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Habemus Papam: Julian Nagelsmann soll’s also sein, der Deutschland auf die Heim-EM 2024 vorbereitet. Er ist 36 Jahre alt, geboren in Landsberg am Lech, Sternzeichen Löwe. Und mit 1,90 Meter der größte Bundestrainer, den Deutschlands Nationalspieler jemals hatten.
Die Erwartungen sind groß. Wann immer der DFB ein großes Turnier auf eigenem Boden veranstaltete, erreichte die Nationalmannschaft mindestens das Halbfinale. 1974 WM-Sieg in München (2:1 gegen Holland), 1988 EM-Halbfinale in Hamburg (1:2 gegen Holland), 2006 WM-Halbfinale in Dortmund (0:2 gegen Italien).

Nagelsmann bleiben zur Europameisterschaft 2024 (14. Juni bis 14. Juli) ein halbes Dutzend Länderspiele, um seine Ideen in der Mannschaft zu etablieren. Erste Stufe: die Nordamerika-Reise Mitte Oktober mit Länderspielen gegen die USA (14. Oktober) und Mexiko (18. Oktober).
"Wir haben eine Europameisterschaft im eigenen Land. Das ist etwas Besonderes - etwas, das alle paar Jahrzehnte mal vorkommt. Dieser Tatsache, ein großartiges Turnier in einem großartigen Land zu haben, ordne ich alles unter. Ich habe große Lust, diese Herausforderung anzunehmen. Der Auftritt in Dortmund war der Anfang. Wir werden im kommenden Jahr ein eingeschworener Haufen sein."
Julian Nagelsmann am 22. September 2023
Nach dem Österreich-Länderspiel am 21. November weist der DFB-Terminkalender eine Menge Lücken auf. Nagelsmann benötigt nicht nur die passenden Testgegner, sobald die EM-Vorrunde am 2. Dezember in Hamburg ausgelost ist. Er braucht: einen Plan.
Die 80 Millionen Bundestrainer in Deutschland werden so wenig mit Ratschlägen sparen wie die Besserwisser in Expertenrunden und die Kolumnisten im Fever Pit’ch Newsletter. Hilft nur nix: Auf Julian Nagelsmann kommt es an. Was können wir von ihm erwarten?
Hier ist unsere 10-Punkte-Forderung
- Leistungsprinzip. Die besten Kicker müssen spielen und nicht diejenigen, die sonst Ärger machen. Hansi Flicks Rumeiern mit Kimmich, Goretzka und Gündogan hat die WM gekillt.
- Mannschaftsgerüst. Die Achse von Torwart bis Mittelstürmer sollte zeitnah stehen. Bitte nicht wieder bis zur letzten Minute bangen, dass Neuer fit wird. Dann spielt halt ter Stegen - fertig.
- Teamgeist. Jeder Nationalspieler hat dort zu spielen, wo er für die Mannschaft am nützlichsten ist - und nicht, wo er will. Kimmich auf rechts, wenn’s hilft, und nicht Jojo in der Mitte.
- Konkurrenzkampf. Jede Mannschaft besteht aus elf Spezialisten auf jeder Position. Diese erste Elf muss sich einspielen und von einer Schatten-Elf, Posten für Posten, herausgefordert werden.
- Basics. Die beste Taktik nutzt nichts, wenn sie nicht aufgeht. Ergebnis vor Erlebnis: Völler predigte die einfachen Dinge - und gewann. Nagelsmann darf die Spieler nicht überfordern - und will es auch nicht.
- Standardsituationen. Freistöße und Eckbälle sind der Schlüssel, wenn das Spiel hakt. Bisher hat Spezialtrainer Buttgereit zu wenig geliefert; bei Standards muss mehr kommen.
- Konsequenz. Erst die Amazon-Doku offenbarte, wie leblos die Nationalelf die WM 2022 bestritt. Wenn ein Trainer die Spieler intern nicht erreicht, muss er sie öffentlich anzählen. Sowas hilft.
- Fokus. Deutschland will weder den Kleiderschrank des Trainers kennenlernen noch politische Diskussion führen, sondern: guten Fußball sehen und bestenfalls gewinnen. Nur das zählt!
- Fannähe. Schluss mit dem Eisernen Vorhang beim Training. Lasst die Leute zuschauen, damit sie sehen, wie gearbeitet wird. Überrascht haben wir unsere Gegner sowieso nie.
- Transparenz. Der Bundestrainer wird die Mannschaft nicht mit Handauflegen verbessern. Aber er kann die Öffentlichkeit an seinen Gedanken teilhaben lassen, damit man seinen Weg versteht.
Für Zweckpessimismus gibt es neun Monate vor Turnierstart keinen Anlass. Die Nationalmannschaft ist bei den WM-Blamagen 2018 und 2022 und zwischendurch im EM-Achtelfinale 2021 gegen England (0:2) an sich selbst gescheitert und nicht an der Qualität der Gegner.

Womöglich reicht das eigene Leistungsvermögen nicht zum Turniergewinn. Den erwartet auch niemand bedingungslos. Was man sehen will: Leistungsbereitschaft. Die fängt nicht auf dem Rasen an, sondern bei der Diskussion, ob die USA-Reise günstig geplant ist oder nicht.
Jeder hat ja verstanden, dass Borussia Dortmund keine gute Vorbereitung auf das Bundesliga-Heimspiel gegen Werder Bremen (20. Oktober) machen kann, wenn die Nationalspieler erst am Tag zuvor aus den USA zurückkehren. Aber wem hilft das Gejammer?
Nagelsmann ganz sicher nicht. Der neue Bundestrainer darf nämlich umgekehrt erwarten, dass seine Arbeit nicht ständig von Vereinsinteressen torpediert wird. Hier muss BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim "Aki" Watzke, in Personalunion DFB-Vizepräsident, seine Dortmunder halt disziplinieren.
Wenn die Europameisterschaft 2024 hierzulande ein nationales Anliegen sein soll, braucht Nagelsmann Rückendeckung und nicht Störfeuer. Denn darauf werden potenzielle Nachfolger schauen: Ob den guten Wünschen, die Nagelsmann heute ereilen, auch Tatkraft folgt.