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Schalke-Aufstand: Sogar Max Merkel musste kapitulieren

Der Riss war zu tief: Schalke 04 hat Thomas Reis freigestellt. Nicht das erste Mal, dass ein Trainer das Machtspiel mit den Spielern verlor

Der berühmte Trainer Max Merkel auf Schalke. Foto: Imago / Sven Simon

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Wenn ein Spieler seinen Trainer kritisiert, und sei es nur indirekt wie diese Woche im Falle Timo Baumgartl beim FC Schalke 04, geht das meist so aus: Geldstrafe, Abmahnung oder gleich Suspendierung – für den Spieler natürlich. Es gab aber, ausgerechnet auf Schalke, vor fünf Jahrzehnten auch einen Fall, der das umgekehrte Ergebnis brachte.

Der Spieler kritisiert den Trainer, und der fliegt noch am selben Tag raus. Dat is Schalke. Folgen Sie mir in die Saison 1975/76, als Trikotwerbung noch etwas Besonderes, ein Sieg zwei Punkte wert und Bayern München
nicht amtierender Meister war.

Die erste große Bayern-Ära ist vorbei, Borussia Mönchengladbach hat das Star-Ensemble um Franz Beckenbauer und Gerd Müller nach drei Jahren 1975 als Meister abgelöst. In der Bundesliga weht ein frischer Wind, alles scheint möglich – auch dass Schalke mal wieder Meister wird.

Seit 1958 schon warten sie auf die Schale, und wie wir heute wissen, warten sie immer noch. 1975 holen sich die Königsblauen einen Trainer in den Pott, der sein Meisterstück schon zweimal fertiggebracht hat: 1966 mit 1860 München und 1968 mit Nürnberg. Dieser Max Merkel, ein Wiener, kommt mit großen Zielen.

Er gibt die Meisterschaft als Ziel aus und verlangt eine Prämie von 100.000 DM sowie 50.000 DM für den Pokal. Aber schon am 1. Spieltag gibt es ein 1:4 beim Hamburger SV, was damals noch keine Sensation ist. Merkel ist schnell ernüchtert und lädt seinen Frust auf der Mannschaft ab.

„Einige meiner Stars haben zu viele weibliche Hormone“, stellt er fest, um fehlende Wettkampfhärte auszudrücken. Seinem Rechtsaußen Rüdiger Abramczik bescheinigt Merkel, er werde nie Kopfschmerzen haben, „weil er seinen Kopf ja nie zum Denken benutzen wird. Ehe der Nationalspieler wird, werde ich Sänger an der Metropolitan Opera.“ Das bringt ihm eine Beleidigungsklage von Vater Abramczik ein. Der Sohn wird übrigens Nationalspieler werden, aber da ist Merkel längst Vereinsgeschichte.

Im Tor ruft der Zampano aus Wien einen Wettkampf zwischen Weltmeister Norbert Nigbur und dem Jugoslawen Dragan Mutibaric aus, lässt sie abwechselnd spielen und beklagt dann: „Ich dachte, jetzt hätte ich zwei erstklassige Torhüter. In Wirklichkeit haben wir jetzt gar keinen Klassetorwart.“

Am 11. Spieltag verliert Schalke bei Bundesliga-Neuling Bayer Uerdingen, und Merkel schreibt die Meisterschaft ab – im Oktober. Schalke-Boss Günter Siebert fordert: „Keine Beleidigungen mehr gegen die .Spieler!“ Die haben längst die Schnauze voll. Klaus „Tanne“ Fichtel macht den frühen Baumgartl: „Bei uns wird nicht mehr gedeckt, jeder spielt nur für sich, das Spiel ohne Ball ist verheerend.“

Bestraft wird man damals nicht dafür.

Auf Platz 8 trudelt Schalke in die Winterpause, und Merkel knurrt. Verbal arbeitet er auf sein vorzeitiges Saisonende hin. Berühmt wird sein Spruch: „Das Beste an Gelsenkirchen ist die Autobahnauffahrt nach München.“ Da schneidet einer am Tischtuch. Boss Siebert geht auf Distanz: „Selbst wenn wir noch Meister werden, wird der Vertrag nicht verlängert.“

Unter diesen Voraussetzungen schwindet in jeder Profimannschaft der Welt der Respekt vor dem Trainer. Auf Schalke hält sich bis heute das Gerücht, dass die Kremers-Zwillinge Erwin und Helmut eines Nachts die Reifen von Merkels Mercedes abmontiert hätten. Ich habe Helmut mal danach befragt - und nach über 40 Jahren hätte er es doch zugeben können. Er bestritt es, das sei jemand anderes gewesen. Aber was er gerne zugab: dass sie Merkel am nächsten Morgen nicht mit zum Training nahmen, obwohl sie – kurios genug – im selben Haus wohnten.

Am 5. März 1976 kündigt Merkel an, nach der Saison zu gehen: „Ich bin unter falschen Voraussetzungen gekommen. Der Meineid-Prozess wurde völlig unterschätzt, Branko Oblak ist wegen seines Militärdiensts in Jugoslawien zu spät gekommen. Ist doch klar, dass ich keine Lust mehr habe.“

Zum Verständnis: Schalke hat 1971 in Zeiten des Bundesliga-Skandals ein Spiel verschoben, was die Spieler hartnäckig leugnen, sie schwören sogar einen Meineid, weshalb sie sich vor dem Landgericht Hamm verantworten müssen. Erst 1978 wird die Akte Schalke geschlossen werden.

Am 8. März 1976, Merkels letztem Tag auf Schalke, wird es turbulent. Vor dem Training fragt er Helmut Kremers nach den Gründen seines Formtiefs: „Dafür muss es doch eine Erklärung geben. Oder glauben Sie, ich sei ein schlechter Trainer?“ Kremers überlegt, wieviel Ehrlichkeit er sich leisten kann, dann platzt es aus ihm heraus: „Ich glaube, ja.“

Co-Trainer Friedel Rausch saust aus der Kabine, um lieber nichts mehr mitzubekommen von der Demontage seines Chefs. Der Vorgang kommt dem Vorstand zu Ohren. Zwei Stunden später rollt ein Kopf – der des Trainers.
Ein Bote überreicht Max Merkel die Kündigung am Trainingsplatz.

Einmalig ist: Merkel erhält als besondere Wertschätzung Stadionverbot. Auch das Trainingsgelände darf er nicht mehr betreten, weshalb er sich schriftlich (mit Kreide an die Taktik-Tafel) von den Spielern verabschiedet.

Auch so kann ein Spieleraufstand enden.

  • Fun Fact 1: Unter Merkels Assistent Friedel Rausch wird die nahezu unveränderte Mannschaft 1977 Vizemeister.
  • Fun Fact 2: AM 1. Dezember 1988 wird Merkel Vereinsmitglied auf Schalke – Zeit heilt alle Wunden.

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