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Trikotwerbung: Wie alles anfing

Heute versuchen alle Klubs, ihre Einnahmen mit Werbung zu erhöhen. Dass der DFB Trikotwerbung erlaubte, verdankt man Eintracht Braunschweig

Günter Mast zeigte dem DFB, worauf es ankommt. Foto: Imago / Rust

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In den ersten zehn Bundesligajahren war die Spielerbrust noch frei. Die einzige Werbung, die erlaubt war, war die für den eigenen Verein. Bis in den letzten Januar-Tagen 1973 aus einem Wappentier plötzlich ein Werbesymbol wurde. Der DFB versuchte vergeblich es einzuhegen. Mit dem Jägermeister-Hirsch auf dem Trikot von Eintracht Braunschweig kam stattdessen das große Geld in die Bundesliga. Eine Posse zum Mitlachen. 

In den Tagen des 1971 losgetretenen Bundesligaskandals, als die Stars vor leeren Rängen kickten, suchten die Vereine verzweifelt nach neuen Einnahmemöglichkeiten. Das Fernsehen zahlte noch nicht viel, Sponsoring gab es  meist nur durch lokale Kleinunternehmen und an VIP-Logen kein Gedanke.

Da wagten sich zwei Männer an das letzte Tabu im Fußball heran: die Trikotwerbung, die es in anderen Ländern und anderen Sportarten längst gab.

Der konservative DFB, der auch noch die Gehälter und Ablösesummen deckelte, war strikt dagegen. Doch ausgerechnet an einem der beschaulichsten Bundesligastandorte brach die Revolution aus.

Erste Gespräche zwischen Likör-Fabrikant Günter Mast und Eintracht Braunschweigs Präsident Ernst Fricke, die ehemalige Arbeitskollegen waren, fanden im April 1972 statt. Man einigte sich schon bald auf einen Fünf-Jahres-Vertrag. Mast zahlte der klammen Eintracht 100.000 D-Mark pro Saison, und im Januar 1973 gab man bekannt, mit dem Hubertus-Hirschen, das Symbol für "Jägermeister", auf dem Trikot auflaufen zu wollen.

Da die DFB-Statuten keine Trikotwerbung zuließen, griff die Eintracht zu einem Trick: Per Satzungsänderung wurde das Vereinswappen geändert. Der Hubertus-Hirsch löste den traditionsreichen Löwen ab, der an den Welfen-Fürsten Heinrich den Löwen (1129 bis 1195) erinnerte und auch das Wappentier der Stadt ist.

Präsident Fricke sagte: "Als unsere Mitglieder davon erfuhren, waren sie bereit, einen ganzen Zoo aufs Hemd zu malen." Entsprechend deutlich fiel das Abstimmungsergebnis aus: 145:7 bei drei Enthaltungen.

Die Satzungsänderung wurde ins Vereinsregister eingetragen - und gegen Vereinsrecht konnte auch der DFB nichts unternehmen.

Doch noch war die sportliche Rechtslage unklar. Zum Rückrundenauftakt in Bochum wagte die Eintracht den Tabubruch trotz Ankündigung nicht. Im Heimspiel gegen Kickers Offenbach am 27. Januar 1973 aber sollte der Hirsch Premiere haben. Eigentlich.

Am Abend zuvor nämlich schickte der Bundesliga-Ausschuss des DFB ein Telegramm und warnte die Eintracht ausdrücklich davor, die neuen Trikots einzusetzen. Schiedsrichter Walter Eschweiler erhielt strengste Instruktionen, das Spiel nicht anzupfeifen, wenn die Eintracht "nicht in ordnungsgemäßer Spielkleidung" einlaufen würde.

Der zückte das Maßband und stellte fest, dass der Hirsch unabhängig von der Botschaft, für die er stand, unzulässig war. Denn die Wappen durften nur 14 Zentimeter groß sein, der Hirsch übertraf sie um vier Zentimeter.

Obwohl Eschweiler später gern erzählte, er hätte die Eintracht trotzdem mit Hirsch spielen lassen – weil es kein unbedrucktes Trikot mehr gegeben habe –, war dies nicht die Werbe-Premiere. Eschweiler muss ein späteres Spiel gemeint haben, wie die Quellen in Schrift und Bild eindeutig belegen. Ein Spiel-Foto im Kicker vom 29. 1. 1973 zeigte eindeutig die blanke Eintracht-Brust, die Schlagzeile lautete "Platzverbot für Hirschkopf!", und er selbst wurde so zitiert: "Das Spiel hätte ich an- und sofort wieder abgepfiffen. Mit Sicherheit wären die Punkte an Offenbach gegangen."

Enttäuscht kommentierte Fricke: "Auf der einen Seite will auch der DFB, dass die Klubs alle Möglichkeiten ausschöpfen, um wirtschaftlich gesund zu bleiben. Auf der anderen Seite hat er dann Bedenken, wenn eben alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden."

Wochenlang schwelte nun die Kontroverse zwischen Verband und Verein – während sich fast die ganze Mannschaft wegen des Bundesliga-Skandals vor dem Kontrollausschuss zu verantworten hatte.

Anfang Februar stimmte die Eintracht dem DFB-Vorschlag zu, das Wappen auf 14 Zentimeter zu reduzieren. Das wurde akzeptiert und somit dem Hirschen am 26. Februar 1973 die Genehmigung erteilt. Aber warum vergingen weitere vier Wochen bis zur Premiere?

Weil die Stickerei etwas länger brauchte, ihn auf das gewünschte Format zu stutzen, wurden die Trikots erst zum Heimspiel am 24. März 1973 gegen Schalke 04 fertig. Der Hirsch hatte endlich Premiere und mit ihm indirekt auch die Trikot-Werbung in der Bundesliga. In unteren Ligen gab's bei Firmenteams wie Röchling Völklingen oder Bayer Leverkusen schon Werbung mit Sondergenehmigungen.

Aber auch im Spiel gegen Schalke 04 war nichts von "Jägermeister" zu lesen, das Werbeverbot hatte ja noch Bestand. Doch der Fall hatte so viel Wirbel gemacht, dass nun alle Welt wusste, wofür der Hirsch stand. Faktisch hatte Mast das Verbot umgangen, ein Tabu war gebrochen, und plötzlich lief der 1. FC Nürnberg in der Regionalliga mit AEG auf. Die Fernsehanstalten der ARD liefen Sturm wegen der "Schleichwerbung". Es musste also etwas geschehen.

Nach der Saison gründete der DFB eine "Kommission zur Prüfung des Problems der Werbung auf der Sportkleidung", da auch Generalsekretär Hans Paßlack dämmerte, "dass ein Trend festzustellen ist, nach dem die öffentliche Meinung sich in der Richtung entwickelt, dass Werbung im Sport nützlich ist und daher nicht länger abzulehnen ist." Die Kommission kam am 25. August 1973 im Frankfurter Airport-Hotel Zähne knirschend zu der Erkenntnis: "Die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass es nur schwer möglich sein wird, bestimmte Produktgruppen von der Werbung auszuschließen."

Nun galt es, das Gesicht zu wahren und möglichst viele Vorschriften zu entwickeln, um "die Grundsätze von Ethik und Moral zu beachten". Ein Firmenemblem durfte maximal 170 Quadratzentimeter einnehmen, Schriftwerbung 8x25 Zentimeter (rechteckig). In der Saison durfte der Werbepartner nicht gewechselt werden, und Schiedsrichter durften nur für den DFB werben.

Auf dessen Bundestag am 30. November, also erst sieben Monate nach der Premiere, wurden diese Vorschläge dann abgesegnet und damit die Tore zur Moderne aufgestoßen. Wer nun in den beiden oberen Ligen werben wollte, durfte das tun. Nach Antrag und für eine Verwaltungsgebühr von 100 D-Mark, die natürlich in keinem Verhältnis zu den Einnahmen stand, die sich den Vereinen nun auftaten.

1973/74 spielten dann schon sechs Klubs mit Werbebrust, die Bayern ab April 1974 mit Adidas. Heute ist das bis in die untersten Spielklassen usus, sogar bei der Jugend. Fußball ohne Brust-Werbung? Undenkbar. Millionen-Summen fließen Jahr für Jahr in die Kassen der Bundesligisten, Branchen-Primus FC Bayern etwa soll von der Telekom 25 Millionen Euro erhalten.

Alles nur, weil ein Hirsch den DFB auf die Hörner nahm.

  • Fun Fact 1: Der Hirsch brachte Eintracht Braunschweig kein Glück. Am Saisonende stieg sie erstmals aus der Bundesliga ab.
  • Fun Fact 2: Günter Mast wurde 1983 Eintracht-Präsident und plante die Umbenennung des Klubs in "SV Jägermeister Braunschweig". Der DFB prozessierte dagegen und verlor in der Berufungsinstanz. Doch bis zum Urteil 1986 war Mast nicht mehr Präsident des Klubs.

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