Mitleid mit Krisen-Bayern?


Guten Morgen, liebe Fußballfreunde!
Fünf Spieltage vor Schluss: So langsam wird es Zeit, sich mit dem Restprogramm der Bundesliga-Saison 2022/23 zu beschäftigen. Schauen wir auf Borussia Dortmund, den neuen Tabellenführer: Die letzten Begegnungen sind eigentlich ein Selbstläufer, um Deutscher Meister zu werden.
Drei der fünf Spiele finden daheim im Signal Iduna Park statt (gegen Gladbach, Wolfsburg und Mainz), wo man dieses Jahr alle Heimspiele gewonnen und im Schnitt fast vier Tore pro Spiel erzielt hat. Auswärts muss der BVB noch beim Abstiegskandidaten VfL Bochum und beim Angstgegner FC Augsburg ran.

Zehn bis zwölf Punkte von 15 möglichen - das müsste zur Meisterschaft reichen angesichts der aktuellen Formkrise des Rivalen FC Bayern. Die Bayern haben zwar leichtes Spiel bei Gegnern wie Hertha, Schalke und Köln, aber eben auch zwei harte Nüsse zu knacken: Werder Bremen und RB Leipzig.
Während ich diese Zeilen schreibe, freue ich mich, dass sich Rechenspiele lohnen. Endlich hat die Bundesliga wieder Spannung. Oben wie unten im Keller übrigens. Die Schalker zum Beispiel haben es als Tabellenvorletzter schwer: Bremen, Mainz, Bayern, Frankfurt, Leipzig - wie soll da der Klassenerhalt gelingen?
Blick zurück nach oben. Meine Bemerkung, dass das BVB-Restprogramm "ein Selbstläufer" sein soll, ist natürlich gemein. Denn so wie wir hier rechnen, beginnen auch die Spieler mit ihren Kalkulationen und erkennen den Ernst der Lage. Nervensache! Jeder Punktverlust wäre ein Rückschlag im Saisonfinale.

Den ersten Stresstest haben die Dortmunder bestanden, als sie nach der Bayern-Pleite in Mainz die Frankfurter 4:0 aus dem Stadion schossen. Fünf weitere Reifeprüfungen folgen bis zum letzten Spieltag am 27. Mai. Das Ende der Bayern-Dominanz mit zehn Meistertiteln in Folge: Die Bundesliga darf träumen.
Ich sage es ganz ehrlich: Der Bundesliga könnte nichts Besseres passieren, wenn der Meister 2023 nicht Bayern München hieße, sondern - zum Beispiel - Borussia Dortmund. Es ist eine andere Botschaft, wenn im Ruhrgebiet Hunderttausende den Titel feiern, als aus Routine die paar Dutzend auf dem Münchner Marienplatz.
Einen konterstarken Montag wünscht
Euer Pit Gottschalk
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BVB im Höhenflug
Wenn selbst Menschen aus der eigenen Bubble, clevere Menschen, junge Menschen, nicht sofort begreifen, dass das ein KI-generiertes Bild ist. pic.twitter.com/2pgubtlbBS
— Martin Hoffmann 🇺🇦 (@ErzaehlerMartin) April 22, 2023
Mitleid mit Bayern? Ich schon!
Von Alex Steudel
Ungefähr 50-mal habe ich am Wochenende das schon ikonische Bild der Bayernbosse betrachtet, die sich zu dritt auf der Tribüne in Mainz zusammendrängen und nicht mehr weiterwissen. Sie sind ein einziges Häufchen Elend. Selbst "Brazzo" Salihamidzic wirkt nicht, als könne er alles besser, und das will ja was heißen.
Während des Spiels, dass die Bayern klar verloren, war das Bild immer wieder zu sehen, und auch später, als Dortmund gegen Frankfurt gewonnen und die Tabellenführung übernommen hatte. Dabei entwickelte sich in mir ein längst vergessenes Bayern-Gefühl: Mitleid.
Die Bayern haben zehn Jahre lang alles gewonnen. In diesem Zeitraum hatte ich vorrangig Mitleid mit Borussia Dortmund, dem ewigen Zweiten; dem verlässlichen Abbieger, wenn eigentlich gerade Strecke ist.
Und jetzt tun mir die Bayern leid. Zum ersten Mal seit 1999.
Alles hat sich gegen sie verschworen, alles. Was sie auch machen: Es klappt nicht. Bayern könnte deshalb erstmals seit 2012 Vizemeister werden.

Vizemeister. Allein schon das Wort. Für Bayernfans hat es denselben Klang wie Inflation oder Gaspreiserhöhung.
Es ist verrückt. Wahnsinn, wie Klubchef Kahn sagen würde. Und am Sonntag kommt Hertha BSC. Die Mannschaft hat seit 46 Jahren kein Bundesligaspiel beim FC Bayern gewonnen und ist jetzt doch Angstgegner. Das muss man auch erstmal hinbekommen.
Wie soll man gegen die gewinnen, wenn nichts mehr funktioniert? Wenn sich alles verschworen hat? In diesem Ausmaß erlebt unsereins das sonst nur beim Regale zusammenbauen. Du denkst, du machst alles richtig, und am Ende ist links, wo rechts sein sollte, die Rückwand steht vorn und die entscheidende Schraube, die alles zusammenhält, ist spurlos verschwunden.
Die Dortmunder sind ganz da. Ein Punkt Vorsprung auf Bayern und noch "genau fünf Schritte" bis zum Paradies, hat Trainer Edin Terzic gesagt.
Auf dem Borsigplatz ist bestimmt schon das erste leise Brummen zu hören.
Das muss das Schlimmste sein für die Bayern: Dortmund. Ausgerechnet die Mannschaft, die nie was auf die Reihe kriegt, wird womöglich Meister. Ausgerechnet Mats Hummels sprintet (!) zu Platz eins. Ausgerechnet Niklas Süle, über den sie sich lustig machten, als er München verließ, lacht sich am 34. Spieltag kaputt und isst zur Feier des Tages Burger mit Pommes aus der Meisterschale.
Und warum? Kann denn alles menschliches Versagen sein?
Ich glaube ja an den Gerechtigkeitssinn der Fußballgötter. Sie haben aufgepassst. Sie verlangen jetzt vom Rekordmeister auf einen Schlag zurück, was sie jahrelang unter dem Verwendungszweck "Bayernbonus" überwiesen haben.
Keiner von uns kann sich vorstellen, was das wirklich bedeutet. Wie es für Kahn, Brazzo und Herbert Hainer, den Durchwinker unter den Kontrolleuren, sein muss, wenn ein ganzes Land auf dich zeigt, schimpft, sich ärgert oder totlacht. Wie es sich anfühlt, wenn du wochenlang das Gespött der Leute bist, und es einfach nicht besser werden will.
Deswegen taten mir diese drei am Samstag leid.

Das letzte Mal, als mir die Bayern so leidtaten, war Mai 1999. Fast genau 24 Jahre her also. Damals beging Trainer Ottmar Hitzfeld seine verhängnisvollen Wechselfehler im Champions-League-Finale gegen Manchester United. Die Bayern gingen in der Nachspielzeit schneller unter, als Julian Nagelsmann "Fünf-Jahres-Vertrag" sagen kann.
Aber sie brauchten damals nur zwei Jahre, um sich von diesem Schock zu erholen – 2001 gewannen sie die Champions League dann doch. Man darf sie eben niemals unterschätzen, diese Eigenschaft der Bayern.
Wie 1999 ist jetzt ein Wechselfehler Schuld. Diesmal sind die Bosse, Kahn und Salihamidzic, verantwortlich für den jähen Absturz, und keiner mag sie mehr. Die beiden standen 1999 auf dem Platz, als das Drama von Barcelona seinen Lauf nahm, Kahn hütete das Tor, Brazzo wurde in der 87. Minute für Mario Basler eingewechselt.
Kahn und Brazzo wissen, wie es ist, zu versagen. Und sie wissen, wie man daraus lernt und stärker zurückkommt. Zwei Jahre später holten sie damals zusammen den Henkelpott.
Vielleicht macht das Bayern Hoffnung. Vielleicht sage ich das aber auch nur aus Mitleid.
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FC Bayern nicht Deutscher Meister wäre wie Bundestag ohne CSU.
— Günter Klein (@guek62) April 23, 2023
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