Beim Video-Schiri ist der Tiefpunkt erreicht – es kann nur eine Lösung geben

Gegen Widerstände verteidigen die Schiedsrichter den Video-Assistant-Referee und übersehen dabei: Der VAR macht sie an der Pfeife nicht besser. Schlimmer noch: Man ignoriert den Reformwillen, den die Fans einfordern. Dabei hat der Kompromiss sogar einen Namen: Challenge

|13. November 2025|
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IMAGO/Michael Weber

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Als ich kürzlich in Hamburg-Eppendorf eine Abkürzung nehmen wollte, vertraute ich dem Navigationsgerät im Auto blind – und landete in einer Sackgasse. Vor mir lag eine Baustelle. Wäre mein siebter Sinn geschärft gewesen, hätte ich die Warnhinweise rechtzeitig und richtig gedeutet: der kleine Stau an der Martinistraße, das Straßenschild mit dem Bauarbeiter, die Meckerei meiner Nachbarn. Die Technik aber schaltete meinen Instinkt aus. Ich habe falsch entschieden.

Man ahnt vielleicht schon, worauf ich hinaus will: auf unsere Schiedsrichter und ihren Video-Assistant-Referee, kurz „VAR“. Ihnen geht es ähnlich: Sie vertrauen der Technik im Kölner Keller, die jede Spielszene mit Dutzenden von TV-Kameras seziert, und vernachlässigen ihre eigene Perspektive und Erfahrung aus Hunderten von Fußballspielen. Ich höre schon ihren Aufschrei: Das stimmt doch gar nicht! Der VAR ist nur eine Hilfe! Doch ihre Behauptung ist einfach falsch.

Wenn zum Thema Videobeweis ein Bundesliga-Trainer (Lukas Kwasniok vom 1. FC Köln) in aller Öffentlichkeit „Ich hasse ihn!“ ruft und der Kommentator des sonst braven Fachmagazins Kicker einstimmt („Ich auch!“), dann lässt sich jede Kritik am VAR nicht mit dem üblichen Schiedsrichter-Getue wegbügeln. Nach der Hassrede des Kölner Trainers ist der Tiefpunkt erreicht: Der VAR mutiert zum Rohrkrepierer. Das klingt hart, aber ist das Resultat von acht Jahren VAR-Erfahrung.

Die Schwächen beim Videobeweis

Wir wollen jetzt nicht davon anfangen, dass der Videobeweis jeden Torjubel beim Luftholen abklemmt, weil man erst die Überprüfung abwarten muss, ob ein Zehnagel zu steil Richtung Abseitslinie neigte. Und auch nicht, dass die Personal- und Technikkosten inzwischen Millionen betragen und das Geld besser in der Jugendförderung aufgehoben wäre. Es geht schlicht um die Arbeit und das Ansehen der besten deutschen Schiedsrichter: Ihr Ruf ist längst ramponiert.

Mein Kicker-Kollege Matthias Dersch hat völlig recht mit seiner Kritik: Wenn ein Top-Schiri wie zuletzt Deniz Aytekin zehn Minuten in der Interviewzone stehen muss, um zu erklären, wie sein Zusammenspiel mit dem Video-Assistenten gescheitert ist und trotzdem perfekt läuft, ist die Perversion des Fußballs sichtbar. Dann wird plötzlich der Schiedsrichter zum Hauptdarsteller. Wollen wir das? Sicher nicht. Es ist ein Irrglaube, dass der VAR Schiedsrichter besser macht.

Im Gegenteil. Wir mussten in den beiden ersten DFB-Pokalrunden, als kein Videobeweis erlaubt war, nüchtern feststellen: Beim jahrelangen Vertrauen auf Video-Schiris in Köln, die sich per Funk einschalten, wenn sie einen Regelverstoß entdecken, verkümmerte bei den Schiedsrichtern das undefinierbare Bauchgefühl, was in Situationen auf dem Spielfeld passiert. Das war wie jetzt Autofahren ohne Navigationsgerät: Plötzlich ist man aufgeschmissen, manche überfordert.

Schiedsrichter sind Menschen – und machen Fehler

Ja, auch in der alten Fußballwelt ohne Videobeweis passierten Fehler. Aber die waren menschlich und deswegen nachvollziehbar. Nun gaukelt die Technik eine Gerechtigkeit vor, die es nicht gibt: Alle strittigen Fälle sind zu unterschiedlich, um sie allein auf Grundlage des Regelwerk eine absolut korrekt Entscheidung herbeizuführen. Bei Abseits und Torlinie mag das noch funktionieren. Aber schon beim Handspiel kommen wir vom Hundertstel ins Tausendstel. 

Woche für Woche diskutieren wir jetzt, warum der Video-Schiri da eingreift oder dort nicht, wann der Schiedsrichter zum Monitor am Spielfeld zu laufen hat oder nicht, wie viel Einfluss der Kölner Keller nehmen darf, ob also die Schiri-Entscheidung „krass“ falsch oder nur „wenig“… Schon die Auflistung macht mich kirre, weil wir alle zu viele Szenen im Kopf haben, die ähnlich aussahen und trotz Videobeweis unterschiedlich interpretiert wurden. Gefühlt sank die Fehlerquote nie.

Darum ist die Frage berechtigt, die Ex-Profi Didi Hamann stellt: Wiegt das, was wir durch den Videobeweis gewinnen, alles auf, was wir durch ihn beim Fußball verlieren? Zweifel sind angebracht. Kwasnioks Hassrede auf den Videobeweis sollte die Schiedsrichter nicht zu den üblichen Verteidigungsreden verführen, sondern zum Undenkbaren: Vielleicht ist ihr Videobeweis nicht so erfolgreich, wie sie immer geglaubt haben. Zumindest: nicht so, wie sie ihn handhaben.

Fans wollen keine Abschaffung, sondern VAR-Reform

Es ist ja nicht so, dass die Mehrheit der Fußballfans den Videobeweis ablehnt, das tun nur 29,8 Prozent ganz grundsätzlich, wie das Bundesliga-Barometer in einer repräsentativen Umfrage herausfand. 73,6 Prozent wollen nicht die Abschaffung, sondern eine Reform. Und die Lösung, die ich mir zurechtgelegt habe, hat sogar einen Namen: „Challenge“. Das ist keine Erfindung von mir, sondern gängige Praxis in Weltsportarten wie Tennis, Handball oder American Football.

Meint ein Trainer, dass eine Schiri-Entscheidung falsch, dann darf er den Videobeweis verlangen. Und nur dann kommt die Technik ins Spiel: Der Schiedsrichter überprüft sein Urteil. Es mag unangenehm sein, wenn er überführt wird. Aber peinlicher als die Intervention aus dem Kölner Keller kann die Auseinandersetzung zwischen Sportsleuten auf dem Rasen nicht sein. Der Trainer kann ja genauso im Unrecht sein. Vor allem hätte diese Lösung schöne Nebeneffekte.

Der eine: Die meiste Zeit könnte der Schiedsrichter sich auf sein Können konzentrieren, müsste – siehe oben – den Instinkt einschalten; die Chance auf eine Challenge ist normalerweise auf zwei pro Halbzeit begrenzt. Der andere: Wenn ein Fehler passiert, ist der Schiedsrichter fein raus. Er kann immer sagen: Ihr habt’s ja auch nicht gesehen, sondern hättet Ihr eine Überprüfung gefordert. Manche Dinge können so einfach sein. Schiris müssten nur das Undenkbare wagen.