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Wie der Amateurfußball die Seele unseres Sports bewahrt
Die Wohlfühlatmosphäre an der Basis könnte der Gegenentwurf zum Kommerzklamauk des Profizirkus sein, sofern wir nicht jedem Trend hinterherlaufen.

Foto: privat
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Das völlig überteuerte Luxuslabel Luis Vuitton steigt bei Real Madrid von Florentino Perez ein. Das passt – mit Verlaub – wie Arsch auf Eimer. Ich bitte die Vulgärsprache im Zusammenhang mit den edlen Herren zu entschuldigen. Die Baller-, Kings- und Icon-League gelten als „der neue heiße Scheiß“. Warum engagieren sich die dort agierenden Ex-Profis nicht an der Stätte ihrer Wurzeln?
Der BVB hat einen Rekord-Vertrag mit einem Mobilfunkriesen abgeschlossen, was nach dem Ärger um die Panzer-Millionen von Deutschlands Rüstungsschmiede Nummer 2 zumindest keinen weiteren Ärger provoziert und der Stadt immerhin einen Marktführer beschert. Der DFB hat gleich zwei Wettanbieter unter Vertrag. Rief da etwa jemand „gesellschaftliche Verantwortung“?
„Ruhe, bitte!“ Für Moral und Ethik ist im Profifußball weder Platz noch Zeit. Schließlich dürfen wir nicht den Anschluss verpassen! Der neue Sponsor des einst so hehren FC Barcelona ist tatsächlich die Demokratische Republik Kongo, die auch schon bei Monaco und AC Milan im Geschäft ist. Kongo ist auf der Liste der Pressefreiheit auf Rang 133, das Wort „demokratisch“ taugt im Zusammenhang mit der dortigen Diktatur nicht einmal als Satire.
Stört mangelnde Medienfreiheit im Profifußball überhaupt noch?
Aber der FC Bayern hat sogar das noch getoppt: Dort prangt demnächst der Schriftzug von „Visit Rwanda“ auf dem Trikot – Ruanda steht auf Platz 146. Infantinos Kumpanen aus Saudi-Arabien liegen gar auf Rang 162 von 180 Ländern, Manchester Citys Vereinigte Arabische Emirate auf 164, womit beide immerhin Nordkorea locker hinter sich lassen. Applaus!
Aber: Stört mangelnde Medienfreiheit im Profifußball überhaupt noch irgendwen, wenn die Topklubs ihre Nachrichten ohnehin fast nur noch über eigene Kanäle verbreiten? Wir dürfen gespannt sein, welche Deals noch folgen.
Vielleicht verkündet Donald Trump demnächst per Dekret Einfuhrzölle für WM-Teilnehmer oder für die auserwählten Teams beim künftig wohl noch häufiger stattfindenden „Gianni-Pokal“. Gerüchteweise soll dieser künftig „Mephistopheles- oder Pinocchio-Cup“ heißen. Wer nicht zahlt oder gar widerspricht, spielt eben nicht mit. Genug der Kritik – wir leiden schließlich schon alle am „Katar-Syndrom“ (O-Ton: Watzke).
Möglicherweise setzt das zum Springer-Konzern gehörende Portal „transfermarkt“ bald die hochumstrittene Big-Brother Software Palantir des Demokratieverächters Peter Thiel ein, um auch Handy- und Onlinenutzung der Spieler in die Bewertung einfließen zu lassen. Was die bayerische Polizei nutzt, kann schließlich nicht schlecht sein, findet Deutschlands oberster Law-and-order-Politiker und Innenminister Alexander Dobrindt, von der Zeit liebevoll als „Der Einbrocker“ betitelt, und sicher ganz heiß auf die Daten der Fußballfans. Wie die das finden? Spielt hier keine Rolle, in der Rubrik „Ganz unten“ geht es um Amateurfußball.
Nun läuft auch da nicht alles sauber. Einige sind so wenig lupenreine Amateure, wie die Sponsoren des Profizirkus lupenreine Demokraten sind. Auch in der neuen Saison wird bei manchen üblichen Verdächtigen wieder Geld auf wundersame Weise in die Taschen unterklassiger Spieler wandern. Woher es kommt und wie das läuft? Nach über 20 Jahren Vorstandsarbeit frage ich mich das immer noch.
Trotzdem: Der Amateurfußball ist lange nicht so verdorben und auf Abwegen wie die Profiligen – abgesehen von ein paar schwarzen Schafen. Wenn es bald wieder losgeht, kann der Breitensport einiges bieten:
- Stars zum Anfassen, oft direkt aus der Nachbarschaft
- Meist besseres Catering und aromatischeren Kaffee
- Keine VIP-Logen, kein separater Stehplatzbereich: „Ein Fußball für alle!“
- Mindestens genau so viel Spannung wie in den oberen Ligen
- Einfach Fußball ohne Chichi und nervtötende Performer
- Eckbälle werden ausgeführt, nicht von Kampfjet-Produzenten präsentiert
- Keine Trennung von Heim- und Gästefans, dafür gesellige Fachsimpelei
- Mehr Experten (die männliche Form ist richtig) als die Polizei erlaubt
Die Liste ließe ich fortsetzen. So heißt auf vielen Rasenplätzen der zwölfte Mann oder die zwölfte Frau Zufall, denn die Sportanlagen sind nur in den allerseltensten Fällen mit der Nagelschere geschnitten und mit Rasenwachstums-Beleuchtung versehen. Da brauchte es keine Papierkugeln wie einst im Hamburger Volksparkstadion.
Bälle, die über den Zaun fliegen, werden zurückgeholt – nicht eingesackt. Pyrotechnik gibt’s höchstens mal beim Aufstieg; mit Leuchtspurmunition schießt niemand. Und dann gibt es die vielen Ehrenamtlichen, die den Laden am Laufen halten – ihr Beitrag für Zusammenhalt, Demokratie und Gesellschaft ist unbezahlbar. Übertrieben? Keineswegs!
Man stelle sich vor, der Amateursport hätte die Lobby der Auto- oder Fossilindustrie. Kaum auszudenken, wenn man sich in den Sportverbänden darüber bewusst wäre, wie viel Einfluss man nehmen könnte. Würden alle Breitensportvereine vier Wochen das Kinder- und Jugendtraining ausfallen lassen, wären die Auswirkungen auf das öffentliche Leben erheblich größer als bei jedem Bundesliga-Streik.
Wobei? Weshalb auch sollten die Profis streiken? Die Polizeieinsätze und die Stadien zahlt meistens der Steuerzahler, von den steigenden TV-Einnahmen sehen die Amateure kaum etwas, und Misswirtschaft bleibt folgenlos. Warum sollten sie diese paradiesischen Zustände riskieren? Selbst sechs- bis siebenstellige Gehälter gibt’s ganz ohne kaufmännische Qualifikation.
Es reicht doch, wenn die Amateurvereine den Ärger haben. Nur, wer steht in der Not an ihrer Seite?
Eine rhetorische Frage, doch ein paar Wünsche habe ich dennoch:
- Mehr Anerkennung und Unterstützung für die Ehrenamtlichen, die den Kern des Sports ausmachen
- Friedliche, wertschätzende Begegnungen – Hass haben wir längst genug
- Immer wieder: zumutbare Sportplätze und Umkleiden, die dem Namen gerecht werden
- Verbandsfunktionäre, die sich konsequent als Lobbyisten des Breitensports verstehen
- Profis, die sich regelmäßig daran erinnern, wo sie einst herkamen
In diesem Sinne wünsche ich allen eine großartige Saison 2025/26. Zeigen wir den Neidern und Hatern da draußen, dass wir Amateursportler echte Vorbilder für die Gesellschaft sein können. Yes, we can!