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Vor einem Vierteljahrhundert kamen Fußballfunktionäre auf die Idee, ihre Turniere nicht mehr von einem einzigen Land ausrichten zu lassen, sondern von einem Länderverbund. Im Jahr 2000 machte das auch Sinn: Alleine wären Belgien und die Niederlande kaum imstande gewesen, eine eigene Europameisterschaft auszurichten. Also taten sie's gemeinsam. Und das sehr gut!
Auch 2002 war der Zusammenschluss von Japan und Südkorea eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung: Eine Verteilung von Chancen bedeutet auch eine Verteilung von Risiko, weil offen war, ob die Menschen in den damaligen Fußball-Entwicklungsländern so eine Weltmeisterschaft annehmen und feiern würden. Ja, das taten sie damals! Und wie!
Aber Größenwahn und Geldgier führten inzwischen dazu, dass der Weltverband Fifa und sein europäischer Gegenspieler Uefa regelmäßig lieber die Bewerber zusammenlegen, als sich in die Hände eines einzigen Gastgebers zu begeben. (Katar bildete 2022 eine Ausnahme und pfefferte so viel Geld in die Bewerbung, um ja kein WM-Spiel an die Nachbarn in der arabischen Welt abgeben zu müssen.)

Gestern entschied die Uefa, dass die EM 2028 gleichzeitig in Großbritannien (vier Verbände) und Irland stattfindet und die EM 2032 in Italien und in der Türkei. Von der Fifa war schon vorher bekannt, dass die WM 2026 von drei Ländern organisiert wird (USA/Kanada/Mexiko) und die WM 2030 sogar von sechs auf drei Kontinenten: Uruguay, Paraguay, Argentinien, Spanien, Portugal, Marokko.
So geht das jetzt seit Jahren. Die Fans haben kaum mehr die Gelegenheit, das eine Gastgeberland kennenzulernen, das sich herausputzt, seine Kultur herzeigt und vielleicht sogar Sympathien gewinnt. Es ist jetzt wie bei einem Mann, der sich in zwei oder sogar drei Frauen verliebt: Keiner von ihnen gehört seine ganze Aufmerksamkeit alleine. (Aus Diversität: Die Metapher passt genauso umgekehrt.)
Die Verbände haben die Teilnehmerzahl bei ihren Turnieren auf 32 (Uefa) und 48 (Fifa) aufgebläht, was zum Beispiel ausschließt, dass Uruguay ein WM-Turnier zur Hundertjahrfeier alleine stemmen kann. Komischerweise traut die Fifa Mini-Staaten wie Katar die Ausrichtung eines Großturniers zu - weil die Millionen fließen. Auch Saudi-Arabien wird die WM 2034 deshalb alleine feiern dürfen.
Vielleicht macht es sogar Sinn, dass der Länderverbund auf den britischen Inseln 2028 gemeinsame Sache macht. Liegt ja alles beieinander. Aber Italien und Türkei 2032? 1.721,41 km ist die Luftlinie zwischen ihren Hauptstädten Rom und Ankara lang. Mit dem Auto müsste man knapp 3.000 km zurücklegen. Wo soll hier, staatspolitisch und kulturell, irgendeine Gemeinsamkeit verortet sein?
Schweiz und Österreich (EM 2008) sowie Polen und Ukraine (EM 2012) sind immerhin Nachbarländer und teilten sich den Aufwand. Aber warum bekommt Italien kein eigenes EM-Turnier? Ja, das Land ist notorisch krisengeschüttelt. Und hat trotzdem immer Turniere hinbekommen: die Weltmeisterschaften 1934 und 1900 sowie die Europameisterschaften 1968 und 1980.
Für die Türkei, gar keine Frage, wäre die erstmalige Organisation des EM-Turniers im Alleingang eine ungeheure Herausforderung gewesen. Aber das Land traut sich das zu, hat sich mehrfach beworben und ist fußballverrückt. Als Land wächst man an so einer Gastgeberrolle. Und genau darum geht's doch: dass so ein Turnier, wenn man es hat, aus Euphorie Investitionen in Land und Fußball auslöst.
Stattdessen hatte man Italien und die Türkei rechtzeitig klargemacht, dass allein die gemeinsame Bewerbung mehr Aussicht auf Erfolg haben würde. Die Hinterzimmerpolitik funktionierte: Die Türkei zog ihre usprüngliche Bewerbung zurück, der Weg für Großbritannien und Irland wurde frei. So bekamen Italien und die Türkei eine halbgare Lösung serviert. Und wem soll die schmecken?
