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Das dramatische Karriere-Ende von Ditmar Jakobs

Der Ex-Nationalspieler gehörte zu den solidesten Verteidigern der Bundesliga. Bis sich ein Karabinerhaken in seinen Rücken bohrte

Foto: Imago / Oliver Hardt

Inhaltsverzeichnis

Ditmar Jakobs war einer der soliden Verteidiger, wie sie der deutsche Fußball im vergangenen Jahrhundert noch dutzendfach in die Bundesliga spülte. Als Profi verdingte er sich unter anderem bei TeBe Berlin und den MSV Duisburg, jedes Wochenende Abstiegskampf pur. Seine Einstellung verhalf ihm auf seine alten Tage zum Karrieresprung: Meister und Pokalsieger mit dem HSV, Europacupsieger auch noch – und als Krönung mit Deutschland im WM-Finale 1986.

Der Kaiser höchstselbst stand auf ihn, vielleicht weil er ihn so sehr an Katsche Schwarzenbeck erinnerte. Franz Beckenbauer jedenfalls nahm „Jako“ mit nach Mexiko, wo er nur Reservist sein sollte, dann aber sechs von sieben Partien bestritt. Karriereende im DFB-Trikot nach 20 Einsätzen im WM-Finale gegen Diego Maradona, nur ein Sieg hätte es noch schöner machen können.

Bei seinem HSV spielte er noch weiter und das Ende dort im 405. Pflichtspiel war auch historisch, aber kein schönes. Keines, das man einem Sportler wünscht. Es hat in der Bundesliga viele spektakuläre Verletzungen gegeben, Blut floss aus mancher Platzwunde, Knochen brachen, Kreuzbänder rissen und Oberschenkel wurden aufgeschlitzt. Keine aber hatte langwierigere Folgen als die, die Ditmar Jakobs erlitt. Es geschah an einem Mittwochabend im Volkspark.

Wir schreiben den 20. September 1989, die Bundesliga steckt seit Mitte der Achtziger in einer Krise, volle Stadien sind die Ausnahme. Das gilt sogar für das brisante Nord-Derby, das an jenem Abend nur 14.000 Zuschauer sehen wollen – so wenige wie seit 1970 nicht mehr. HSV gegen Werder Bremen, 1989 ist es ein ganz normales Bundesligaspiel zweier schwach gestarteter Ex-Meister – Sechzehnter gegen Achter. Und doch wird man von diesem Spiel noch lange sprechen. Es wird wohl auch in keinem Rückblick fehlen, wenn die Bundesliga 100 Jahre ist. Wegen einer einzigen gruseligen Szene.

Foto: Imago / Liedel (Kicker)

An diesem Abend endet eine Karriere auf schreckliche Weise. Ditmar Jakobs ist bereits 36 und hätte womöglich zum Saisonende ohnehin aufgehört. Aber seinen 500. Bundesliga-Einsatz hätte der Vize-Weltmeister gern noch gemacht, um dann im Mai im Sonnenschein mit einem Strauß Blumen und freundlichem Beifall von den Rängen abzutreten. Aber es kommt anders.

Es läuft die 14. Minute. Der Bremer Wynton Rufer läuft allein aufs HSV-Tor zu. Torwart Richard Golz wird überlupft, die Werder-Fans wollen schon jubeln – da rauscht Ditmar Jakobs heran. So wie man ihn seit 15 Jahren kennt in der Bundesliga – kompromisslos, resolut und ohne Rücksicht auf Verluste. Jakobs, einer der letzten Ausputzer des Fußballs, schlägt den Ball von der Linie.
Er selbst landet im Tor, vom eigenen Schwung mitgerissen zappelt er im Netz.

Die HSV-Fans applaudieren: eine Großtat des alten Recken. Nun könnte er langsam wieder aufstehen. Aber Jakobs steht nicht auf. Eine teuflische Laune des Schicksals fesselt ihn an den Boden. Ein Karabinerhaken, der das Netz in der Erde hält, ist aufgeschnappt, hat sich vier Zentimeter tief in seinen Rücken gebohrt und gibt ihn nicht mehr her.

„Ich hing irgendwo fest, tastete meinen Rücken ab und fühlte das Tornetz, aber auch kaltes Metall. Unter Schock fühlte ich noch keinen Schmerz“, erinnert sich Jakobs in einem NDR-Interview 20 Jahre später.

1989 liegt Jakobs apathisch am Boden, er wird kurz ohnmächtig. Das Spiel ist unterbrochen, Helfer eilen herbei: Masseur Hermann Rieger und Vereinsarzt Dr. Fielker stehen vor einem Problem, das es noch nie gegeben hat. „Es war sehr schlimm, wir zeigen ihnen nicht alles. Wir verzichten auf Nahaufnahmen“, sagt ZDF-Reporter Rolf Töpperwien am späten Abend den Zuschauern, die die Aufzeichnung sehen. Es ist noch nicht die Zeit der Liveüberragungen von Bundesligaspielen.

Zunächst wird versucht, Jakobs mit der Hand zu befreien. Auch wird das Netz an der Unglücksstelle zerschnitten. 25 Minuten lang ist an Fußball nicht zu denken. Während die Zuschauer noch rätseln, was passiert sein könnte, hat Bremens Trainer-Fuchs Otto Rehhagel den Überblick. Er zeigt seinen Spielern auf der Ersatzbank mit dem Finger an: er hat was im Rücken.

Die Retter greifen derweil zum Äußersten: eine Flex-Maschine wird geholt, um den Haken zu zerschneiden, doch beim ersten Versuch bricht die Scheibe. Jakobs, der wieder zu sich kommt, ist es recht. Denn er fürchtet, das synthetische Trikot könne Feuer fangen. So bittet er Teamarzt Gerold Schwarz, ihn mit einem Skalpell herauszuschneiden. Nach 21 endlosen Minuten gelingt die Befreiung, ein Krankenwagen hält hinter dem Tor.

Unter dem Beifall der geschockten Zuschauer wird er abtransportiert und an der Anzeigetafel steht: „Wir wünschen Ditmar Jakobs gute Besserung!“

Nach Abpfiff des Spiels, bei dem die HSV-Fans vier Tore und einen Sieg bejubeln können, kommt noch eine scheinbar gute Nachricht über das Stadionmikrofon: „Ditmar Jakobs geht es wieder gut“, schallt es um 21.55 Uhr durch den Volkspark.
Es ist ein fataler Irrtum, dem auch Jakobs aufgesessen ist: „In zwei Wochen spiele ich wieder“, verkündet er noch aus dem Krankenhaus. Doch es kommt anders.

Der Schnitt mit dem Skalpell hat irreparable Folgen. Lassen wir Jakobs selbst sprechen: „Bei den weiteren Untersuchungen stellte sich heraus, dass bei der Rettungsaktion mehrere Dornfortsätze der Wirbel abgeschlagen und wichtige Nerven durchtrennt worden waren, drei Zentimeter von der Wirbelsäule entfernt. Eine vollständige Regeneration der Nervenbahnen stellte sich nicht ein, Schmerzen und die gestörte Motorik blieben. Meine Laufbahn war durch den Karabinerhaken plötzlich beendet worden.“

Bis heute hat der danach als selbständiger Versicherungsmakler tätige Jakobs Schmerzen, „doch ich habe gelernt mit ihnen zu leben.“ Weshalb er es auch für überflüssig hält, noch darüber zu reden.

Etwas jedoch hat sich geändert: der HSV verbannt mit jenem Tag die Karabinerhaken aus seinen Toren. Nach einer Umfrage bei allen Bundesligisten befestigt er seine Netze fortan nur noch mit Schnüren. Und so ist es längst fast überall.

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