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Der große Bellheim bei Bayern

Der FC Bayern wird jetzt von Männern geleitet, die zwischen 67 und 71 Jahre alt sind und eigentlich im Ruhestand waren. Lernen kann man trotzdem von ihnen.

Foto: Imago / Future Image

Inhaltsverzeichnis

Guten Morgen, liebe Fußballfreunde!

Karl-Heinz Rummenigge hat Titel und Pokale dutzendweise gewonnen. In der langen Geschichte des FC Bayern war der einstige Weltklasse-Stürmer nur an einem einzigen Gewinn des Europapokals der Meister bzw. der Champions League nicht beteiligt. Das war 1974; er kam erst danach aus Lippstadt.

Er darf also nächstes Jahr auf eine 50 Jahre alte Verbindung zurückschauen, nur unterbrochen von Gastspielen bei Inter Mailand und Servette Genf, bei der ARD als Co-Kommentator und beim Versuch eines Ruhestands. Seit gestern ist er wieder offiziell Funktionär beim FC Bayern - als Mitglied des Aufsichtsrats.

Rummenigge zurück beim FC Bayern: Was das Comeback zur Folge hat
Der frische Wind beim FC Bayern ist erst einmal eingeschlafen. Stattdessen ist die alte Ordnung spätestens mit der offiziellen Rückkehr von Karl-Heinz Rummenigge wiederhergestellt.

Das frühere "Rotbäckchen", wie man ihn nannte, ist jetzt 67 Jahre alt und damit nur unbedeutend jünger als Uli Hoeneß (71). Assistiert werden sie von Herbert Hainer, auch schon 68 Jahre alt und Vorsitzender im Aufsichtsrat. Der mal geplante Generationswechsel mit Oliver Kahn: Hiermit endgültig abgesagt.

Gemeinsam wollen die verkappten Ruheständler, bevor ein neuer Sportvorstand kommt, den Rekordmeister runderneuern, was einfach klingt (alle sind erfahren) und gleichzeitig sauschwer ist: Der Transfermarkt, inzwischen digitalisiert und komplex, funktioniert heute anders als vor Jahrzehnten in Hinterzimmern.

Bayern-Legende Sepp Maier über Chaos & Kahn-Ausraster: “Nicht mehr mein FC Bayern!”
Neben Hasan Salihamidzic ist auch Oliver Kahn dem Bayern-Beben zum Opfer gefallen. Kahns früherer Torwarttrainer Sepp Maier spricht exklusiv bei SPORT1 über die Hintergründe der Entlassung.

Den dreien war ja schon suspekt, dass sich Oliver Kahn mit Beratern umgab, die ihn offenbar auf der Geschäftsstelle abschirmten und ihm Unnahbares verpassten. Was Kahn vorhatte, entsprang seiner BWL-Logik. Hoeneß aber steht für Bauchgefühl; Rummenigge mit seiner Kühle war immer sein Korrektiv.

Sei's drum. Dem FC Hollywood könnte man jetzt viele Filmtitel anhängen. Die FAZ hat's gestern mit "Zurück in die Zukunft" versucht. Mir fiel spontan die TV-Serie "Der Große Bellheim" ein, in der alte weiße Männer eine heruntergekommene Kaufhauskette flottmachen wollen. Der Vergleich passt wie die Faust aufs Auge.

Kahns Schattenmänner beim FC Bayern
Auch einige Tage nach dem Bosse-Beben gibt es weiter Diskussionen um die Entlassung von Oliver Kahn. Was steckte hinter seiner Freistellung?

Irgendwie ist Profifußball ja ein Warenhaus: Spieler werden möglichst günstig eingekauft und möglichst wieder teuer verkauft. Man darf darauf vertrauen, dass Rummenigge und Hoeneß an den Grundsätzen des Geschäfts festhalten, dass eine Mannschaft eben nicht nur aus der Summe von Einzelspielern besteht.

Daran hat's ja ein halbes Jahr lang gemangelt: Die Bayern-Mannschaft bildete keine Einheit, die sich auflehnt, wenn's mies läuft. Rummenigge und Hoeneß werden den Schlendrian jetzt austreiben. Die jüngeren Manager der Liga sollten ganz genau hinschauen - und vielleicht sogar von den Alten filmreif lernen.

Einen verflogenen Mittwoch wünscht

Euer Pit Gottschalk


HSV oder VfB – wer soll es schaffen?

Von Alex Steudel

Kolumnen sind ja selten bis nie objektiv, aber eine gewisse Distanz hat man als Autor dann doch immer zum beschriebenen Thema. Nur diese Kolumne hier bietet keine Objektivität. Sie ist ein Glanzlicht sportjournalistischer Nulldistanz. Schon das Eintippen des ersten Absatzes geht mir an die Knochen, und damit meine ich nicht die in den Fingern. Thema ist die Bundesliga-Relegation, zwei Duelle VfB Stuttgart gegen Hamburger SV am Donnerstag und Montag. Alles oder nichts.

Ich muss gestehen: Ich leide. Weniger unbeteiligt als jetzt geht nicht. Mir ist, als würden Mama und Papa in den UFC-Käfig steigen.

Ich stecke im Dilemma. VfB oder HSV – es kann nur einen geben. Aber welchen bloß? Für mich bedeuten diese beiden Spiele nämlich das Duell Heimat gegen Wahlheimat. Was ist mir wichtiger?

Manchmal fragen mich die Leute: Bist du eigentlich HSV-Fan oder -Hasser? Ein besseres Kompliment wird man als Kolumnist nicht bekommen können. Sagen wir so: Ich lebe seit 20 Jahren in Hamburg und habe mich im Laufe der Zeit an die Unzulänglichkeiten der Rothosen gewöhnt. Wenn einer ständig auf die Nase fällt, dann lache ich gern mit, kriege aber auch irgendwann das Helfersyndrom. Der HSV ist der mir liebgewordene, unfreiwillige Pointenlieferant, der "Doof" aus Laurel und Hardy, immer ein bisschen dusselig seinem Ziel entgegensteuernd.

Der HSV ist aber auch einer, der unbedingt bei den Großen mitmischen will, das aber nicht hinkriegt und deshalb hadert und alles probiert, wirklich alles. Eine Art Fredo Corleone aus The Godfather. Nur wohnt Fredo HSV nicht in Lake Tahoe oder Las Vegas, sondern in einem dieser geschmacklosen Schrebergärten mit 1200 Quadratmeter großer HSV-Flagge, was einerseits total kitschig, andererseits echt ist; echter jedenfalls als St. Pauli Totenkopf-Shirtträger mit Porsche in der Garage.

Relegation: HSV-Coach Tim Walter hat schon einen Plan - WELT
Tim Walter geht mit dem Hamburger SV angriffslustig in die Relegationsspiele gegen den VfB Stuttgart. Um die VfB-Offensive nicht ins Spiel kommen zu lassen, hat er bereits einen Plan.

Der VfB Stuttgart wiederum ist meine erste Liebe. Erstes vor Ort miterlebtes Bundesligaspiel. Erster Schal, von Oma in Griechenland gestrickt, heißersehnt und endlich per Paket geliefert, was ewig lang dauerte; vielleicht auch, weil die Zusteller damals noch in erster Reihe parkten. Viele Erinnerungen also.

Zum Beispiel daran, dass früher immer alle sagten, ich sehe aus wie Hansi Müller, was mich ganz stolz machte. Erinnerung an Herumhüpfen vor Aufregung auf dem aufklappbaren Jugendbett, während das Radio "Heute im Stadion" spielt. An das Erschrecken über mich selbst, nachdem mir die erste obszöne Beschimpfung eines Schiedsrichters über die jungen Lippen gegangen war. War das gerade wirklich ich? Das also macht Fußball aus einem.

Schöne Erinnerungen an die noch unschuldige Fußballwelt, die nur gestört wurde vom Wechsel des legendären Schwabenpfeils Dieter Hoeneß zum FC Bayern.

"Hoeneß geht nach Daglfing, Hoeneß wird jetzt Traberking!", sang im D-Block des Neckarstadions ein sternhagelvoller Fan mit Minipli-Locken und in Jeanskutte, stampfte dabei mit zwei Bierbechern in Händen an mir vorüber. Das war 1979 und machte mir klar, dass komische Menschen nicht nur auf dem Campingplatz im Sommerurlaub vorkommen.

Kurios, dass jetzt ausgerechnet Hoeneß junior, der Sebastian, damals noch nicht mal geboren, als VfB-Trainer den rotweißen Kopf aus dem Ligaschafott ziehen soll.

VfB gegen HSV. Bin ich unbefangen? Null! Bin ich neutral? Sowas von nicht.

Illustration: Jens Uwe Meyer / bergfest.at

Aber für wen soll ich sein? Ich weiß es nicht. Ich finde zum Beispiel, dass der HSV seine Strafe abgesessen hat. Fünf Jahre Einsamkeit für einen Haufen Fehlentscheidungen und einen Berg Schulden und einen Lasogga müssen genug sein. Sogar Uli Hoeneß durfte früher raus. Aber Bewährung gibt es im Fußball halt nicht und auch keinen Freigang. Du kannst nicht testweise tagsüber in der ersten Liga spielen und abends zurück in die zweite müssen.

Ich finde beruhigend, dass der völlig irr wirkende HSV-Trainer Tim Walter angeblich gar nicht irr ist. Also Augenzeugenberichten zufolge, ich selbst trau' mich nicht in seine Nähe. Ich mag, dass der HSV endlich jungen Spielern aus Hamburg vertraut. Aber ich gönne den Fans des VfB den Klassenverbleib, weil sie leidenschaftlicher und lauter und treuer sind, als man sich das vorstellen kann.

"D'r Vau-Äff-Beeeeeh" – immer mit schwäbisch-saulangem "eeeeeh" ausgeprochen –, ist einfach viel zu tief verwurzelt in der Stadt, ist einfach zu Stuttgart, um einfach so absteigen zu dürfen. Selbst ich als spätberufener Stuttgarter-Kickers-Fan räume das ein.

Fakten? 66 Punkte hat der HSV diese Saison gesammelt, dafür gibt es in vier von fünf Zweitligaspielzeiten sofort den Passierschein. Der HSV spielt ansehnlichen Fußball, wenn auch unter Nichtberücksichtigung des Begriffs Abwehr. Der VfB war schon verloren, Platz 18 im April, und dann immer diese grandiosen Last-Minute-Tore. Wilde, junge, topmotivierte Spieler, die Weltklassefußball zeigen würden, wenn ihnen nicht dauernd der Ball verspränge.

Der VfB hat Jahreswechselkampfbriefe und interne Verdrängungswettbewerbe weggesteckt und sich ganz schön beeindruckend zurückgekämpft. Der VfB ist Mercedes-Stern und im Hintergrund Weinberge. Der HSV ist, ja, was ist er eigentlich?

Podcast zum VfB Stuttgart: Alles zur Relegation gegen den Hamburger SV
Der Podcast unserer Redaktion beschäftigt sich wöchentlich mit der aktuellen Situation beim VfB Stuttgart. In der 247. Folge blicken wir auf alle wichtigen Themen rund um die Weiß-Roten aus Bad Cannstatt.

Der HSV kann aber auch Rückschläge wegstecken, zum Beispiel Klaus-Michael Kühne. Der HSV hat am Sonntag mitten in den Aufstiegsfeierlichkeiten das irre späte und entscheidende Heidenheimer Tor hinnehmen müssen, gefühlt fiel es in der ersten Minute des ersten Spieltags der Saison 2023/24. Das muss man erstmal verdauen.

Der VfB ist Drittletzter, der HSV ist Dritter, aber Zweiter der Herzen. 53.529 Zuschauer kamen im Schnitt zu den Heimspielen. Das sind mehr als in Wolfsburg und Bochum zusammen. In der ganzen ersten Liga hatten nur vier Klubs besseren Besuch. Ist das nicht toll?

Was möchte ich, wer soll es schaffen? Machen wir uns nichts vor: Verdient haben es beide total. Und ich werde mich nicht freuen können, egal wie's ausgeht.

Aber wie geht's aus? In meiner privaten, 37-köpfigen Tippspielgruppe bin ich diese Saison erstmals ganz oben gelandet, aber auf einem geteilten ersten Platz nur. Das Tippkomitee hat am Montag entschieden, dass wir, die beiden Erstplatzierten, nun suddendeathmäßig in die Relegation, also sie tippen müssen.

Ausgerechnet Stuttgart-Hamburg, dachte ich und tippte sofort los, schnell-schnell, ehe die Emotionen kommen, ohne großes Analysieren, denn das ergibt nach meiner Erfahrung die besten Tipps. Heraus kam: der VfB. Gewinnt Spiel eins 2:1 und dann auch die Relegation. Würde mich das glücklich machen? Nein.

Wie sagte ManU-Legende Alex Ferguson einst so schön? "Football, bloody hell!"

Steudel-Kolumnen gibt es auch als Buch! Titel: "Die nächste Kolumne ist immer die wichtigste". 276 Seiten, 14,95 Euro. Wer's sofort will: Hier bestellen! Wer fürs gleiche Geld ein signiertes Exemplar bevorzugt: Mail an post@alexsteudel.de.


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