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Unvergessen: Die Daum-Affäre 2000

Vor 23 Jahren ging eines der größten Dramen der Fußballgeschichte über die Bühne – Hauptdarsteller: Christoph Daum und Uli Hoeneß. Ein Blick zurück

Foto: Sky

Inhaltsverzeichnis

Wer sich die Doku über das bewegte Leben von Christoph Daum reinzieht und noch nicht alt genug ist, um zu wissen, was vor 23 Jahren geschah, kann die ungeheure Aufregung um die Kokain-Affäre niemals nachvollziehen. Ich bin alt genug und arbeitete im Herbst 2000 für die Welt. Es waren die spannendsten Tage meines Journalistenlebens, auch wenn wir von Berlin aus nicht so nah dran waren – man konnte sich dem Drama, das da zwischen den Polen Leverkusen und München abspielte, kaum entziehen. Hinein in die Saison 2000/01, aber nicht auf den Fußballplatz.

Bereits nach der Vorrunde war sicher, dass diese Saison, die mit einem grandiosen Finale um den Titel zwischen Bayern (Meister) und Schalke (Meister der Herzen) endete, zu allen Jubiläen wieder aus der Schublade gezogen werden würde. Zunächst aus einem unerfreulichen Anlass. Es waren triste Herbst-Tage für den deutschen Fußball, der Schlagzeilen machte, die es in die Hauptnachrichten schafften.

Nach zwölf Jahren erlebte das Duell Uli Hoeneß/Christoph Daum eine Neuauflage, aber diesmal nicht im ZDF-Sportstudio. Denn diesmal ging es nicht um Psychospielchen im Titelkampf. Der damalige Bayern-Manager Hoeneß hatte in einer Interview-Antwort (in der AZ München vom 2. 10. 2000) voller Konjunktive die Befähigung Daums als künftigem Bundestrainer angezweifelt.

Die Zeitung hatte am 26. September das Thema mit Spekulationen über Daums Drogenkonsum angeschoben, Hoeneß war darauf am 30. September eingegangen („Muss überdacht werden“), nun stellte er sich Reporter Bernd Hildebrandt zum Gespräch. Man muss wissen: Daum war nach dem Übergangsjahr mit Rudi Völler, zugleich sein Sportchef in Leverkusen als Bundestrainer ab Juli 2001 vorgesehen. Dagegen gab es Vorbehalte, Daum führte nicht gerade das Leben eines Klosterschülers. Darauf spielte Hoeneß in seiner Antwort an:

„Es geht darum, was sich in den letzten sechs Monaten ereignet hat um Herrn Daum. Um sein privates Umfeld, seine Werbeverträge, um Erpressungsversuche und Prostitution, wovon er ja selber gesprochen hat, um all die Scheiße geht es, um seine Außendarstellung und um die Frage, ob das alles dazu geeignet ist, der oberste Trainer in einem Land wie Deutschland zu sein“, so Hoeneß in der „AZ“. Den größten Wirbel entfachte Hoeneß mit der Aussage: „Wenn das alles Fakt ist, worüber geschrieben wurde, auch unwidersprochen über den verschnupften Daum, dann kann er nicht Bundestrainer werden."

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Nahm Leverkusens Trainer wirklich Kokain? Hoeneß hatte das nicht behauptet, nur auf eine Frage geantwortet. Hoeneß weiter: „Der DFB kann doch keine Aktion wie ‚Keine Macht den Drogen‘ starten, und Herr Daum hat vielleicht etwas damit zu tun.“ Das Interview schlug hohe Wellen, es waren die ersten Tage des Internets, und jeder konnte alles erfahren, wenn er nur wollte.

Schnell wurde der ewig polarisierende Bayern-Manager zum Buhmann. Wie konnte er nur so etwas andeuten? Wo waren die Beweise? Wollte da nicht einer mit seinem Erzfeind abrechnen und nebenbei Unruhe bei einem Titelkonkurrenten steiften. So dachten die Gegner von Hoeneß, die in der Regel auch Bayern-Gegner waren – und das waren viele. Selbst Bayern-Präsident Franz Beckenbauer sagte: „Mit seiner Meinung steht Uli im Moment alleine.“

Daum schaltete einen Anwalt ein, kündigte Strafanzeige wegen Verleumdung und übler Nachrede an. Hoeneß erhielt Morddrohungen und brauchte beim nächsten Auswärtsspiel in Cottbus Bodyguards. Bayern-Vize Fritz Scherer sprang Uli am 5. Oktober zur Seite und forderte von Daum eine Haarprobe, um das Thema aus der Welt zu schaffen.

Daum lehnte zunächst ab und beteuerte: „Drogen waren, sind und werden nie ein Thema für mich sein.“ Für Hoeneß brachen die schlimmsten Tage seines Lebens an, wie er mal sagte – das war aber vor seiner Steueraffäre.

Dann ging der Manager in die Offensive, wehrte sich am 7. Oktober in der Bild: „Es werden sich noch viele Leute bei mir entschuldigen müssen.“ Am nächsten Tag unterzog sich der offenbar siegessichere Daum dann doch im gerichtsmedizinischen Institut von Köln einer Haaranalyse und erklärte im Anschluss auf einer PK: „Ich tue das, weil ich ein absolut reines Gewissen habe.“ Es ist einer der meistzitierten Sätze aus seinem Munde, denn er wird Bedeutung erlangen.

Am 10. Oktober gibt nun Hoeneß eine PK und droht alle zu verklagen, die ihn falsch zitieren. Er habe nie gesagt, dass Daum kokse und nur aufgezeigt, was wäre, wenn …

Die Nation wartete auf das Testergebnis, die Stimmung blieb explosiv, und wir machten jeden Tag mit einer Daum/Hoeneß-Story auf. Am 13. Oktober hatte der DFB einen Friedensgipfel angesetzt, Daum ließ ihn platzen. Am 15. Oktober stellte sich DFB-Vize Gerhard Mayer-Vorfelder hinter Daum und betonte, der Handschlagvertrag bleibe gültig. Der nächste Bundestrainer werde Christoph Daum.

Die öffentliche Erregung flaute deshalb nicht ab, und man sah Ulis Bruder Dieter, damals Manager bei Hertha BSC, plötzlich abends bei Sabine Christiansen in der ARD-Talkshow zum Thema „Wird Rufmord gesellschaftsfähig?“ sitzen und seinen Bruder verteidigen. Wer es sah, bekam eine Gänsehaut. Es war ein wahres Zeugnis für Bruderliebe und Zivilcourage, denn noch immer war Uli Hoeneß der Böse.

Bis zum 20. Oktober, als die Bombe platzte. Das Ergebnis der Haarprobe traf ein und attestierte Daum einen exorbitant hohen Kokain-Wert. Er hatte sich selbst zu Fall gebracht.

Sofort trat der Vorstand zusammen an jenem Freitagabend. Mitten in der Besprechung fand sich ein Störenfried ein: meine Wenigkeit. Ich hatte an jenem Abend Spätdienst und keine Ahnung, was da gerade vor sich ging. Mich interessierte nur, ob der Spieler Zecke Neuendorf, über den wir eine Geschichte in der Samstagsausgabe hatten, auch spielen würde. Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser ging also ans Telefon, beantwortete meine Frage und war wohl froh, dass ich keine zu Daum stellte. Noch heute grämt es mich, die Welt hätte mit etwas Glück zuerst von der Sensation berichten können.

So aber bekam Daum noch ein paar Stunden Vorsprung, seine sieben Sachen zu packen und fluchtartig das Land zu verlassen. Er bestieg den nächsten Flieger nach Florida, völlig verstört über das Ergebnis, das er bis heute anzweifelt, wenn auch nicht den gelegentlichen Konsum. Daum erzählte noch 2016: „Ich war geschockt und sagte mir immer wieder: ‚Das kann nicht stimmen. Das kann nicht stimmen.‘“

Sein Verein hatte weniger Zweifel. Am 21. Oktober, einem Bundesliga-Samstag, informierte Bayer die Öffentlichkeit im Rahmen einer PK. Ich werde die Erregung nie vergessen, die diese News bei mir auslöste, die mich im Wohnzimmer erreichte. Was jetzt? Wir hatten ja alle frei, Sportchef Pit Gottschalk bekam von mir einen Anruf und orderte sofort an, dass ein Volontär zum Haus von Daum fahren solle, und falls der Vogel ausgeflogen sei, möge er gefälligst hinterherfliegen. So waren wir drauf, damals beim angeblich größten Skandal der Bundesligageschichte. Das habe ich zwar nie geteilt, die Manipulationen 1971 waren viel schlimmer. Da ging es um sportlichen Betrug, an dem Dutzende Spieler und Vereinsvertreter beteiligt gewesen waren, und die letzte Prozessakte wurde nach sieben Jahren geschlossen.

Hier ging es um die Verfehlungen eines Einzelnen, der seine Vorbildfunktion verletzt und ein Hassduell gegen einen Feind verloren hatte. Aber es war ein neues Medienzeitalter, und wir hatten, so ehrlich muss man sein, viel Freude an der Begleitung des Showdowns zwischen zwei Alphatieren der Liga und dann an der Aufdeckung von Daums Fehltritten. Plötzlich meldeten sich nämlich die Denunzianten aus allen Ecken und Enden des Fußballlandes, manche auch aus der Unterwelt, die für ihre Informationen über den koksenden Daum Geld wollten. Wir zumindest haben nie etwas gezahlt.

Nun war Daum derjenige, der vor laufenden Kameras demontiert wurde. Was würde er dazu sagen? Der Bild-Zeitung gelang es zuerst, ihn in Florida ausfindig zu machen, ein Geständnis bekam sie aber nicht.

Wie ging es weiter?

Daum zweifelte das Ergebnis an und wollte es „mit einer zweiten Probe widerlegen“. Der DFB wartete das nicht ab und erklärte den Handschlagvertrag mit Daum für „gegenstandslos“. Es entstand das Bonmot: Um ein Haar wäre er Bundestrainer geworden. Dann war ein bisschen Ruhe, und wir konnten wieder über Fußball schreiben.

Bis zum 12. Januar. Da kam Daum aus der Versenkung zurück und gab eine PK, gestand ein, gelogen zu haben („Das war Mist“), aber das Lächeln wollte nicht aus seinem Gesicht schwinden. Es war ein skurriler Auftritt des tief Gestürzten. Uli Hoeneß sagte: „Da fehlt mir die Reue“. Wie schön zu sehen, dass das jetzt, wo beide weit Schlimmeres erlebt haben und noch erleben, keine Rolle mehr spielt.

  • Fun fact 1: Bayer Leverkusen blieb unter Interims-Trainer Völler, der zugleich Bundestrainer war, in den ersten sieben Spielen nach Daum ungeschlagen (fünf Siege).
  • Fun fact 2: Vor dem Landgericht Koblenz wurde das Verfahren gegen Daum im Mai 2002 nach 30 Verhandlungstagen gegen eine Strafe von 10.000 DM eingestellt. Für den 51-fachen illegalen Erwerb von Kokain gab es keine Beweise.

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