor Linien nur so wimmelt. Zum Schaden des Inter-Keepers. Der läuft souverän einen langen Ball ab und begräbt ihn unter sich. Die sehr gute Schiedsrichterin pfeift und zeigt ihm rot. Der Gute hatte schlicht die Linie verwechselt.
Wer einmal auf einem Kunstrasenplatz mit verschiedenen Markierungen für Hockey etc. im Tor gespielt hat, weiß, wie kompliziert das sein kann. Schade, dass die Unparteiische nicht sagen darf: „Wir lachen jetzt alle über das Missgeschick, es gibt Freistoß und weiter!“ Denn würde sie das tun, bekäme sie Punktabzüge vom Schiedsrichterbeobachter und womöglich künftig eine Einstufung in einer niedrigeren Spielklasse. Da Frauen an der Pfeife eh kritischer beäugt werden, ist ihr Verhalten nur verständlich. Aber würde dem Fußball nicht etwas mehr Menschlichkeit guttun? Die greisen Regelhüter auf der Insel und die humorlosen Schiedsrichterausschüsse sehen das anders. Schade, so geht etwas kaputt – ganz ohne VAR.
Im Anschluss spielt noch das Influencer-Projekt „Delay Sport“ gegen die Zweite von BSV 92. Der Hype scheint vorbei zu sein. Nur rund 100 Zuschauer wollen sich die Pseudostars um Ex-Profi Kevin Pannewitz ansehen, obwohl es um den Aufstieg geht. Meine Prognose: Baller und Icon League hinterlassen auch hier ihre Spuren. Wahrscheinlich bin ich zu konservativ, aber ganz ehrlich: Ich brauche diesen ganzen Zauber mit solchem Nonsens wie einen „President Penalty“ nicht. Meine Meinung: Wir müssen nicht jedem albernen Trend hinterherhecheln. Die Wahrheit liegt doch immer noch auf‘ m richtigen Platz!
Montag, 12. Mai: Berliner Meisterschaft der Behindertenwerkstätten beim FC Internationale. Wieder gewinnt unser Kooperationspartner BWB, der auch amtierender Deutscher Meister ist. Bei der Siegerehrung verkündet der BWB-Geschäftsführer, dass die Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung und der FC Internationale noch enger zusammenrücken und ein Inklusionsteam gründen werden.
Es gibt sie noch, die guten Nachrichten aus dem Amateurfußball.