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EM-Aus: Die gerechte Strafe für drei Jahre Stümpern

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Guten Morgen, liebe Fußballfreunde!

Auch bei seinen Abschiedsworten gestern musste ich mir an den Kopf fassen. Zum EM-Aus gegen England (0:2) sagte Bundestrainer Joachim Löw in die TV-Kameras, es habe "in gewissen Situationen an Reife und Erfahrung" gefehlt. Lassen wir die Fakten sprechen, die Stefan Rommel in seiner Analyse bei Web.de zusammengetragen hat. Die Löw-Mannschaft hatte in den vier EM-Spielen einen Altersschnitt von 28,2 Jahren. Die Engländer, mit einem 19-Jährigen in der Startelf,  waren im Schnitt 25,7 Jahre alt. Wovon redet Joachim Löw also, wenn er "Reife und Erfahrung" vermisst? Er hatte acht Spieler vom FC Bayern im Kader, die voriges Jahr die Champions League gewonnen haben, und drei vom FC Chelsea, die das Kunststück dieses Jahr schafften. In genau solchen Momenten macht sich der Realitätsverlust bemerkbar, den man dem DFB gerne unterstellt. Man macht sich etwas vor.

Einen faktenreichen Mittwoch wünscht

Euer Pit Gottschalk

EM-Aus: Deutschland nur noch Mittelmaß

Die gerechte Strafe für drei Jahre Stümpern

Das Ausscheiden im Achtelfinale der Europameisterschaft ist die Quittung für stümperhaftes Arbeiten.

Von Pit Gottschalk

Kurz zu den Fakten: Die deutsche Nationalmannschaft erlebt mit dem Achtelfinal-Aus gegen England die schlechteste EM-Teilnahme seit 2004. Von vier Turnierspielen gewann Deutschland ein einziges: Überzeugen konnte die Mannschaft alleine beim Sieg über Portugal. Das 0:2 gegen England am Dienstagabend im Wembley-Stadion: die gerechte Strafe für drei Jahre Stümpern beim DFB. Vom Bundestrainer bis zur Führungsspitze: Man hat nichts Entscheidendes aus der WM-Blamage von 2018 gelernt und der wichtigsten Mannschaft des Landes keine Richtung gegeben.

An Warnsignalen hat es nie gemangelt. Das 0:6 gegen Spanien, das 1:2 gegen Nordmazedonien und zuletzt das 2:2 gegen Ungarn, davor die traurigen Auftritte in der Nations League, die faden Erklärungen des Bundestrainers in der Krisenbewältigung, das Hin und Her bei Thomas Müller und Mats Hummels. Doch niemand fühlte sich beim DFB verantwortlich, Ordnung und Leitlinien vorzugeben. Die Präsidentendarsteller von Reinhard Grindel über Fritz Keller bis Rainer Koch waren lieber mit sich und dem Machterhalt beschäftigt als mit dem Wohl des deutschen Fußballs.

Joachim Löw tritt als geschlagener Mann ab

Das Ausscheiden bedeutet auch Joachim Löws letztes Spiel als Bundestrainer. Er hätte einen anderen Abgang verdient gehabt.

Der Selbstbetrug ist aufgeflogen

Überraschend ist das Aus der Nationalelf in der ersten Runde der K.o.-Phase der EM nicht.

Die Pandemie ist keine Ausrede. Auch andere Nationen hatten Probleme. Dass Weltmeister Frankreich und Europameister Portugal ebenfalls kläglich ausgeschieden sind, darf nicht zum Alibi werden. Für deren Versagen sind wir nicht zuständig und sollten bei der Ursachenforschung auf uns schauen. Standfußball mit nur zwei großen Torchancen sind für eine Mannschaft, die mehr als ein halbes Dutzend Champions-League-Sieger aufstellen kann, einfach zu wenig. Man kann natürlich immer ein Spiel verlieren. Aber in diesem Fall hat man das Unglück kommen sehen.

Bundestrainer Joachim Löw hat alle Signale ignoriert, dass eine Fünferkette vermutlich Stabilität gibt, aber jede Kreativität beim Angriffsspiel nimmt. Joshua Kimmich, Motor beim FC Bayern, hat er auf der rechten Seite verschenkt. Die Abwehr: sieben Gegentore in vier Spielen - das sagt alles. Die Achse: hilflos bei der Spielgestaltung. Erfrischende Perspektiven wollte er nicht. Stefan Kuntz, zweimal mit den U21-Junioren Europameister, gehörte nicht zum Trainerstab wie einst Berti Vogts bei Franz Beckenbauer und saß analysierend im ARD-Studio. Warum eigentlich? Weil's Löw besser weiß?

Die Tränen von Wembley

Am Ende weinte Joshua Kimmich. Dem DFB-Team hat bei der EM und gegen England der ganz große Plan gefehlt.

"In der Kabine war ich sehr enttäuscht"

Nach seinem letzten Spiel als Bundestrainer wirkte Jogi Löw leer, frustriert, deprimiert. Was er nach dem EM-Aus gesagt hat.

Nach der WM-Blamage 2018 hat er Monate gebraucht, um Erkenntnisse seiner Analysen mit der Außenwelt zu teilen. Als er ausgediente WM-Helden abservierte, funktionierte der halbherzig inszenierte Generationswechsel nicht. Jeder sah irgendwann, dass die Mannschaft nicht ohne Mats Hummels und Thomas Müller auskam. Jogi Löw aber musste zum Offensichtlichen getrieben werden; wieder vergingen Monate ungenutzt. Am Ende spielten Müller und Kimmich auf ungewohnten wie ungeliebten Positionen. Dem Team fehlte das Rückgrat. Und keiner beim DFB funkte dazwischen.

So reiht sich ein Manko an das nächste und führt zu einem unnötigen wie bitteren 0:2 gegen England. Die handelnden Personen, vorneweg Nationalelf-Direktor Oliver Bierhoff, werden nicht zum ersten Mal einen Neuanfang ausrufen, die Zeit drängt ja. Bei der Heim-EM 2024 in drei Jahren darf man sich kein neues Fiasko erlauben. Es wird Rücktritte geben, neue Versprechen. Löw-Nachfolger Hansi Flick wird die größten Schäden bei der Mannschaft reparieren. Reicht das? Gegen England haben wir mehr als ein Spiel verloren. Vielleicht sogar den Glauben an uns selbst.

++ EM aktuell ++

Ukraine 2:1 n.V.! Fingerzeig an die Kritiker

Mit einem 2:1 nach Verlängerung gegen Schweden zieht die Ukraine erstmals in ein EM-Viertelfinale ein. Glücklich und verdient.

Heute im Fernsehen

12 Uhr, Sport1: EM Aktuell

19.30 Uhr, Sport1: EM Aktuell

Pressestimmen zum EM-Aus von Weltmeister Frankreich

Frankreichs Zeitungen beweinen das frühe Aus des Weltmeisters bei der EM und sparen nicht mit Kritik. Hier die  Pressestimmen.

Hilfe, mir gehen die Stars aus!

Von Alex Steudel

Frankreich hat bei dieser EM handgestoppte 18 Minuten überragend gespielt. Ich hab's geliebt. Wie Benzema den Ball gegen die Schweizer mit der Hacke zum 1:1 mitnimmt, wie er kurz darauf per Kopf nachlegt zum 2:1, wie Pogba aus ca. 156 Metern Entfernung aus dem Stand das 3:1 schießt – Merci beaucoup!

Wenn Stars halten, was sie versprachen, sind das genau die EM-Momente, die mir nahegehen. Eine ganze Generation von Kindern und Jugendlichen zehrt danach beim Straßenkick davon.

Aber jetzt ist Frankreich raus. Portugal auch. Deutschland? K.o. gegen England. Die Titelträger der letzten drei Turniere, alle in einem Aufwasch runter durch den Abfluss. Schon im Achtelfinale.

Mon Dieu! Sogar Holland ist ausgeschieden. Haben die Fußballgötter denn gar keinen Respekt?

Mir gehen jedenfalls so langsam die Stars aus.

Ronaldo weg, Mbappé weg, Pogba weg, Müller und Neuer weg. Wijnaldum weg. Im Viertelfinale stehen nur noch Zungenbrecher oder Spieler, die ich googeln muss.

Das mit den Franzosen traf mich ehrlich gesagt besonders hart. Sie sind pfeilschnell, perfekt am Ball, unglaublich athletisch, taktisch eine Eins. Sie spielen den echten Fußball. Die beste Mannschaft der Welt. Lauter Stars halt.

Dumm nur, dass die beste Mannschaft der Welt nicht mehr wusste, wann beim Fußball die Party beginnt: nämlich nach dem Abpfiff, nicht davor. Wer dem Gegner noch im laufenden Spiel auf der Nase herumtanzt, ist kein Held, sondern ein Depp. Frankreich scheiterte an der eigenen Arroganz.

Als Pogba am Montag sein sensationelles Dreieckstor bejubelte, jubelte ich auch und dachte: Ein Wunder! Was für ein Star! Im selben Moment dachte ich aber auch: Wer so gockelig jubelt, der kommt schwer ins Spiel zurück. Stimmte leider, die Schweiz gewann. Und der Star war weg.

Die Schweiz!

Frankreich hatte das Genie in den Beinen, aber nicht den passenden Kopf. Deutschland war zu schlecht. Portugal zu Ronaldo. Holland ging einfach heim. Und jetzt steht die Fußballwelt mit leeren Händen da.

Na gut, an einem Finger hängt noch De Bruyne. Die anderen neuen Stars des Weltfußballs hören auf Namen wie Seferovic, Sarabia, Höjbjerg, Zinchenko, Sterling, Insigne oder Schick.

Daran muss man sich auch erst mal gewöhnen.

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Alle mal herschauen!

Schweiz-Kritiker Andreas Böni färbt sich die Haare blond

Der Schweizer Journalist Andreas Böni verliert eine Wette und muss sich die Haare blond färben. Zuvor hatte er die Schweizer Mannschaft schwer kritisiert.

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