Bundesliga: Nerven liegen blank


Guten Morgen, liebe Fußballfreunde!
Wenn Bayern München nicht schleunigst die Kurve kratzt, endet diese Saison in einem Unfall. Die Floskel "Kurve kratzen" bedeutet in diesem Fall: dass die Mannschaft ihren Anspruch, den man aus dem Marktwert von gut einer Milliarde Euro ableiten kann, auch erfüllt. Die elfte Meisterschaft in Folge ist da nicht genug.
Richtig geschlussfolgert: Wir reden über die Champions League, nachdem das Aus im DFB-Pokal den Einstand von Trainer Thomas Tuchel getrübt hat. Niemand erwartet, dass Bayern München die Scheichkicker von Manchester City in Hin- und Rückspiel an die Wand zaubert. Aber das Wie definiert das künftige Klima.
Der Vorstandsboss Oliver Kahn und sein Sportvorstand Hasan Salihamidzic sind mit der Abkehr von Trainer Julian Nagelsmann maximales Risiko eingegangen. Nicht weil sie einen branchenüblichen Trainerwechsel vollzogen haben - sondern weil sie alles, was heute auf dem Rasen steht, Nagelsmann ermöglicht hatten.
Also: keinen Mittelstürmer in der Qualität von Robert Lewandowski, keine Konkurrenzsituation zu Joshua Kimmich, keine Loyalität zu Kapitän Manuel Neuer, kein Fingerspitzengefühl bei der Kaderpflege. Am Ende lasteten sie die ständigen Formdellen dem Trainer an, den sie selbst installiert hatten.

Nagelsmann wird immer und mit Recht behaupten können, dass er diese Saison in der Champions League brilliert hat: acht Siege in Folge, zu Null sogar gegen Inter Mailand, FC Barcelona und Paris Saint-Germain. Taktisch war seinen Gegnern voraus. Die Mannschaft zeigte, was er wollte.
Aber wenn stimmt, dass die Bayern-Bosse vom besten Kader ever sprechen, dann bedeutet das im Umkehrschluss, dass sie ein Scheitern im Viertelfinale der Champions League auf ihre eigene Kappe nehmen müssen. An Nagelsmann-Nachfolger Tuchel liegt's nicht: Er muss ausbaden, was ihm vorgesetzt wurde.
Ein Ausscheiden gegen einen Klub, der jedes Financial Fairplay mit Füßen tritt, ist trotzdem nicht ausgeschlossen. Die Abteilung Attacke um Erling Haaland ist von der bajuwarischen Wackelabwehr kaum zu stoppen. Was man sehen will: dass man sich mit Haut und Haaren dagegen wehrt.
Jedes Aufbäumen würde zwar nicht über ein Aus hinwegtrösten, aber wäre dann doch ein gutes Zeichen, dass noch Leben in der Truppe herrscht und Thomas Tuchel aus der Biomasse ein lebendiges System formen kann. Auch Kahn und Salihamidzic haben ein Recht auf ihre zweite Chance beim FC Bayern.
Einen hochtrabenden Dienstag wünscht
Euer Pit Gottschalk
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Bundesliga: Die Nerven liegen blank
Von Ralph Durry
Drei Gewinner und drei Verlierer - der 27. Spieltag der Fußball-Bundesliga hat die Situation im Abstiegskampf deutlich entzerrt. Tabellenschlusslicht Schalke 04 verlor das richtungweisende Spiel bei der TSG Hoffenheim mit 0:2, der Rückstand auf das rettende Ufer beträgt fünf Punkte. Am Freitag gibt es für Königsblau das Abstiegs-"Endspiel" gegen den Vorletzten Hertha BSC.
Die Berliner wiederum verloren das Heimspiel gegen Champions-League-Aspirant RB Leipzig (0:1) und haderten mit Schiedsrichter Deniz Aytekin, der das Siegtor der Sachsen nach quälend langen Minuten des Videobeweises anerkannt hatte. Im Übrigen völlig zu Recht - auch wenn sich Hertha-Coach Sandro Schwarz noch so echauffierte.
Der VfL Bochum verlor wie Schalke ein Sechs-Punkte-Spiel gegen den VfB Stuttgart (2:3) und rangiert nur noch drei Zähler vor den Schwaben, die Relegationsplatz 16 belegen. Dass VfL-Keeper Manuel Riemann mit einem Fan aneinandergeriet, sich beide Stirn an Stirn auf der Tribüne gegenüberstanden und ein heftiges Wortgefecht nach dem Abpfiff lieferten, gehörte zu den unschönen Begleiterscheinungen. Die Nerven liegen blank - bei einigen Klubs.


Erstaunlich ist, dass der VfB nach dem Trainerwechsel von Bruno Labbadia zu Sebastian Hoeneß innerhalb von vier Tagen zwei wichtige Siege - einmal im DFB-Pokal, einmal in der Bundesliga - feierte. Der vierte Trainer in dieser Saison scheint innerhalb kurzer Zeit die richtigen Stellschrauben gedreht zu haben. Immerhin 16 Monate hatten die Stuttgarter auf einen Auswärtssieg warten müssen.
In Hoffenheim hat Coach Pellegrino Matarazzo das Ruder offensichtlich mit drei Siegen in Folge herumgerissen. Ein erstaunlicher Umschwung, denn schließlich stand der Fußballlehrer fast schon vor der Ablösung im Kraichgau, ehe er mit einer nicht mehr für möglich gehaltenen Erfolgsserie seine Mannschaft deutlich von der Abstiegszone entfernte.
Der Abstand zu Relegationsplatz 16 beträgt fünf Zähler. Noch kein Ruhekissen, aber immerhin ein deutlicher Fingerzeig, dass wohl auch 2023/24 Erstliga-Fußball in Sinsheim geboten wird.
Auf Schalke hingegen hängt unglaublich viel von einem dringend benötigten Heimsieg gegen Hertha am Freitag ab. Schon einmal schienen die Knappen abgeschlagen, schafften aber mit einer Positivserie, die Lücke zu den ebenfalls abstiegsbedrohten Teams zu schließen. Die S04-Fans glauben jedenfalls nach vor fest an die Rettung - möglicherweise ein Faustpfand auf der Zielgeraden der Saison.
Ralph Durry ist Fußballchef beim Sport-Informationsdienst (SID)
Heute im Fernsehen
20.15 Uhr, SPORT1: Fantalk
21 Uhr, Amazon Prime: Manchester City - Bayern München
21 Uhr, DAZN: Benfica Lissabon - Inter Mailand



Hertha BSC: Nibelungentreue bis zum Abstieg?
Von Tobias Holtkamp
Am Ende einer langen Saison, da sind sich glücklicherweise alle einig, gibt es keinen unverdienten Sieger. Wer dann oben steht, der gehört da auch hin.
Und wer es bis zum Ende nicht geschafft hat, den Sumpf ganz unten zu verlassen, den zieht es auch völlig zurecht runter.
Besonders bitter ist das natürlich, wenn du dich eigentlich viel weiter nach oben geträumt hast und über einen Kader verfügst, in dem nicht nur einige wirklich teure, sondern auch bei anderen Vereinen sehr begehrte Spieler stehen. Zum Zeitpunkt ihrer Verpflichtung, versteht sich.
Bei Hertha BSC, so hart das klingen mag, hat sich in den vergangenen Jahren fast jeder Neuzugang herabgewirtschaftet. Vermeintliche Stars, die mal 25 Millionen Euro wert waren (Quelle transfermarkt.de), kommen zurzeit nicht mal mehr auf die Hälfte.
Von den aktuell fünf schwächsten Klubs der Liga hat nur Hertha noch den Trainer vom Saisonstart. Sie glauben an Sandro Schwarz, er war der Wunschkandidat des längst beurlaubten Ex-Geschäftsführers Fredi Bobic.
Hertha-Präsident Kay Bernstein möchte nach Jahren des Hin und Hers zumindest auf der Trainerposition Kontinuität und zeigen, dass "sein" Hertha anders ist. Auch dann, wenn die Mannschaft unter ihren Möglichkeiten bleibt.

Sky-Experte Didi Hamann sah Hertha, wie viele in der Branche, in dieser Saison auf einem gesicherten Mittelfeldplatz. Er tippte das Schwarz-Team in seiner Abschlusstabelle auf den 9. Platz.
Doch auch wenn Trainer und Mannschaft nun schon relativ lange miteinander arbeiten: es geht, gemessen am Ertrag, nicht voran! In der Rückrundentabelle, nach einer extralangen Winterpause, ist Hertha ebenso Vorletzter wie im Gesamtklassement.
Dem Januar-Trainingslager in Florida unter "Top-Bedingungen" (Schwarz) folgten direkt vier Niederlagen, mit einem erschreckenden Torverhältnis von 1:13.
Was heißt das nun alles und wo führt es hin? Vielleicht, man könnte es ja meinen, ist Sandro Schwarz einfach völlig überfordert in Berlin - eben so, wie er es am Wochenende dem erfahrenen Bundesliga-Schiedsrichter Deniz Aytekin vorwarf (obwohl der ganz korrekt entschied).
Vielleicht ist Hertha, die Hauptstadt, die vielen Wechsel in der Chefetage und sogar beim Investor, alles während der laufenden Saison, ja, vielleicht ist das alles zu viel für ihn.
Schwarz kam von Dynamo Moskau zur Hertha. Nach einer Niederlagenserie an den letzten Spieltagen hatte Dynamo die Saison als Dritter beendet. Zuvor war Schwarz in Mainz, coachte die U19, die U23 und später die Profis. Im November 2019 wurde er freigestellt, die Mainzer Mannschaft hatte aus den ersten elf Spielen nur neun Punkte geholt.
Freitagabend spielt Hertha auf Schalke, beim Letzten. Die große Chance, eben auch für Schwarz, einen extrem wichtigen Schritt zu machen. Das Potenzial abzurufen. Es wird dringend Zeit.
Was sonst so los ist
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Alle mal herhören!

Spannender Titelkampf, Dramatik im Abstiegskampf! In der neuen Folge des Podcasts "Basler ballert" mit Mario Basler und Oliver Dütschke gibt es wieder den Rück- und Ausblick! Diesmal gibt es aber auch eine Gesellschaftskritik: "In Deutschland gibt es eine so große Neidgesellschaft! Wir wollen doch hier gar keine richtigen Typen mehr!"" Es gibt in der Fußball-Bundesliga nach diesem Wochenende zwei Spieler, über die man spricht. Zum einen Joshua Kimmich, der nach dem Spiel seines FC Bayern beim SC Freiburg jubelnd vor der Gästekurve posiert: "Kimmich hat doch gar nichts gemacht! Diese Emotionen gehören doch zum Fußball dazu!" Zum anderen stand Torwart Manuel Riemann vom VfL Bochum im Mittelpunkt. Der Keeper wurde von den eigenen Fans beleidigt und nahm sich diese dann nach dem Spiel vor: "Wenn Du die ganze Zeit beleidigt wirst, mit Bier beschüttest wirst, dann darf man auch so reagieren. Die Fußballer müssen sich nicht alles gefallen lassen!" Im Abstiegskampf der Bundesliga setzt Mario nach wie vor auf die Hertha: "Die Berliner haben da unten die beste Mannschaft. Aber am Freitag auf Schalke müssen sie kratzen und beißen."
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