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Die deutsch-niederländische Rivalität im Fußball ist legendär. Animositäten, die aus dem Krieg stammten, spielten auf dem Fußballplatz leider noch lange Zeit eine Rolle. Besonders vor dem WM-Finale 1974, als die Parole der Niederländer in Anspielung auf die Besatzungszeit lautete: „Wir holen uns die Fahrräder zurück.“
Es gab regelmäßig Prügeleien unter den Hooligangruppen beider Lager, vor allem 1988 in Rotterdam, als auch deutsche Reporter durch die Straßen gejagt wurden. Die höchste Eskalationsstufe auf dem Platz wurde 1990 erreicht, beim WM-Achtelfinale in Mailand. Das vielleicht beste deutsche Spiel auf dem Weg zum Titel gewannen die Kaiserlichen mit 2:1. Jürgen Klinsmann und Andy Brehme erzielten herrliche Tore.
Aber die Szenen, über die alle Welt am Tag danach sprach, hatten wenig mit Sport zu tun. In der 22. Minute stellte der argentinische Schiedsrichter Losteau Rudi Völler und Frank Rijkaard vom Platz. Was Völler getan hatte, der Torwart Hans van Breukelen im Kampf um den Ball gefährlich nahe gekommen war, blieb schleierhaft. Rijkaard aber hatte den deutschen Mittelstürmer an den Ohren gezogen und angespuckt, bereits zum zweiten Mal. Ob der Schiedsrichter wirklich nur „Ruhe haben wollte“, wie Co-Kommentator Karl-Heinz Rummenigge mutmaßte?
Aber für jeden deutschen und auch jeden neutralen Betrachter war es ein Skandal.
Rudi Völlers Wut wurde auf dem Weg in die Kabinen noch gesteigert, als Rijkaard ihn erneut anspuckte. Im Kabinengang flogen dann sogar die Fäuste, Offizielle mussten die Streithähne trennen. Rijkaard hat sich noch am selben Abend entschuldigt: „Die Szenen, die zum Platzverweis führten, tun mir leid. Ich war einfach übernervös.“
Diese Position bezog er auch vor dem Sportgericht der Fifa. Aber obwohl er für Völlers Freispruch plädierte („Er kann nichts dafür, was ihm widerfahren ist, ist völlig ungerecht“) und obwohl auch die TV-Bilder eine klare Sprache sprachen, wurde „Ruuuudi“ für das nächste Spiel gesperrt. Man hörte ihn nicht mal an, obwohl die Fifa das zugesichert haben soll, weshalb er frühmorgens um 6.35 Uhr in Begleitung von Lothar Matthäus und eines DFB-Funktionärs nach Rom geflogen war.
Sie machten das Beste draus, verpassten absichtlich den Flieger nach Mailand und Völler traf sich mit seiner künftigen Frau Sabrina auf einen Café in Rom, Kapitän Matthäus schwieg darüber wie ein Grab. Hinterher, als sie Weltmeister waren, war sowieso alles egal. Rudi Völler und Frank Rijkaard versöhnten sich übrigens sechs Jahre später bei einem Werbetermin mit einem Frühstück in einem Hotel in Bergisch-Gladbach und Rijkaard erklärte ihm, dass er damals private Probleme mit auf den Platz genommen hatte.
Erstaunlich ist auch, dass…
- …dass der vierfache Torschütze vom 5:5 in Zwolle anno 1912, Julius Hirsch aus Karlsruhe, in der NS-Zeit nicht in den Statistiken auftauchen durfte. Er war einer von zwei jüdischen Nationalspielern der DFB-Geschichte – neben Gottfried Fuchs. Glanzleistungen von Juden passten nicht ins Weltbild der Nazis, also wurden sie ignoriert, auch rückwirkend. Von diesem Spiel gelangten übrigens die ersten Fußballszenen überhaupt in deutsche Kinos.
- …dass 1924 beim ersten deutschen Sieg gegen die Niederlande in Amsterdam (1:0) sechs Fürther und fünf Nürnberger Spieler wegen eines Streits Tage zuvor in einem Pokalderby kein Wort miteinander sprachen. Sie reisten im selben Zug, aber in getrennten Waggons an, schwiegen im Hotel, in der Kabine und unter Dusche und das Siegtor bejubelten sie in zwei Gruppen. Irre auch, dass die Deutsche die damals neue Abseitsregel nicht drauf hatten und 32mal in die Falle von Oranje liefen.
- …dass es 1926 beim 4:2 in Düsseldorf die erste Radioübertragung eines Länderspiels gab und im Oktober beim 3:2 in Amsterdam nach 18 Jahren erstmals ein Trainer auf der DFB-Bank saß. Vorher waren Aufstellung und Training Sache von Funktionären, bis Dr. Otto Nerz kam. Zur allgemeinen Überraschung, seine Nominierung wurde nirgends publiziert. Kuriosum auch am Spielfeldrande: Ersatztorwart Heiner Stuhlfauth schlüpfte in die Rolle des Linienrichters.
- …dass 1957 in Köln der höchste Sieg in diesem Duell gelang – 7:0! Noch etwas machte den Oktober-Tag historisch: 17 Minuten vor Schluss wurde erstmals bei einem DFB- Heimspiel das Flutlicht eingeschaltet, die Technik brach sich erst in den Fünfzigern Bahn. Viele Stadion waren noch nicht „beleuchtet“. Ein strahlender Tag in doppelter Hinsicht!
- … dass Bundestrainer Helmut Schön auf der Busfahrt zum WM-Finale 1974 in die Runde fragte: „Habt ihr auch alle eure Schuhe dabei?“ Er war ein gebranntes Kind, bei der WM 1970 in Mexiko konnte Willi Schulz gegen Uruguay aus eben diesem Grunde (Schuhe im falschen Bus) nicht spielen. Die Frage, wer denn nun einen eventuellen Elfmeter schießen solle, war dagegen nicht geklärt worden. Unglaublich! Nach Uli Hoeneß‘ Fehlschuss gegen Polen gab es keinen Freiwilligen mehr, weshalb es zum großen Moment von Paul Breitner kam. Der war mit der Jüngste und als Schütze gewiss nicht vorgesehen, handelte aber quasi in Trance und war am nächsten Tag am meisten geschockt über sein Handeln. Sein 1:1 ebnete den Weg zum Titel. Eine Panne gab es trotzdem, für die zumindest kein Spieler etwas konnte. Der Anpfiff verzögerte sich, weil die bei der Abschiedsfeier in München störenden Eckfahnen nicht aufgestellt worden waren.
- …dass die Niederlande 1988 in Hamburg im EM-Halbfinale quasi Heimvorteil hatte, 18.000 Fans machten Lärm für 50.000. Sie feierten einen besonders süß schmeckenden Sieg. In vorletzter Minute traf Marco van Basten zum 2:1 und nach Abpfiff wischte sich der aktuelle Bondscoach Ronald Koeman mit dem eingetauschten Trikot von Olaf Thon andeutungsweise den Hintern ab. Etwas Strafe hatten die Deutschen verdient, Franz Beckenbauer hatte die Aufstellung von Frank Mill mit einer erfundenen Magenverstimmung von Pierre Littbarski erklärt. Dabei war es reine Taktiererei, wie Littbarski später zugab: „Dem Magen geht’s gut!“ So gut, dass er noch eingewechselt wurde. „So geht das nicht“, tadelte Trainer Rinus Michels den Kaiser!
- …dass 2000 ein Mittelfeldspieler in die Verteidigung musste. So wurde die Geschichte vom tragischen Debütanten geschrieben. Wenn einer zwei Spiele auf einmal macht – sein erstes und sein letztes – dann hat er wohl versagt. Zoltan Sebescen traf freilich wenig Schuld. Bundestrainer Erich Ribbeck testete ihn am 23. Februar als rechten Verteidiger, was er in Wolfsburg nie gespielt hatte. Da war er als torgefährlicher Mittelfeldrenner mit einem satten Schuss aufgefallen. Gegenspieler Zenden machte prompt mit ihm, was er wollte, bis er zur Pause erlöst wurde. Bis heute ist Sebescen das Paradebeispiel für ein verkorkstes Debüt.