St. Pauli am Boden vor dem Bayern-Spiel: Ratlosigkeit macht sich breit
Fever Pit'ch-Kolumnist Alex Steudel über die sich zuspitzende Krise des Kiezklubs

Foto: IMAGO/Claus Bergmann
Letztens fuhr ich ahnungslos im Eurocity durch Dänemark, als in Kolding vier junge Dänen zustiegen, ausgerüstet mit FC St. Pauli-Trikots und einer Gemeinschaftsstofftasche, die zwölf Dosen Bier enthielt. Sie waren bestens gelaunt, dabei fuhren sie zum Sonntagabendspiel des drittschwächsten Klubs der Bundesliga, mussten also wissen, dass Bier vermutlich ihr Highlight des Tages bleiben würde, zumal eine Rückfahrt abends um halb Neun nicht drin war, wie ich meiner Bahn-App entnahm.
Ich bewunderte das Quartett und dachte: Das ist echte Leidenschaft!
Die Armen.
Es kam natürlich wie befürchtet: Heimniederlage, Relegationsplatz 16. Nach dem 0:1 gegen Union Berlin stehen acht Bundesliga-Schlappen in Folge im Lebenslauf, den man besser keiner Bewerbung beilegt.
Seit über zwei Monaten läuft beim Kiezklub fast alles schief, und jetzt müssen sie auch noch zu den Bayern. Also die Spieler des FC St. Pauli, hoffentlich nicht die vier zugfahrenden dänischen Fans. Zu holen gibt es nämlich am Samstag in der Allianz-Arena höchstens ein Helles für fünf neunzig am Kiosk. Die Wettquote auf einen Gästesieg lautet entsprechend 25 zu 1. Das ist kurz vor Beleidigung.

Ach, die Braunweißen haben es gerade nicht leicht. Ratlosigkeit, die Pest des Fußballs, macht sich in St. Pauli breit. Wobei man dazu sagen muss, dass das eine Spezialität zu werden droht, die in ganz Hamburg erhältlich ist. Dem HSV auf Platz 14 geht es ja auch nicht viel besser, aber das tröstet den FCSP-Fan wenig.
Ihn beschäftigen der Acht-Pleiten-am-Stück-Vereinsnegativrekord – und vor allem: diese Aussichtslosigkeit der Lage. Die Mannschaft spielt seit Wochen mutlosen, defensiven Sicherheitsfußball ohne Aussicht auf Mittellinienüberquerung. Und wenn es mal ein paar Minuten lang besser läuft, schalten hinterher gleich alle in den CDU-Modus, sie tun also so, als sei das nun die erhoffte große Wende – nur um ein Wochenende später in die nächste Blamage zu rutschen.
Am Millerntor fragt man sich da natürlich inzwischen: Hat Sportchef Andreas Bornemann den Kader richtig zusammengestellt? Im Sommer gab’s einen riesigen Umbruch, der zur Folge hatte, dass die aktuelle Startelf mit der vom Ende der Saison 2024/25 so viel zu tun hat wie die neue FC St. Pauli Stadiongenossenschaft mit einem Staatsfonds der Emirate.
Andererseits: Hat nicht genau dieser runderneuerte Kader im Sommer einen Vereinsstartrekord hingelegt – sieben Punkte aus den ersten drei Spielen? Und haben wir damals nicht dieselben Zugänge gefeiert, die jetzt ratlos hinten drinstehen und an ihren Nägeln kauen? Man sieht, Analyse ist in diesem Fall schwer.
In München stehen jedenfalls die Chancen auf einen Punktgewinn in etwa so gut wie meine auf den Pulitzerpreis für diese Kolumne. Trainer Alexander Blessin, letzte Saison noch gefeiert für seinen neuen, sagenhaften FC St. Pauli-Bollwerkfußball – man stellte am Ende die zweitbeste Defensive hinter Meister FC Bayern –, gerät immer mehr unter Druck, also theoretisch.
Denn zu seinem Glück hat der Schwabe, der im Schatten des Neckarstadions geboren wurde, Chefs, die das anders sehen: Boss Oke Göttlich sagte ihm erst gerade wieder Unterstützung zu. Mal sehen, wie lange das im Krisenfall gilt.
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