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Bundestrainersuche beim DFB: Die schönsten Pannen

Breitner, Heynckes, Hitzfeld, Daum, Stielike – dagegen war die Verpflichtung von Julian Nagelsmann ein Kinderspiel

Erich Ribbeck (l.), Ulli Stielike Foto: Imago / Kolvenbach

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Von Udo Muras

Julian Nagelsmann ist für seinen extrovertierten Modegeschmack bekannt, und da dürfen wir sehr gespannt sein, in welchem Outfit er zu seiner Antritts-PK als Bundestrainer erscheint. Dass man sich da besonders schick machen muss, wusste schon Ulli Stielike, der vor beinahe genau 25 Jahren zusammen mit Erich Ribbeck als Bundestrainer vorgestellt wurde.

In einem karierten Sakko, das in der Nachbetrachtung ungnädig als „Sakko des Grauens“ Eingang in die Fußballannalen fand. Der modische Fehltritt des Europameisters von 1980 steht symbolhaft für eine chaotische Bundestrainersuche, ein kolossales Missverständnis und eine furchtbare Zeit des deutschen Fußballs.

Was immer über die letzten Tage des Flick-Werks gesagt und geschrieben wurde, die Suche zum Tiefpunkt der Nationalelf führt zurück in die Ribbeck/Stielike-Epoche und in den September 1998, als alles begann.

Rückblick: Berti Vogts warf am 7. September 1998 nach einer Länderspielreise von Kritik zermürbt hin, die Nation atmete auf – außer vielleicht Bundeskanzler Helmut Kohl, der immer zu ihm gehalten hatte und ein paar Wochen später auch Geschichte war. Der DFB ging hektisch auf Nachfolgersuche.

Vize-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder gab die Parole aus: „Er muss Erfolg haben. Wenn der Erfolg fehlt, wird er niedergemacht, da kann er noch so nett sein.“ Eine Anspielung auf das gestörte Verhältnis von Vogts zu den Medien, die ihn laut MV „auf eine unfaire Art und Weise attackiert“ hätten. Sein Favorit war allerdings auch kein Liebling der Medien, bloß in jenen Tagen sakrosankt: Otto Rehhagel, der mit Aufsteiger Kaiserslautern Meister geworden war.

„Rehhagel wäre die Nummer eins gewesen, wenn er aus seinem Vertrag herausgekommen wäre“, sagte MV und machte gleich einen revolutionären Vorschlag. Namhafte Bundesligatrainer sollten künftig eine Ausstiegsklausel für eine DFB-Anfrage haben, es sei „doch die Krönung einer Trainerlaufbahn, wenn du Bundestrainer werden kannst“.

Rehhagel also machte es nicht, auch von Leverkusens Christoph Daum, Bayerns Ottmar Hitzfeld und Holland-Legende Johan Cruyff kamen schon vor einer Anfrage öffentliche Absagen.

Am Dienstag, den 8. September, saß der gerade bei Real Madrid abgelöste Champions-League-Gewinner Jupp Heynckes zweieinhalb Stunden bei DFB-Präsident Egidius Braun in Aachen auf dem Sofa – und ließ sich auch nicht überreden. „Die Aufgabe hätte mich schon gereizt, aber der Zeitpunkt passte einfach nicht“, sagte Heynckes, damals 55. Näheres verriet er nicht, von familiären Gründen wurde gemunkelt. Vielleicht lag es auch an der Zeitspanne.

Der DFB suchte jemanden für einen Zwei-Jahres-Vertrag, für das Projekt EM 2000. MV: „Der DFB hatte in 100 Jahren gerade sechs Trainer. Von diesen langen Lösungen müssen wir uns verabschieden, wir müssen kurzfristiger denken.“ Und völlig neu. Braun kontaktierte noch an diesem Dienstag zunächst den Engländer Roy Hodgson von Blackburn Rovers (vergeblich, er fühlte sich aber „sehr geschmeichelt“) und am selben Abend Punkt 20.30 Uhr Paul Breitner. Der war nie Trainer, nur Mannschaftskapitän und Weltmeister.

Deshalb sollte seine Jobbezeichnung „Teammanager“ sein, wie Breitner erzählte. „Ich wollte in mein Konzept Franz Beckenbauer und Günter Netzer einbinden.“ Man vertagte sich, über so grundlegende Entscheidungen schläft man doch besser eine Nacht. Breitner vielleicht etwas unruhiger als Braun, er wusste ja schon, was in der AZ am Mittwoch steht. In Münchens Boulevardblatt war am nächsten Tag dieses Breitner-Zitat zu lesen: „Parallel zu Berti müsste die ganze DFB-Führung ihren Hut nehmen.“ Das hatte sie nicht vor, und mit Breitner arbeiten wollte sie nach dieser Meinungsäußerung auch nicht mehr.

Chronist Breitner hielt fest, wann sein Traum vom Bundestrainer schon wieder geplatzt war: Mittwoch, 9. September, 13.30 Uhr. Braun machte telefonisch einen Rückzieher, „weil er offenbar von anderen Präsidiumskollegen zurückgepfiffen wurde. Das Thema ist erledigt. Ich hatte mir auf einem Zettel Gedanken gemacht, den ich um 13.30 zerrissen habe.“

Um ein Haar hätte der DFB einen seiner schärfsten Kritiker angestellt, mit den kompetentesten Assistenten aller Zeiten. Wer und was blieb noch? Da war ja noch einer, dem der DFB etwas schuldete. Erich Ribbeck hatte man einst versprochen, Jupp Derwalls Nachfolger zu werden, ehe Franz Beckenbauer unverhofft auf der BILD-Fläche erschien.

Ribbeck verließ den DFB 1984 tief enttäuscht und versuchte sich wieder als Vereinstrainer. Er sagte Minuten nach der Absage an Breitner dem Dauertelefonierer Braun zu. Zwei Jahre nach seinem Rauswurf in Leverkusen hatte er seine Trainerkarriere schon abgehakt, mit 61.

Dem DFB konnte er gar nicht erfahren genug sein in dieser schwierigen Situation, einen jungen Helfer für die Trainingsarbeit sollte er aber bekommen. Es wurde Stielike (damals 45), der schon am Dienstagabend von DFB-Direktor Bernd Pfaff gefragt wurde, ob er Bundestrainer werden wolle. Er wollte und fühlte sich für die Mannschaft hauptverantwortlich, sprach schon am Mittwoch über die Taktik und diverse Personalien – noch vor seiner Amtseinführung. Was er von der Konstellation mit Ribbeck halte, fragte ihn der Kicker. „Einer arbeitet, einer macht die Öffentlichkeitsarbeit. Ich will gerne der Arbeiter sein.“

Dann wäre er am 10. September 1998 wohl besser im Blaumann erschienen.

Das Ende ist bekannt: Die Doppelspitze harmonierte nur in Werbespots, die Mannschaft spielte furchtbar, Stielike warf im April 2000 hin und Ribbeck fuhr auch mit dem später noch sehr erfolgreichen DFB-Trainer Horst Hrubesch die EM an die Wand. In allen Statistiken wird er als Bundestrainer geführt – leider auch als der erfolgloseste.

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