Wettskandal erschüttert die Türkei: Wo sind Sané und Gündogan da hineingeraten?
Heimlich über 10.000 Sportwetten platziert: Der Verband will seine Schiedsrichter überprüfen, aber verweigert die Nennung von Namen. So räumt man keinen Verdacht aus

IMAGO/Ulrich Hufnagel
Allein die Zahlen, die uns aus der Türkei erreichen, machen jeden Fußballfan fassungslos. Von 571 Schiedsrichtern betreiben 371 ein Wettkonto. 42 von ihnen platzierten mehr als 10.000 Wetten, einer sogar 18.227. Fast alle beteuern: Auf Spiele, die wir gepfiffen haben, haben wir nicht gewettet. Aber wer will ihnen glauben? Der eigene Verbandschef spricht von „Korruption“, die er beseitigen will.
Ibrahim Haciosmanoglu nennt keine Namen, sondern lässt Zahlen sprechen. Sogar 22 Schiedsrichter, die in der obersten Spielklasse Süper Lig zum Einsatz kommen, stehen unter Verdacht. Der Verein Trabzonspor, zuletzt 2022 Meister, bezeichnet die Enthüllungen als „Skandal“ und redet nicht um den heißen Brei herum: „eine der dunkelsten Seiten in der Geschichte des türkischen Fußballs“.
Wo sind unsere Ex-Nationalspieler Leory Sané und Ilkay Gündogan, bei Galatasaray, da nur hineingeraten? Beide hatten Europas Top-Ligen im Sommer verlassen, um Aufbruchstimmung am Bosporus zu erzeugen. Die Süper Lig will nicht länger im Schatten darben: Umgerechnet 350 Millionen Euro steckten die 18 Vereine in neue Spieler. 172 Mio. Euro Verlust stand unterm Strich. Und jetzt?
Für Sané und Gündogan ein untragbarer Zustand
Die Entwicklungshilfe aus Deutschland verpufft, wenn der Wettskandal auch nur ansatzweise die Dimension erreicht, die man aus den ersten Zahlen ableiten kann. Jetzt steht jede einzelne Schiri-Fehlentscheidung auf dem Prüfstand. Für Sané und Gündogan ist das ein untragbarer Zustand: Jedes Spiel steht unter dem Verdacht, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht.
Es ehrt Haciosmanoglu, dass er nichts unterm Teppich kehren will. Nach allem, was man aus Deutschland mitbekommt, geht er transparent mit dem Wettskandal um, wenngleich er die betroffenen Namen aus Datenschutz und Unschuldsvermutung vorläufig vorenthält. Aber er muss sich beeilen: Der Ruf des gesamten türkischen Fußballs steht auf dem Spiel. In seinem Land liegt ein strukturelles Problem vor.
Aber dürfen wir Deutschen überhaupt die Klappe ausreißen?
Zwanzig Jahre ist es her, dass Deutschland selbst von einem Wettskandal erschüttert wurde. Der DFB-Schiedsrichter Robert Hoyzer, damals ein Jungstar der Szene, hatte zugunsten der Wettmafia Spiele verschoben (zum Beispiel ein HSV-Spiel im DFB-Pokal) und ging in den Knast. Man konnte seinerzeit keine flächendeckende Betrugsmasche nachweisen, Hoyzer war ein Einzeltäter. In der Türkei ist das anders.
Türkischer Fußball fällt immer wieder mit Skandalen auf
Wer 10.000 Wetten wagt, will nicht das kleine Geld, sondern das ganz große. Die Mafia nennt niemand beim Namen. Aber schon bevor die Staatsanwaltschaft in Istanbul ihre Ermittlungen aufnahm, übertrug die Süper Lig die wichtigen Spiele Schiedsrichtern aus dem Ausland. In einem Land, wo beim Fußball Emotionen zu schnell in Aggression umschlagen, trauten sie eigenen Leuten nicht über den Weg: Der Verband unterstellte ihnen „Befangenheit“.
Leider fällt Türkeis Fußball immer wieder mit Skandalen auf. Es ist ein Jahr her, dass Merih Demiraldie Gastgeber bei der Europameisterschaft 2024 in Deutschland brüskierte. Als er im EM-Achtelfinale gegen Österreich das Siegtor erzielte, zeigte er mit zwei Fingern und Daumen den „Wolfsgruß“ – eine Huldigung Richtung „Graue Wölfe“. So nennt man Anhänger der rechtsextremistischen „Ülkücü-Bewegung.
Der europäische Fußballverband (Uefa) muss endlich eingreifen. Die Türkei mit ihren fußballverrückten Fans ist zu wichtig, als dass man die Aufräumarbeiten allein den Verantwortlichen vor Ort überlässt. Hier steht ja die Integrität des Fußballs auf dem Spiel. Im Moment helfen wohl nur drastische Maßnahmen, zum Beispiel diese hier: Transfersperre, bis der Skandal restlos aufgeklärt ist.
Nur für Sané und Gündogan käme das zu spät.



