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Fußballtrainer – der schlimmste Job der Welt

Es wird Zeit, eine Lanze für die armen Menschen an der Seitenlinie zu brechen, findet der Kolumnist

Foto: Imago / Eibner

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An dieser Stelle sollte eigentlich eine Kolumne erscheinen, die vor Trainerkritik strotzt. Schließlich hat der landauf, landab unbekannte Nenad Bjelica am Mittwochabend dem Weltstar Leroy Sané zweimal ins Gesicht gelangt. Was bildet der sich ein? Das allein gibt Anlass genug, zu einem Rundumschlag gegen diese eingebildeten, egomanischen Übungsleiter auszuholen, die sich dauernd danebenbenehmen und nicht mal in der Lage sind, 90 Minuten lang in einem mit fetter Kreide angezeigten Viereck stehenzubleiben.

So leicht ist es leider nicht.

Natürlich lässt sich das, was Union-Coach Bjelica gemacht hat, nicht entschuldigen. Andererseits möchte ich jetzt eine Lanze für diese armen Menschen an den Seitenlinien brechen: Fußballtrainer ist der schlimmste Job der Welt.

Das geht schon bei den Kindern los. Der Trainer, der den übergewichtigen Kevin (10) aus Berlin-Wedding nicht binnen vier Wochen zum Top-Kandidaten fürs Hertha-Nachwuchsleistungszentrum formt, hat bei dessen Eltern allen Kredit verspielt und wird gemustert, als habe er gerade eine Aufenthaltsgenehmigung in Russland beantragt.

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Und das gilt nicht nur für die Eltern von Kevin, sondern auch für all die anderen Erziehungs- und Transfersummenberechtigten am Spielfeldrand, weil die nun fürchten, dass die Weltkarriere ihrer eigenen Kinder ebenfalls in Gefahr gerät wegen dieses Versagers.

Nichts beeinflusst die Karriere eines Nachwuchstrainers negativer als die sorgenvolle Miene des hinter ihm stehenden Spielervaters, dem gerade bewusst wird, dass es vielleicht doch nichts wird mit dem vom Schweiße seines Sohnes verdienten Lamborghini Huracán V10.

Und verliert die F-Jugend des VfR Neustadt-Bratzel zwei Spiele in Folge, tuscheln die Eltern schon lauter als die Besatzung der Bounty: Wir brauchen einen neuen Trainer.

Bei den Profis ist es ganz schlimm. Eben angestellte und mit höchstem Lob versehene Bundesligatrainer sind eigentlich schon an Tag eins so gut wie entlassen. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt etwa zwei Jahre. Und wenn es anfangs gut läuft? Macht nichts. In den seltensten Fällen werden im Fußballgeschäft Trainer für die erzielten Erfolge verantwortlich gemacht.

Erfolge beanspruchen Sportdirektoren für sich. Vereinspräsidenten. Spieler. Die Eltern der Spieler. Die Berater. Fans. Die Sponsoren. Kolumnisten sowieso. Keine Ahnung, wo der FC Bayern ohne meinen regelmäßigen Input heute stünde.

Der Trainer? Irgendeiner muss halt am Samstag die erste Elf aufschreiben und am Spielfeldrand stehen.

Erst wenn auch die Empfangsdame an der Geschäftsstelle und die drei Bedienungen in der Klubkneipe ihren Anteil in Anspruch genommen haben, dürfen Trainer einsammeln, was vom Erfolg übriggeblieben ist.

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Sobald aber Misserfolg eintritt, wird die Situation eine grundlegend andere. Geht der Klub den Bach runter, ist der Trainer schuld, und zwar allein. Weltexklusiv.

Wenn das Ganze entsprechend bezahlt würde, wäre das ja noch zu ertragen. Es gibt aber keinen Industriezweig und auch keinen Metzger oder Bäcker, wo der Chef schlechter verdient als seine Mitarbeiter. Der Vorstandsvorsitzende der Commerzbank hat am Ende des Monats natürlich NICHT weniger auf dem Konto als die besonders überzeugende Anlageberaterin aus Abteilung XV/II/3a. Und Deutsche-Bahn-Chefs werden seit jeher an Misserfolgen umgekehrt proportional beteiligt. Je später der Zug, desto reicher der Chef.

Im Fußball wäre das alles undenkbar.

Selbst die besten Trainerjobs der Welt will deshalb im Grunde kein Mensch haben. Oder ist hier jemand, der gerade mit Hansi Flick tauschen möchte? Mit Jogi Löw? Hat einer Lust, mit Urs Fischer angeln zu gehen? Was macht eigentlich André Breitenreiter? Sie alle sind Opfer des Systems.

Und möchte einer in Thomas Tuchels Haut stecken?

Ich nicht. Wer will schon eine Anstellung, die hauptsächlich darin besteht, Fehler und Misserfolge anderer anzusprechen, vor Millionenpublikum für diese Fehler geradezustehen, und am Ende des Monats halb so viel Geld auf dem Konto vorzufinden wie Leroy Sané.

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