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Tuchel-Attacke auf Matthäus: Die Leiden der TV-Experten

Nach dem überragenden 4:0 seiner Bayern in Dortmund legt der Trainer im Sky-Interview einen denkwürdigen Beleidigte-Leberwurst-Auftritt hin

Screenshot: Sky Sport

Inhaltsverzeichnis

Das Beste am deutschen Clásico, der mal wieder schneller entschieden war, als ich ein Ei hartkochen kann: die Streitgespräche danach.

Normalerweise erwartest du nach einem so klaren Sieg den Auftritt eines tiefenentspannten Trainers. Thomas Tuchel war aber am Samstag nach dem 4:0 in Dortmund so geladen wie der Durchschnitts-Bahnkunde an Gleis 4.

Tuchel triefte in der Sky-Expertenrunde vor Sarkasmus. Mit dem Glückwunsch zum 4:0 von Moderator Sebastian Hellmann ging's los. Tuchel konterte: "Trotz Zerwürfnis in der Mannschaft mit dem Trainer, meinen Sie? Und trotz keiner Weiterentwicklung? Ja, war sehr überraschend alles.“

Nach erstaunter Hellmann-Rückfrage ("Warum denn das?") legte er los: „Das weiß ich nicht, aber Lothar weiß es, Lothar weiß es bestimmt. Wenn es Lothar nicht weiß, weiß es Didi bestimmt.“ Didi Hamann und Lothar Matthäus, die beiden Sky-Experten, hatten Tuchels Werk zuletzt stark kritisiert.

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Und so ging das weiter und weiter. Zweifellos ein Höhepunkt der Fußballfernsehgeschichte. Nicht ganz so gut wie 2003 Rudis Völlers Tieferer-Tiefpunkt-Weißbier-Attacke gegen Waldemar Hartmann, Günter Netzer und Gerhard Delling oder wie das legendäre Heynckes-Daum-Hoeneß-Duell 1989 im Sportstudio – aber schon ziemlich gut.

Tuchels Schlagabtausch mit Matthäus und Hellmann im Wortlaut
Thomas Tuchel legte nach dem 4:0 seiner Bayern in Dortmund einen denkwürdigen Auftritt bei “Sky” hin - und brach das Interview am Ende ab. Der unterhaltsame Schlagabtausch im Wortlaut.

Irgendwann legte Tuchel jedenfalls sein Mikro auf den Tisch und stapfte davon, als hätten die Bayern gerade in der Relegation gegen den HSV verloren.

Hellmann, Matthäus und Julia Simic, auch eine Ex-Bayernspielerin, standen verdattert da. Hellmann und Matthäus suchten händeringend nach Erklärungen und versicherten sich gegenseitig Treue.

Warum das alles?

Gut, Tuchel hat einiges mitgemacht, das muss man ihm zugutehalten. Es hagelte Kritik von allen Seiten. Aber ist das so außergewöhnlich? Nein, jeder kennt das. Man nennt es FC Bayern.

So stolperfrei verlief die Saison bisher sowieso nicht, weshalb der Clásico auch nur ein Duell um Platz zwei war. Der DFB-Pokal ist seit Mittwoch futsch, die Mannschaft wurde im Sommer nicht ausreichend gut verstärkt. Und der FC Bayern spielte vor Dortmund quasi nie über 90 Minuten stark.

Ergebnis: Die Experten analysierten sich einen Wolf.

Der Steudel! bei Fever Pit’ch
Für den Newsletter schreibt Alex Steudel erfrischende Kolumnen.

Das Problem ist: Die früheren Bayernspieler Hamann und Matthäus können als Experten nichts richtig machen. Kritisieren sie mit angezogener Handbremse, heißt es: Naja, die Bayern halten halt zusammen. Kritisieren sie Vollgas, explodiert ihr Ex-Klub.

Haben sie übertrieben? Liga-Erster ist schließlich Leverkusen. Das ist, als würde Habeck den bayerischen Landtag übernehmen.

Warum dann so ein Tuchel-Aufritt ausgerechnet nach diesem überragenden Spiel im Westfalenstadion?

Die erste mögliche Antwort: Kalkül, um von Problemen abzulenken. Meister darin: José Mourinho. Was gegen diese Theorie spricht: Die Bayern hatten in Dortmund alles, bloß keine Probleme. Das einzige Problem war der Auftritt ihres Trainers.

Zweite mögliche Antwort: beleidigte Leberwurst. Etwas ist in Tuchel hochgekocht, das er nicht mehr kontrollieren konnte. Dabei hatte er erst letzte Woche gesagt, er kriege kritische Berichte sowieso nicht mit.

Am Samstag fragte ich mich: Wie kann man sich nur so sehr über etwas aufregen, das man gar nicht mitbekommen hat?

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Aus eigener Reportererfahrung steuere ich folgendes bei: Beleidigte Leberwurst ist die wahrscheinlichere Variante. Fußballer hassen nichts mehr als ständiges Genörgel. Es geht ihnen schon an die Nieren, wenn sie kritisiert werden, aber wenn sich jemand an ihnen abarbeitet, drehen sie irgendwann durch.

Was menschlich ist, da kann am zehnten des Monats noch so viel Kohle auf dem Konto eingehen.

Matthäus weiß das genau. Und ich weiß es mindestens genau so genau.

Als Matthäus noch beim FC Bayern war, stürmte er eines Tages nach dem Training aus der Umkleidekabine und steuerte mich zielstrebig an. Ich hatte ihn ein paar Mal hintereinander in der Zeitung, sagen wir mal: kritisiert.

"Machst du das zu Hause auch so?", rief er so, dass alle es hören könnten, und zeigte dabei auf mich.

Dutzende von Fans und Journalisten um uns herum hielten den Atem an.

"Was meinst du?", frage ich in die Säbener Stille hinein.

"Zu Hause, bei deiner Frau", antwortete Matthäus. "Wenn dir an ihr was nicht passt, hörst du dann auch nie auf?"

Die Leute lachten jetzt. Und ich guckte wie Hellmann.

Der Vergleich war witzig. Aber mir lief's damals eiskalt den Rücken runter. So wie am Samstag wahrscheinlich dem Sky-Interviewteam, dem (leider) die Verunsicherung deutlich anzumerken war.

Doch wer werfe den ersten Stein? Ich bestimmt nicht. Ich stapfte damals mit eingezogenem Schwanz (Metapher!) in die Redaktion der Abendzeitung zurück.

Ein paar Monate später vertrugen sich Matthäus und ich übrigens wieder. Im Wintertrainingslager in Andalusien war das. Er sagte einen Satz, den ich nie vergessen werde: "Steudel, denk' dran: Man sieht sich immer zweimal im Leben."

Deshalb freue ich mich so sehr auf den nächsten Spieltag mit Tuchel.

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