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Neuer Bundesliga-Modus killt das Unkalkulierbare

Früher spielten alle Klubs am vorletzten und letzten Spieltag gleichzeitig und produzierten ungewollt eine faszinierende Spannung im Saisonfinale. Dabei ist Unberechenbarkeit ein hohes Gut im Fußball. Aber vermutlich stört Anarchie nur die Geschäfte

VfL Bochums Torwart Manuel Riemann erstmals geschlagen. Foto: Imago / Team2

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Im dritten Jahr in Folge spielt die Bundesliga im neuen Modus: An den letzten beiden Spieltagen der Saison müssen die 18 Vereine nicht mehr zeitgleich antreten, sondern nur noch am 34. und allerletzten Spieltag - am Samstag, 15.30 Uhr. Ein Festtag für Sky und jede Radio-Konferenz.

Die Zersplitterung des 33. und vorletzten Spieltags auf Freitag bis Sonntag hat natürlich einen wirtschaftlichen Grund: Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) wollte seinerzeit mehr unterschiedliche Anstoßzeiten ins zweite große TV-Rechtepaket reinpacken. Das ist gelungen.

Was nicht gelungen ist: Mögliche Titelanwärter und Abstiegskandidaten, die am Sonntag spielen, kennen die Spielergebnisse der Konkurrenz, die am Freitag oder Samstag antreten mussten, und richten ihre taktischen Vorgaben fürs Spiel aus. So geht der Vorschlussrunde Brisanz verloren. Normalweise.

Denn schaut man sich den 33. Spieltag vom Wochenende etwas genauer an, liefert die Konjunktiv-Diskussion ernüchternde Erkenntnisse zu den wichtigsten Spielpaarungen am Sonntag.

  • Hätte der VfL Bochum gegen Bayer Leverkusen anders gespielt, wenn er nicht vom Mainzer Hurra-Sieg am Samstag über Borussia Dortmund gewusst hätte?
  • Wäre Bayern mit weniger Siegeswillen gegen Wolfsburg angetreten, wenn der VfB Stuttgart keinen Sieg am Freitag in Augsburg vorgelegt hätte, um Platz 2 verteidigen?
  • Hätte Hoffenheim noch mehr Torhunger in Darmstadt gespürt, wenn er am Samstag zeitgleich mit anderen Mannschaften beim Absteiger Nummer 1 gekickt hätte?

Man kann jede hypothetische Frage mit einem aufrichtigen Nein beantworten. Und trotzdem hat die Bundesliga bei der vergangenen TV-Ausschreibung - ohne Not - einen fantastischen und nicht ersetzbaren Spannungsmoment gekillt: die Konferenzschaltung aus neun Stadien gleichzeitig.

Fußballfans wissen, welche Konstellationen die Tabellensituation nicht selten produziert hat. Legendär ist der Absturz des 1. FC Nürnberg vom scheinbar sicheren Mittelfeldplatz 12 in die Abstiegszone 1999. Der Reporter schrie ins Mikro: „Wir melden uns vom Abgrund!“

Sowas ist nur möglich, wenn die Unplanbarkeit möglichst früh einsetzt. Am besten halt am vorletzten und nicht erst am letzten Spieltag. Mal abgesehen von der Spannung: Der mediale Sprung von einem Rasen zum nächsten, das wilde Durcheinander, ist Unterhaltung pur.

Und das ist genau, was die Bundesliga braucht: anarchische Unterhaltung. Der Videobeweis hat uns Fans schon den Zauber von hochemotionalen Schiedsrichter-Entscheidungen gestohlen, wenn sie falsch oder ungerecht sind. Den Stammtisch-Streit, warum der Schiri, wörtlich, "so blind war". Oder auch: Fußball ungefiltert.

Das berühmte dritte Tor von Wembley zum Beispiel, das keines war und doch das WM-Endspiel 1966 entschied, würde heute der Kölner Keller auflösen und stornieren. Und damit die jahrzehntelange Debatte zwischen England und Deutschland, ob der Ball drin war oder nicht.

Oder Diego Maradona 1986. Sein Handtor, gefeiert in Argentinien, verflucht in England, würde heute keiner Überprüfung standhalten. Man würde es mit Verzögerung zurücknehmen und anschließend vergessen. Vielleicht wäre Argentinien nicht Weltmeister geworden.

Womöglich interpretieren wir zu viel in den vorletzten Bundesliga-Spieltag hinein, weil er nicht mehr die Gleichzeitigkeit aller Spielpaarungen vorsieht. Aber vermutlich erkennen wir darin den Vorsatz: Dem Fußball wird, Schritt für Schritt, das Unkalkulierbare genommen.

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