zum Inhalt

Fan-Flucht zum WM-Auftakt

Inhaltsverzeichnis

Guten Morgen, liebe Fußballfreunde!

Das Bisschen an Regenbogenfarben, das Manuel Neuers Kapitänsbinde schmückt, wurde in eine Herzform gepresst und mit Farben angereichert, die ein Regenbogen gar nicht liefert, Schwarz und Lila zum Beispiel. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wollte mit dem Stück Stoff an Neuers Arm zwar symbolisieren, dass Diskriminierung im Fußball nichts verloren hat und schon gar nicht bei einer Weltmeisterschaft. Aber man mochte den stummen Protest auch nicht übertreiben. Man wusste ja, dass WM-Gastgeber Katar allergisch auf Regenbogen reagiert. Die Protestnote war Richtung Heimat gerichtet, der DFB wollte zeigen: Seht her, wir tun doch was! Wir: Dahinter steckt ein Bündnis von zehn Nationen aus Europa.

Seit dem Wochenende wissen wir: Sogar dieser faule Kompromiss aus Botschaft und Rücksichtnahme bringt den Weltverband Fifa gegenüber dem WM-Gastgeberland in Erklärungsnot. Kurzerhand verbot man den Europäern das Armsignal: Die Spielführerbinde sollte neutral sein, jede Abweichung von der Kleiderordnung steht unter Strafe. Dem DFB ist die Strafandrohung wurscht: Notfalls will Präsident Bernd Neuendorf die Strafe aus der Verbandskasse zahlen. Das sind komplett neue Töne und keine Selbstverständlichkeit. Die Franzosen zum Beispiel knickten sofort ein und versprachen Gehorsam. Nun sind es nur noch neun Nationen, die bei der Regenbogen-Aktion mitmachen.

Die stramme Haltung des DFB verdient umso mehr Respekt, weil man noch nicht weiß, wie weit die Strafe geht. Bleibt es bei einer Geldstrafe? Oder muss Manuel Neuer damit rechnen, dass er Gelb sieht und bei der nächsten Kleinigkeit vom Platz fliegt oder gesperrt wird? Die Engländer, Brüder im Geiste, stehen vor demselben Dilemma, wenn Kapitän Harry Kane heute um 14 Uhr aufläuft: Beim Gruppenspiel gegen den Iran wird es noch wichtiger sein, Flagge zu zeigen - die Flagge in Regenbogenfarben. Der Iran unterdrückt seine Frauen, wo und wann er nur kann. Seit Wochen gehen im Iran Menschen auf die Straße, um für ihre Rechte zu kämpfen. England kann und muss heute seine Solidarität demonstrieren.

Man schimpft häufig und meistens aus gutem Grund über den DFB. Aber diese anstrengenden Tage in Katar zeigen schon jetzt, dass sich im oft gescholtenen DFB ein neuer Sound ausbreitet. DFB-Präsident Bernd Neuendorf verweigerte inzwischen und unüberhörbar dem clownesken Fifa-Präsidenten Gianni Infantino die Gefolgschaft, und das ohne Rücksicht darauf, dass daraus womöglich Nachteile entstehen. So möchte man den DFB doch haben: als Kompass, wo Gut und Böse liegen, unsere Werte. Man muss wohl noch abwarten, ob Neuer seine Haltung in der Bindenfrage beim Gruppenspiel am Mittwoch gegen Japan beibehalten darf. Aber er darf versichert sein: Zu Hause stehen die meisten Deutschen hinter ihm.

Einen farbenfrohen Montag wünscht

Euer Pit Gottschalk

Fan-Flucht zum WM-Auftakt

0:2 gegen Ecuador! Katar liefert historische Niederlage

0:2 gegen Ecuador! Katar liefert historische Niederlage

Katar verliert gegen Ecuador den WM-Auftakt im eigenen Land. Die Fanflucht fällt auf - aber auch weitere Beobachtungen sind bizarr.

Von Andreas Asen und Jonas Wagner

Als für Katar die große Ernüchterung kam, war von WM-Stimmung ganz schnell keine Spur mehr. Das Emirat hat die umstrittenste Endrunde der Fußball-Geschichte mit der ersten Auftaktniederlage eines Gastgebers überhaupt eröffnet. Katar läutete sein Multimilliarden-Projekt nach einer pompösen Show mit einem sportlich schwer enttäuschenden 0:2 gegen Ecuador ein und muss das frühe Aus befürchten.

Das geheimnisvollste Team des Turniers präsentierte sich im am Ende fast menschenleeren Beduinenzelt-Stadion Al-Bayt nördlich von Doha nicht annähernd auf WM-Niveau. Ecuadors Enner Valencia wurde mit zwei Toren zum ersten WM-Star und dämpfte die anfangs durchaus spürbare Euphorie des Asienmeisters von 2019. Zu Zehntausenden verließen die katarischen Fans die Arena weit vor dem Abpfiff.

"Wir haben nicht so angefangen, wie wir es uns vorgestellt haben. Durch das frühe Tor war es sehr schwer, ins Spiel zu kommen", sagte Katars Trainer Felix Sanchez. "Ecuador hat ein super Spiel gemacht und war uns in allen Bereichen überlegen. Wir müssen uns auf das nächste Spiel vorbereiten."

Zuvor hatte es eine andere vielbeachtete Premiere gegeben: Die halbautomatische Abseitserkennung, neues Hilfsmittel für die WM-Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter, führte zur Aberkennung eines früheren Valencia-Treffers in der 3. Minute.

Da jubelten die meisten der 67.372 Zuschauer noch, doch sie sahen ihre Mannschaft überfordert und fahrig. Kaum eine Passfolge gelang, Katar lief ständig hinterher und wusste sich häufig nur mit Fouls zu helfen. Torhüter Saad Al-Sheeb patzte mehrfach. Das zweite Spiel der Gruppe A bestreiten am Montag der Senegal und die Niederlande.

Ecuador als Spielverderber

Ecuador als Spielverderber

Katar verpatzt das Auftaktspiel der Fußball-WM. Gegen Ecuador unterliegen die Gastgeber verdient mit 0:2 – das Stadion ist nach kurzer Zeit halbleer.

Widerstandsfähig wie Knetmasse

Widerstandsfähig wie Knetmasse

Gastgeber Katar genügt beim Eröffnungsspiel gegen Ecuador nicht mal niedrigsten internationalen Ansprüchen. So wie das Publikum auch.

Katar gab den Startschuss für sein politisch akribisch geplantes Schau-Objekt Weltmeisterschaft als Traum aus Tausendundeiner Nacht: mit Kamelen, Trommeln und Säbeltanz, aber auch moderneren Elementen. Durch die Zeremonie führte der US-Oscargewinner Morgan Freeman (85).

Um 19.02 Uhr Ortszeit, nach einer kurzen Rede des Emirs Tamim bin Hamad Al Thani, erfolgte mit dem Anstoß durch Katars Starspieler Almoez Ali der endgültige Beweis, dass mit Geldmitteln im Sport alles zu haben ist. Der Ball rollte, und Gianni Infantino lachte in seinem weißen Ledersessel. Der Fifa-Präsident wünscht sich ein fröhliches Turnier ohne lästige Diskussionen über Menschenrechte oder unwürdige Arbeitsbedingungen.

Darüber war dem Schweizer, der einen Teil seines Lebens nach Doha verlegt hat, in den 4371 Tagen seit der Turniervergabe mehr als genug geredet worden. Doch enorme Fragezeichen bleiben, nicht nur bei den Rechten von Frauen und Personen aus der LGBTIQ-Gemeinschaft. "Willkommen, liebe Freunde!", rief Infantino.

Fünf Jahre hatte die Fifa gebraucht, um festzustellen, dass es im Sommer zu heiß für eine WM gewesen wäre. Elfeinhalb Jahre, um dem Turnier ein richtiges, singuläres Eröffnungsspiel zu geben - und nach 4369 Tagen verkündete Katar ein Bierverbot im Stadion abseits der VIP-Logen.

Aber, tatsächlich, zum Fußball: Katar hatte sich seit Monaten in Europa abgeschottet und eine viel bessere Vorbereitung als alle anderen Nationen genossen - auch, weil alle im Kader in der heimischen Liga spielen. Doch von Klasse war nichts zu sehen. Valencia nutzte die Verwirrung nach einem Torwartfehler zum vermeintlich ersten Turniertreffer, der aber sogleich wegen einer Abseitsstellung zurückgenommen wurde.

Valencia war es dann auch, der elfmeterreif gefoult wurde und selbst lässig verwandelte. Der Stürmer von Fenerbahce Istanbul und nun älteste Torschütze in einem WM-Eröffnungsspiel traf später erneut, ein Comeback der Gastgeber erschien da bereits kaum noch vorstellbar - trotz einer ersten katarischen Großchance von Almoez Ali (45.+5).

Ecuador dominierte auch fortan, mit Piero Hincapie von Bayer Leverkusen in der Abwehr. Katar gelang es hingegen nicht, Druck aufzubauen, wodurch das Spiel in der Wüste arg dahin plätscherte. Das schlug auch auf die Stimmung im Stadion.

Andreas Asen und Jonas Wagner sind Redakteure beim SID.

Willkommen in der Realität, Katar

Willkommen in der Realität, Katar

Mit großen Hoffnungen ging Katar ins WM-Eröffnungsspiel gegen Ecuador. Doch schon früh mussten die Weinroten einen herben Rückschlag hinnehmen.

Heute im Fernsehen

14 Uhr, ZDF: Gruppe B, England - Iran

17 Uhr, ZDF: Gruppe A, Senegal - Niederlande

20 Uhr, ZDF: Gruppe B, USA - Wales

Der TV-Überblick

Hat jeder Sport den Chef, den er verdient?

WM-Gastgeber präsentiert sich als Land, das es nicht ist

WM-Gastgeber präsentiert sich als Land, das es nicht ist

Die umstrittenste WM der Fußball-Geschichte ist mit einer halbstündigen pompösen Eröffnungszeremonie eröffnet worden! Doch es war eine große Lügen-Show.

Von Alex Steudel

Unser Fifa-Boss hat am Samstag sämtliche Register gezogen. Besser wird's nicht mehr. WM-Ausrichter Katar biete armen Immigranten großartige Perspektiven, sagte Gianni Infantino. Und wir Europäer sollten uns erst mal für unsere vergangenen 3000 Jahre entschuldigen. Dann frohlockte der Schweizer vor 400 Journalisten: "Heute fühle ich mich katarisch, heute fühle ich mich arabisch, heute fühle ich mich afrikanisch, heute fühle ich mich schwul, heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Gastarbeiter."

Und ich fühle mich heute verarscht.

Infantino kann froh sein, dass unqualifizierte Komiker in Katar nicht dieselbe Behandlung erfahren wie Homosexuelle. Sonst würden wir ihn bei diesem Turnier womöglich nicht wiedersehen.

Der Mann ist kurios: Die ganze Welt empört sich, jeder normal denkende Mensch schüttelt den Kopf, wenn er spricht. Was die Fifa auch tut, es wird zurecht auseinandergenommen. Wir alle arbeiten uns täglich an Infantino, seinem korrupten Weltverband und der Kommerzialisierung des Fußballs ab. Und am Ende des Tages darf er natürlich weitermachen.

Es steht seit letzter Woche fest, dass Infantino wiedergewählt wird. Beim Fifa-Kongress im März 2023 sind Gegenkandidaten für das Amt des Fifa-Präsidenten nicht etwa Mangelware – es gibt einfach keine. Und die Bewerbungsfrist ist abgelaufen. So funktioniert Demokratie im Fußball.

Der DFB kuscht auch. Präsident Bernd Neuendorf lasse sich bei seiner Menschenrechtsmission nicht einschüchtern und probe den Aufstand gegen den Weltverband, habe ich gelesen. Da musste ich ein bisschen lachen. Der Aufstand des DFB besteht darin, keinen deutschen Gegenkandidaten zu nominieren.

Hat jeder Sport den Chef, den er verdient?

Illustration: Jens Uwe Meyer / bergfest.at

Empören können wir uns in Deutschland super, aber das war's dann auch. Einige Bayern-Spieler haben zum Glück betont, wie unschön sie kürzlich die homophoben Kommentare aus Katar fanden – sie sagten das aber in ihren schicken Qatar-Airways-Trikots. Und es ist eine Frage der Zeit, bis Uli Hoeneß in einem der katarischen Fanvideos als Fahnenträger auftaucht.

Selbst der kleine HSV war sich nicht zu blöd, in einer "Stellungnahme" auf seiner Klub-Homepage den WM-Boykott zu verkünden. Der Traditionszweitligist traut sich diesen mutigen Schritt gegen Katar natürlich nur, weil die Fluggesellschaft Emirates aus dem 300 km entfernten Menschenrechtsparadies VAE als Hauptsponsor abgesprungen ist.

Ach ja, außerdem stand in der HSV-Mitteilung noch folgendes: "Verbindungen von Sponsoren oder Personen aus dem HSV-Umfeld" seien aber "nicht auszuschließen".

So machen wir das hierzulande im Fußball mit Infantino, Katar, Kommerz und Fifa: Größtmögliche Empörung bei nochgrößtmöglicherem Raushalten.

Achtung, das neue Steudel-Buch ist da! Titel: “DIE NÄCHSTE KOLUMNE IST IMMER DIE WICHTIGSTE”, 276 Seiten. Hier bestellen!

Beschämend! Der Fifa-Boss hat nichts verstanden

Beschämend! Der Fifa-Boss hat nichts verstanden

Gianni Infantino sorgt einen Tag vor dem WM-Start in Katar für einen bizarren Moment. Dabei holt der Fifa-Präsident zu einem Rundumschlag gegen Journalisten aus. Absurd!

Was sonst noch so los ist

Absurder Grund

Absurder Grund

Beeinflusst der Kapitänsbinden-Zoff am Ende unsere WM-Chancen? Nach Bild-Informationen geht es nicht nur um Geldstrafen – sondern sogar um mögliche Spieler-Sperren!

Was die Benzema-Verletzung bedeutet

Was die Benzema-Verletzung bedeutet

Durch die Muskelverletzung von Karim Benzema fehlt dem Team von Titelverteidiger Frankreich der beste Stürmer. Für Trainer Didier Deschamps könnte der Ausfall aber auch Vorteile haben.

De Jong rechnet mit Barça-Bossen ab

De Jong rechnet mit Barça-Bossen ab

Eigentlich sollte Frenkie de Jong jetzt im WM-Modus sein, aber sein Klub FC Barcelona verfolgt ihn bis kurz vor Turnier-Beginn in Katar. Jetzt wagte er die Abrechnung.

Alle mal herschauen!

"Wir haben beim BVB in den Abgrund gesehen"

"Wir haben beim BVB in den Abgrund gesehen"

Es war ein emotionaler Abschied vom langjährigen Präsidenten: Nach insgesamt 23 Jahre an der Spitze des BVB trat Reinhard Rauball bei der Wahl für das höchste Amt nicht mehr an. Gleichzeitig stärkte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke Trainer Edin Terzic den Rücken.

Kommentare

Aktuelles