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Pokalsieger aus Tradition

Die Neureichen von RB Leipzig verteidigen gegen Eintracht Frankfurt den DFB-Pokal. Anschließend schlägt ihnen blanker Hass entgegen.

Foto: Imago / Sportfoto Rudel

Inhaltsverzeichnis

Guten Morgen, liebe Fußballfreunde!

Ja, RB Leipzig ist ein Konstrukt und widerspricht dem Vereinsleben, das wir seit Turnvater Jahn kennen. Aber Tatsache ist auch: RB Leipzig hat in der Bundesliga und im DFB-Pokal eine Spielberechtigung und nimmt an den Wettbewerben teil - zuletzt äußerst erfolgreich. Und jetzt?

RB Leipzig verteidigte am Samstag den DFB-Pokal, obwohl sich die Massen von Eintracht-Fans die Rückkehr ins Berliner Olympiastadion ganz anders vorgestellt hatten. Das Ergebnis lautete 2:0. Man muss es so sagen: RB Leipzig hat sich die Trophäe redlich verdient. Die Reaktion darauf: blanker Hass.

Sogar gestandene Sportjournalisten verloren ihre branchentypische Distanz und bejammerten den Untergang des Abendlandes, weil nicht derjenige gewonnen hat, der ihrer Meinung nach deckungsgleich mit dem Synonym "Traditionsverein" beschrieben werden kann. Einer formulierte: Der große Verlierer sei der Fußball.

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Gemach, gemach. Wohin falsch umgesetzte Traditionspflege führt, erlebt der Hamburger SV in aller Härte: Heute Abend wird vermutlich der Verbleib in der 2. Liga besiegelt, wo die Tradition aus Berlin, Schalke, Braunschweig, Hannover, Nürnberg und woher auch immer ungeduldig wartet.

Niemand außer dem Gegner hat den HSV daran gehindert, in der vergangenen Saison Magdeburg, Karlsruhe, Braunschweig oder Rostock zu besiegen, die weniger Geld haben und deswegen personell schwächer aufgestellt sind. Der HSV hatte in der Vergangenheit sicher nicht weniger Geld zur Verfügung als RB Leipzig.

Was man RB Leipzig zugestehen muss: dass das Management halt besser mit Geld umgehen kann. Muss man die Bullen gut finden, weil sie aus der Retorte zur Welt gekommen sind? Ganz sicher nicht. Aber hassen eben auch nicht. Ihre Arbeit mag befremdlich sein. Vom Regelwerk verboten ist sie nicht.

Und ich fürchte fast: Stünde die Bundesliga heute vor ihrer Gründung (und nicht vor 60 Jahren), wäre ihre Geburtsstunde gefährdet. Und zwar mit denselben Gründen: Es dürfe nicht sein, was nicht immer schon so war. Fortschritt definiert sich aber nicht über das Festhalten am Alten, sondern über die Chance auf Neues.

Einen fliegenden Montag wünscht

Euer Pit Gottschalk

PS: Die Bundesliga-Saison ist vorbei, der DFB-Pokal vergeben - Fever Pit'ch macht jetzt aus guter Tradition ein paar Tage frei.


Pokalsieg, aber Trainer Marco Rose in Gefahr

Von Alex Steudel

Als die Leipziger nach dem Abpfiff des Pokalendspiels den 2:0-Sieg über Frankfurt feierten und Trainer Marco Rose vor Glück sein Funktionsteam besprang, dachte ich nur: Ach, der arme Kerl!

Er hat gerade sein eigenes Aus besiegelt.

Klingt vielleicht seltsam, ist aber so. Spätestens seit Julian Nagelsmann wissen wir: Das Schlimmste, was dir in Deutschland als Trainer passieren kann, ist ein Titel. Die Bundesliga weiß mit sowas gar nicht umzugehen.

Nirgends ist die Zündschnur kürzer als in den Chefetagen deutscher Vereine. Bayern-Trainer Nagelsmann holte im Mai 2022 die Meisterschaft, im März 2023 hatte Sportchef Brazzo eine Idee, und schon war er weg. Domenico Tedesco holte im Mai 2022 den ersten DFB-Pokal überhaupt für RB Leipzig; die ihm entgegengebrachte Dankbarkeit war überschaubar, vier Monate später musste er die Koffer packen.

Frankfurts Oliver Glasner gewann im Mai 2022 sogar den Europapokal für die Eintracht, er schrieb dabei die schönste Geschichte des Frühlings – jetzt ist er weg.

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Beim Zweitligameister 2022, dem FC Schalke 04, erreichte Aufstiegstrainer Mike Büskens nicht mal das Minimalziel "Anpfiff 1. Spieltag".

Wer nun meint, dieser Text müsse von der deutschen Trainergewerkschaft gesponsert sein oder sei einfach nur hingebogen, sollte sich vor dem Übergang zum nächsten Absatz warm anziehen. In Europas Topligen ist nämlich alles komplett anders.

Carlo Ancelotti (Meisterschaft, Champions League/Real Madrid), Manuel Pellegrini (Copa del Rey/Real Betis Sevilla), Pep Guardiola (Meisterschaft/ManCity), Jürgen Klopp (FA-Cup, Ligapokal/FC Liverpool), José Mourinho (Europa Conference League/AS Rom), Stefano Pioli (Meisterschaft/AC Mailand), Simone Inzaghi (Coppa Italia/Inter Mailand) – alle Trainer, die in den drei europäischen Topligen Italien, Spanien und England 2022 Titel gewonnen haben, sind heute noch im Amt. Einige sogar schon ziemlich ewig.

Wenn ich "alle" schreibe, meine ich also wirklich: alle. Alle sieben.

Bei uns: null.

Illustration: Jens Uwe Meyer / bergfest.at

Warum der Unterscheid so groß ist? Weil die Bundesliga nach einem ganz individuellen Prinzip arbeitet: Hire, Win & Fire.

Dabei sagt man den Deutschen ja eigentlich eine gewisse Zuverlässigkeit nach. Ob das jetzt im Geschäftsleben ist oder bei der Ingenieurskunst. Deutsche Autos fahren ewig, italienische und englische schaffen es gerade mal von der Zulassungsstelle bis zur nächsten Werkstatt. Das war lange richtig, ist längst ein Klischee, und im Fußball ist es sogar genau andersrum.

Der handelsübliche deutsche Klubmanager ist bei Misserfolg schreckhaft wie Oma, wenn sie eine haarige Spinne sieht. Bloß dass der Manager dann nicht wegrennt, sondern nur mal kurz rausgeht und den Flammenwerfer holt.

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Manche sagen, in der Bundesliga werde so viel gefeuert, weil die Deutschen keine Fehlerkultur haben. Weil hier kein Klima herrscht, das "Try again. Fail again. Fail better" ermöglicht.

Das wird sich auch so schnell nicht ändern. Ich fürchte, der Pokalsiegertrainer Rose wird kommende Saison in Leipzig nicht lange failen dürfen. Vielleicht wär's besser, wenn er auf das Schlimmste gefasst ist.

Steudel-Kolumnen gibt es auch als Buch! Titel: "Die nächste Kolumne ist immer die wichtigste". 276 Seiten, 14,95 Euro. Wer's sofort will: Hier bestellen! Wer fürs gleiche Geld ein signiertes Exemplar bevorzugt: Mail an post@alexsteudel.de.


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