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FC Chelsea: Grundübel im internationalen Fußball

Fast vier Dutzend Profis stehen im aktuellen Kader, jetzt kam ein Dortmunder dazu: Jamie Gittens - für über 60 Mio. Euro Ablöse. Die Londoner kaufen, als gäbe es kein Morgen mehr, und machen auf dem Transfermarkt die Preise kaputt. Offenbar mit Erfolg: Die Mannschaft steht im Finale der Klub-WM gegen Paris Saint-Germain. Schon weiß man nicht mehr, wem man die Daumen drückt.

|13. Juli 2025|
Jamie GITTENS (Borussia Dortmund) zieht es offenbar zum FC Chelsea

IMAGO/Sven Simon

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Wir alle kennen, gar keine Frage, das schönste Bundesliga-Tor von Jamie Gittens bei Borussia Dortmund: Wie er gegen Bayern München auf der linken Angriffsseite durchbricht, den armen Konrad Laimer vernascht und den Ball bei Manuel Neuer zum 1:1 in den Torwinkel zimmert.

Das Dumme bei Jamie Gittens ist: Es ist auch sein einziges Traumtor, an das man sich erinnert, und schon sieben Monate alt. Seine Bilanz liest sich auch so: nur zwölf Tore und elf Vorlagen in 76 Bundesliga-Spielen, immerhin fünf Tore und zwei Tore in der Champions League (23 Spiele).

Bitte nicht falsch verstehen: Die Zahlen sind nicht schlecht. Jamie Gittens ist ja erst 20 Jahre alt. Aber die Frage sei erlaubt: Ist er wirklich die 65 Mio. Euro wert, die der Premier-League-Klub FC Chelsea für ihn berappen will? Zweifel sind berechtigt: Mehr als ein Versprechen ist Gittens nicht.

Es geht um Chelsea – nicht um Gittens

Es soll hier auch nicht um den Jungen gehen, der sich entwickeln wird und einen gut dotierten Karriereweg vor sich hat. Es geht um Chelsea: den Verein, der die Conference League gewonnen hat und am Sonntag in New Jersey im Finale der Klub-WM steht. (Gegner ist PSG.)

Deren Zahlen sind erschreckend: 221 Mio. Euro beträgt das Transfer-Minus in diesem Sommer schon, weil zwar 22 Spieler geholt, aber nur fünf für lächerliche 22 Mio. Euro in Summe verkauft wurden. Chelsea kleckert nicht, Chelsea klotzt: 46 Spieler listet der aktuelle Kader für 2025/26.

Was der Shopping-Wahn konkret bedeutet, erfuhr der brasilianische Klub Fluminense Rio de Janeiro beim 0:2 im WM-Halbfinale: Ausgerechnet Joao Pedro, der ehemalige Jugendspieler, schoss sie mit zwei Traumtoren aus dem Fifa-Turnier in den USA und Chelsea ins Endspiel.

Chelsea kauft Spieler ohne Sinn und Verstand

Diesen Pedro hatte Chelsea erst eine Woche zuvor, noch während der Weltmeisterschaft, beim Liga-Rivalen Brighton & Hove Albion losgeeist – für die Kleinigkeit von 63,7 Mio. Euro. So geht das ständig: Wer nicht bei drei auf dem Baum ist, landet beim FC Chelsea an der Stamford Bridge.

Seit der legendäre, aber russische Klubbesitzer Roman Abramowitsch sein Spielzeug 2022 notgedrungen veräußern musste, weil die Sanktionen gegen Russland auch ihn trafen, sind nun Leute am Werk, die Fußball als Investment sehen und eigentlich gar keine Ahnung haben.

Nach seiner ersten Begegnung mit dem neuen Klubbesitzer erzählte Vereinslegende Ruud Gullit im Podcast „Stick to Football“ von einem amüsanten und gleichzeitig bedenklichen Dialog mit Todd Boehly. So viel Fremdscham provoziert nicht mal Uli Hoeneß.

Ruud Gullits Smalltalk mit dem Chelsea-Boss

Als Gullit ihn begrüßte, soll Boehly beim Europameister von 1988 zurückgefragt haben: „Wann hast du bei Chelsea gespielt? Was hast du da gemacht.“ Gullit konnte es nicht fassen. „Kann ich ihm das vorwerfen? Sicher nicht. Aber … sie wissen einfach nicht, wofür der Klub wirklich steht.“

Zugegeben, WM-Finalgegner Paris Saint-Germain hat in der Vergangenheit ebenfalls mit Millionen nur so um sich geschmissen, weil man sportlichen Erfolg erkaufen und nicht erspielen wollte. Der Unterschied ist: Niemand unterstellt Klubchef Nasser Al-Khelaifi, dass er Fußball nicht kapiert.

Man ertappt sich dabei, dass man nicht weiß, wem man den ersten offiziellen Weltmeistertitel mehr gönnt: den Größenwahnsinnigen aus Paris, die endlich verstanden haben, dass ein Klub größer als seine Superstars ist, oder den Blinden aus London, die außer Geld nicht viel bieten.

BVB profitiert vom Chelsea-Kaufrausch

Denn während man in aller Öffentlichkeit den von Scheichs alimentierten Klub (genauso wie Manchester City) umfassend und zurecht anprangert, wuchert dieses Chelsea zum wahren Symbol für das Grundübel im internationalen Fußball: Der Kaufrausch macht nicht nur die Preise kaputt.

Wenn es zum Beispiel für Gittens doof läuft, bekommt er in diesem XXL-Kader weniger Spielzeit als bei BVB-Trainer Niko Kovac in Dortmund. Er muss sich ja nur umschauen: In der Kaderliste steht auch Joao Felix. Früher galt er als Riesentalent. Heute ist er Mitläufer. Einer unter vielen.

BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl kann das Gittens-Schicksal gleichgültig sein. Sein Transfer war ein Meisterstück, denn Gittens hatte seinerzeit als Talent aus Manchester ein Kleingeld gekostet. Aber die Ablöse muss jetzt reinvestiert werden. Kehl weiß, dass das teuer wird – dank Chelsea.