Kloppo und Boris – die Nacht der glänzenden Augen
Fever Pit'ch-Kolumnist Alex Steudel über ein ganz besonderes Ereignis in Hamburg

Hamburg, 25.08.2025, Sport BILD-Award 2025 in der Fischauktionshalle Unknown Boris Becker Jürgen Klopp
Ich wollte hier schon immer einmal eine Kolumne über Boris Becker schreiben, aber er hatte ja leider nie was mit Fußball zu tun. Und jetzt ist es doch so weit. Am Montagabend hat nämlich der Fußballer Jürgen Klopp beim Sport-Bild-Award eine Laudatio auf Boris gehalten. Endlich fanden meine Welten zueinander. Ich war vor Ort und durchgehend glücklich, denn Boris ist natürlich mein Held.
Klopp ist auch ein Held, aber eben nicht meiner, was damit zu tun hat, dass er als 17-Jähriger viel zu jung war, um Champions-League-Sieger mit Liverpool zu werden. Verglichen mit Bobbele ist er wie wir alle ein ganz normaler Spätentwickler.
Am Montag drehte Klopp aber an der Uhr. Er redete über Boris. Über früher. Er war witzig und bewegend, ich wurde in die 80er und 90er-Jahre zurückversetzt, als es noch völlig normal war, an einem stinknormalen Dienstagmittag viereinhalb Stunden lang ein komplettes Zweitrundentennismatch auf Sand in Paris anzugucken und keinen Ballwechsel zu verpassen, weil man das einfach nicht bringen konnte – also Ballwechsel von Boris zu verpassen.
Jürgen Klopp wollte wie Boris Becker sein
„Ich wollte damals nichts mehr als du sein. Ich war genauso alt“, sagte Klopp, und das hätte wie alles andere, was er sagte, auch von mir kommen können. Boris saß da und hatte glänzende Augen. Ich stand irgendwo hinten im Publikum und hatte auch glänzende Augen.
Neben mir standen Ex-Stars wie Christian Nerlinger und René Adler, aber in Anwesenheit von Becker waren wir alle eine halbe Stunde lang identisch unberühmt.
Wie oft hat man im Leben schon die Gelegenheit, seinen Jugendhelden zu treffen?
Becker ist 57, Klopp ist 58, ich bin 59. In der Mathematik spricht man von einer arithmetischen Folge mit der Differenz d = 1. In der Gefühlswelt gibt es keine Formeln, nur Beschreibungen.
Als Becker am ersten Sonntag im Juli 1985 Wimbledon gewann, war ich gerade eingezogen worden. Ich, Panzerschütze Steudel. Wir mussten damals gleich übers erste Wochenende in der Kaserne auf der Schwäbischen Alb bleiben, es war schlimm. Aber Boris zog mich mit seinen Siegen durch.
Das Wimbledon-Finale durfte unser Zug dann ansehen, es stand sogar auf dem Dienstplan, das muss man sich mal vorstellen. Anzugsordnung im Fernsehzimmer: blauer Trainingsanzug, schwarze Turnschuhe. Alle hatten wir, Bobbeles Soldaten, dasselbe an. Die Schuhe hatten eine Qualität, dass er darin das Finale gegen Kevin Curren 0:6, 0:6, 0:6 verloren hätte.
Aber Boris gewann, und ich war glücklich. Und als Begleitumstand änderte sich alles im deutschen Sport. Das Spielfeld der Nation war plötzlich nicht mehr 100 mal 70 Meter groß.
„Hättest du 1985 Wimbledon nicht gewonnen, würde ich heute nicht hier stehen“, sagte Kloppo am Montag. Ich glaube, dass auch ich nicht in der Fischauktionshalle gestanden hätte, denn in all den Jahren, in denen ich mit Boris triumphierte und mit ihm litt und im Geiste mit ihm an seiner Rückhand arbeitete, ohne dass er davon wusste, hatte sich in mir der Wunsch verfestigt, Sportreporter zu werden.
Boris, Bobbele, Bumm-Bumm-Boris – oder: Borrris
Ich habe später nie über Tennis geschrieben, aber vielleicht ist das ja auch gut so: Vielleicht wollte ich meine romantischen Vorstellungen von diesem Sport nicht kaputtrecherchieren. Beim Fußball habe ich das manchmal getan.
Boris, Bobbele, Bumm-Bumm-Boris – oder: Borrris, wie manche ihn aussprechen, hat eine tiefe Furche in die deutsche Sportgeschichte gezogen. Und in mich sowieso. Er hat Dinge hinbekommen, die bis dahin undenkbar schienen.
Einmal schrie ich nachts um vier das ganze schlafende Haus zusammen, nur weil in New York ein Tennisball von der Netzkante auf die richtige Seite, nämlich auf die von Ivan Lendl, kullerte.
Boris hat damals etwas geschafft, das niemand für möglich gehalten hatte: Er wurde berühmter als Fußball.
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